FDP vertagt Revolte

Die junge Garde wagt den Aufstand gegen FDP-Chef Guido Westerwelle nicht. Der scheitert mit dem Versuch, Minister Rainer Brüderle aus dem Kabinett zu nehmen. Nun sammelt jeder Truppen.

Berlin Von einem "geordneten Diskussionsprozess" sprach der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle gestern nach der Präsidiumssitzung. Es sollte nach Ruhe klingen. Doch geordnet sind die Verhältnisse in der FDP nach dem desaströsen Abschneiden der Partei in Rheinland-Pfalz (raus aus dem Landtag) und Baden-Württemberg (knapp drin) nicht.

Hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf, der bisweilen skurrile Züge trägt und spätestens am 11. April entschieden sein wird. Dann will das FDP-Präsidium mit den Landeschefs tagen und den personellen Umbruch, den Spitzenliberale fordern, festzurren.

FDP-Chef Guido Westerwelle scheint fest entschlossen, Kapitän an Bord des FDP-Schiffs bleiben zu wollen. Zwar wollte der inzwischen seit zehn Jahren amtierende Chefliberale gestern die Frage nicht beantworten, ob er auf dem Bundesparteitag im Mai erneut antreten wird, doch sammelt Westerwelle seit Sonntagabend eifrig seine Truppen. Vor allem Wirtschaftsminister Rainer Brüderle nahm er ins Visier. Schon kurz nach der Bekanntgabe der Ergebnisse ließen Westerwelle-Getreue streuen, dass der Minister, der mit unglücklichen Äußerungen vor dem Wirtschaftsverband BDI den Wahlkampf störte, gefährdet sei.

Am Abend gab Brüderle dann den Rückzug vom Amt des Landesvorsitzenden bekannt, das er seit 1983 innehatte. Offenbar war in der rheinland-pfälzischen FDP der Rückhalt für den 63-Jährigen gesunken, nachdem die Liberalen aus dem Landtag gewählt worden waren. Als Nachfolger ist Volker Wissing im Gespräch. Als Wirtschaftsminister will Brüderle allerdings im Amt bleiben.

Auch Fraktionschefin Birgit Homburger wird als mögliches Opfer einer Personalrochade genannt. Der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Wolfgang Kubicki forderte gestern erneut den Rücktritt der baden-württembergischen FDP-Politikerin. Als Nachfolgerin läuft sich nach Informationen unserer Zeitung aus Parteikreisen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warm. Dass der rhetorisch versierte FDP-Generalsekretär Christian Lindner an die Spitze der Fraktion rückt, gilt als unwahrscheinlich: Zu viele Spitzenämter sind bereits mit Nordrhein-Westfalen besetzt.

In den Gremiensitzungen konnte Brüderle mit Leutheusser-Schnarrenberger, Noch-FDP-Vize Andreas Pinkwart und Finanzpolitiker Hermann Otto Solms immerhin einige Unterstützer für sich organisieren. Leutheusser-Schnarrenberger warnte vor "verkürzten Personaldebatten" und wähnt die Partei in einer "tiefen Existenzkrise". Die Justizministerin gilt als Westerwelle-kritisch und glaubt, dass Westerwelle mit Brüderle lediglich ein "Bauernopfer" sucht. Auch der hessische FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn, der selbst einen Platz im Präsidium anstrebt, zielte mit seinen Kommentaren gestern auf eine Destabilisierung Westerwelles. Eine Revolte gegen den FDP-Chef blieb in den Gremiensitzungen indes aus. Bisher haben nur der Berliner Vize-Landeschef Alexander Pokorny und der baden-württembergische Parteivize Michael Theurer den Rücktritt Westerwelles gefordert. Später legte der saarländische Fraktionschef Christian Schmitt Westerwelle nahe, wenigstens das Amt des Außenministers abzugeben. Einflussreiche Liberale sind das aber nicht.

Viel wird daher auf die Hoffnungsträger der FDP ankommen: Gesundheitsminister Philipp Rösler (38), zugleich Chef der Niedersachsen-FDP, Generalsekretär Christian Lindner (31) sowie den Vorsitzenden des größten Landesverbands NRW, Staatssekretär im Gesundheitsministerium Daniel Bahr (32). Bisher stehen die drei geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden und streben eine inhaltliche Debatte unter Führung Westerwelles an. Mit einer Ablösung des Vorsitzenden sei nichts gewonnen. Man müsse endlich wieder inhaltlich in die Offensive gehen.

Nach Angaben aus Parteikreisen hatte Westerwelle am Sonntagabend die drei zu einer kleinen Gesprächsrunde in das Berliner Restaurant "Ganymed" in der Nähe der Parteizentrale geladen. Auch Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen, Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel, Fraktionsvize Patrick Döring und Mitarbeiter Westerwelles waren dabei. In der Runde wurde angeblich auch eine Kabinettsumbildung diskutiert, nach der Gesundheitsminister Rösler Wirtschaftsminister werden könnte und dessen Staatssekretär Bahr zum Ressortchef aufsteigt.

Bahr war von 2005 bis 2009 Gesundheitssprecher der Bundestagsfraktion und gilt als ausgewiesener Experte. Das Ministerium trauen ihm Liberale in Partei und Fraktion zu, vor allem auch er selbst. Parteivize Rainer Brüderle bekam von den Überlegungen nichts mit. Er kam erst in das von Liberalen traditionell besuchte Restaurant, als die anderen weg waren. Allerdings gilt Rösler bisher nicht als jemand, der sich an einem Putsch beteiligen würde. Von Brüderles Regierungshandeln hält Rösler viel.

Nun wird entscheidend sein, wer seine Truppen bis zur kommenden Präsidiumssitzung am Montag sammelt. Homburger und Brüderle wollen jedenfalls um ihre Ämter kämpfen. Beide sehen Westerwelle in der Pflicht, weil der in der Atomdebatte, in der Libyen-Krise und beim Streit um den Euro die Linie der Partei vorgegeben habe. Im Umfeld der Fraktionschefin wird darauf verwiesen, dass Homburger ihren Vorsitzenden in der für Westerwelle heiklen Phase vor Weihnachten gestützt habe. Diese Unterstützung habe Westerwelle jetzt nicht mehr.

(RP)
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