Sicherheitskonferenz-Chef Heusgen „Ukraine benötigt schwere Waffen und Kampfpanzer“

München/Kiew/Moskau/New York · Während Russland mit Scheinreferenden Luhansk und die Region Donbass an das eigene Gebiet angliedern will, hat der türkische Präsident die Rückgabe der von Russland besetzten Gebiete an die Ukraine gefordert. Derweil wirbt der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz dafür, der Ukraine auch Kampfpanzer zu liefern. Die Nacht im Überblick.

 Ein deutscher Kampfpanzer des Typs Leopard 2 A7V (Symbolbild).

Ein deutscher Kampfpanzer des Typs Leopard 2 A7V (Symbolbild).

Foto: AP/Philipp Schulze

„Die Bilder aus den befreiten Gebieten der Ukraine sind schrecklich. Die russischen Soldaten haben dort systematisch Kriegsverbrechen begangen“, sagte Christoph Heusgen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Wir müssen die ukrainischen Streitkräfte jetzt nach Kräften unterstützen, damit sie ihr Land zurückerobern können und das Leiden der Menschen beenden. Dazu gehören auch schwere Waffen, gerade auch Kampfpanzer, die die Ukrainer jetzt benötigen.“

Natürlich solle Deutschland nicht allein liefern, sagte Heusgen weiter. Es solle sich vielmehr zusammentun mit den Ländern, die zum Beispiel über den Leopard-Panzer verfügten. Die Länder könnten nach seinen Worten gemeinsam ausbilden, liefern und für die Instandhaltung sorgen. Heusgen meinte: „Deutschland stünde es gut an, dabei die Führung zu übernehmen.“

Die Ukraine hat von westlichen Staaten wie Deutschland auch Kampf- und Schützenpanzer gefordert, die die Truppen bei Vorstößen und der Rückeroberung von Gebieten nutzen könnten und die für den Einsatz im direkten Gefecht gebaut sind. Bisher hat kein Nato-Land Kampfpanzer westlicher Bauart geliefert. Kanzler Olaf Scholz (SPD) betont stets, dass es in dieser Frage keinen deutschen Alleingang geben werde.

Unterdessen hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Rückgabe der von Russland besetzten Gebiete an die Ukraine gefordert. „Wenn in der Ukraine ein Frieden hergestellt werden soll, wird natürlich die Rückgabe des besetzten Landes wirklich wichtig. Das wird erwartet“, sagte Erdogan in einem vom US-Sender PBS am Montagabend veröffentlichten Interview. „Die besetzten Gebiete werden an die Ukraine zurückgegeben.“ Genauso müsse die von Russland annektierte Halbinsel Krim an die Ukraine zurückgegeben werden.

Russland hat nach seinem Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar große Gebiete im Süden und Osten des Landes erobert. Moskau hält trotz Gegenoffensiven Schätzungen zufolge derzeit noch mehr als ein Sechstel des ukrainischen Staatsgebietes inklusive der Halbinsel Krim besetzt.

Ankara hat bereits in der Vergangenheit die Annexion der Krim 2014 verurteilt und immer wieder auf die Achtung der Souveränität der Ukraine gepocht. Die Türkei pflegt eigentlich gute Beziehungen zu Moskau und zu Kiew. Erdogan hatte sich kürzlich mit einer Reihe von Aussagen jedoch deutlich an die Seite von Kreml-Chef Wladimir Putin gestellt und dem Westen etwa „Provokation“ im Ukraine-Krieg vorgeworfen. Am Wochenende hatte Erdogan erklärt, das Nato-Land Türkei wolle der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) beitreten, deren größte Mitglieder China und Russland sind.

Derweil steuert Russland trotz massiver internationaler Kritik auf Scheinreferenden über einen Anschluss der besetzten ukrainischen Gebiete zu. Wichtige Kreml-Propagandisten legten nahe, dass sich am Mittwoch auch Präsident Wladimir Putin dazu äußern werde. Am Dienstagabend blieb eine von mehreren russischen Medien angekündigte Fernsehansprache Putins aus.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte demonstrativ gelassen auf die Ankündigung von Volksabstimmungen in den Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja. Daran sei nichts Neues. „Unsere Position ändert sich nicht durch Lärm oder irgendwelche Ankündigungen“, sagte er in seiner Videoansprache am Dienstag. „Wir verteidigen die Ukraine, wir befreien unser Land, und wir zeigen vor allem keinerlei Schwäche.“

Selenskyj bekommt am Mittwoch die Gelegenheit, die Position der Ukraine in der UN-Vollversammlung zu verdeutlichen. Er wird dort per Video zugeschaltet, Putin wird in New York von Außenminister Sergej Lawrow vertreten. Die von Moskau angestrebte Eskalation im seit fast sieben Monaten dauernden Angriffskrieg überschattet die UN-Generaldebatte, bei der auch US-Präsident Joe Biden sprechen soll. Für die Ukraine ist Mittwoch der 210. Kriegstag seit Beginn der russischen Invasion vom 24. Februar.

Selenskyj dankte für die einhellige Verurteilung der russischen Pläne durch viele Länder und Organisationen. „Wir haben die volle Unterstützung unsere Partner“, sagte er in Kiew. Unter anderem haben Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den Moskauer Vorstoß kritisiert. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nannte die Abstimmungen illegal und einen Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verurteilte die angekündigten Abstimmungen als Verhöhnung der Ukraine und der Vereinten Nationen. „Bei aller Vorsicht, bei aller Verantwortung, die wir haben, dürfen wir uns von dieser erneuten Provokation nicht kirre machen lassen, sondern wir müssen in der vollen Verantwortung für den Frieden in Europa die Ukraine jetzt weiterhin unterstützen“, sagte die Grünen-Politikerin in den ARD-„Tagesthemen“. Waffenlieferungen sollten weitergehen, „weil damit Menschenleben gerettet werden“.

Die von Moskau gestützten Separatistengebiete Donezk und Luhansk sowie die im Krieg eroberten Regionen Donezk und Saporischschja planen vom 23. bis 27. September Volksabstimmungen. Das teilten sie am Dienstag mit. Die zeitgleichen Scheinreferenden ohne Zustimmung der Ukraine und ohne jegliche Kontrolle laufen auf einen schnellen Anschluss an Russland heraus. Sie gelten als Moskauer Reaktion auf die erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive im Osten. 2014 hatte sich Russland die ukrainische Halbinsel Krim einverleibt und dies mit einem international nicht anerkannten Referendum zu untermauern versucht.

Wie in einem Drehbuch zu Putins Auftritt wandten sich die Verwaltungschefs von Donezk und Cherson am Dienstag direkt an den Präsidenten im Kreml. Sie baten, dass er den Beitritt zu Russland befürworten möge. „Dieses Ereignis wird die Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit“, sagte Separatistenführer Denis Puschilin aus Donezk.

Wie viele Menschen sich in den von Moskau beherrschten Teilen der Ukraine aufhalten, lässt sich kaum sagen. Die Bevölkerung dort ist seit Februar durch Tod, Flucht oder Verschleppung nach Russland stark dezimiert worden. Moskau hält trotz der ukrainischen Gegenoffensiven Schätzungen zufolge immer noch mehr als ein Sechstel des ukrainischen Staatsgebiets inklusive der Krim besetzt.

Eine Annexion der Gebiete würde für Moskau bedeuten, dass es die mögliche Rückeroberung durch die Ukraine als Angriff auf eigenes Staatsgebiet darstellen könnte. Dies würde es auch erleichtern, in Russland eine Teil- oder Generalmobilmachung zu verkünden. Schnell durchgepaukte Gesetzesänderungen im russischen Parlament vom Dienstag scheinen in diese Richtung zu deuten. Allerdings verneinte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Andrej Kartapalow, dass eine allgemeine Mobilmachung geplant sei.

Die Mediengruppe RBK und der Staatssender RT kündigten für Dienstagabend eine Rede Putins an, die dann aber doch nicht gehalten wurde. Nach mehreren Stunden des Wartens schrieb RT-Chefin Margarita Simonjan auf Telegram „Geht schlafen!“. Der TV-Propagandist Wladimir Solowjow schrieb schlicht: „Morgen“.

Die USA wollen der Ukraine bei der Aufklärung russischer Kriegsverbrechen mehr Hilfe leisten. US-Justizminister Merrick Garland und der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin unterzeichneten am Dienstag in Washington eine entsprechende Absichtserklärung.

Die USA wollten Kiew dabei unterstützen, Menschen „zu identifizieren, festzunehmen und strafrechtlich zu verfolgen, die an Kriegsverbrechen und anderen Gräueltaten in der Ukraine beteiligt sind“, sagte Garland. Es gehe darum, den Opfern ein gewisses Maß an Gerechtigkeit zu verschaffen, betonte Kostin.

Wie im Frühjahr nahe der Hauptstadt Kiew sind die ukrainischen Behörden nun auch nach der Befreiung des Gebiets Charkiw auf Massengräber gestoßen. Viele der Leichen weisen nach ukrainischen Angaben Spuren eines gewaltsamen Todes auf, was den Verdacht auf russische Kriegsverbrechen nahelegt.

Das wird am Mittwoch wichtig

Der ukrainische Präsident Selenskyj wird am Mittwoch nicht nur zur UN-Generalversammlung sprechen. Er hält auch eine Ansprache vor Vertretern der US-Rüstungsindustrie - ebenfalls per Videoschalte. Die USA sind für die Ukraine der wichtigste Waffenlieferant. Verteidigungsminister Olexij Resnikow soll ebenfalls im Rahmen des Treffens der US-Rüstungsbranche NDIA sprechen.

(felt/dpa)
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