Merkel bei „Anne Will“ Ein Rüffel erster Klasse für Armin Laschet

Analyse | Berlin/Düsseldorf · In den sechs verbleibenden Monaten ihrer Regierungszeit will die Kanzlerin mit aller Konsequenz den Kampf gegen Corona weiterführen. Merkel spart nicht mit Kritik an Parteifreunden und denkt laut über Alternativen zu den Bund-Länder-Runden nach. Wie ihr TV-Auftritt zu bewerten ist.

 Kanzlerin Angela Merkel zu Gast in der Berliner ARD-Talksendung "Anne Will".

Kanzlerin Angela Merkel zu Gast in der Berliner ARD-Talksendung "Anne Will".

Foto: dpa/Wolfgang Borrs

Es sind dramatische Tage im voraussichtlich letzten Jahr von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Erst die chaotische Nachtsitzung mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, in der kurz vor Mitternacht der Vorschlag der Oster-Ruhetage präsentiert wird, dann anderntags der schnelle Rückzug und die Entschuldigung der Regierungschefin („Ich bitte alle Bürgerinnen und Bürgerinnen um Verzeihung“) und am Sonntagabend in der ARD-Politsendung von Anne Will schließlich die große Erklärung an die Nation. Im Bundestag hatte Merkel es schon vorexerziert – eine Mischung aus Demut und Angriffslust.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Kanzlerin ist wieder auf der Höhe der Diskussion. Sie wirkt entschlossen, gibt eigene Fehler zu, spart aber auch nicht mit Kritik an den Länderchefs und -chefinnen. „Es bekümmert mich, dass einige die schwierigen Teile nicht so umsetzen, wie ich mir das wünsche.“ Und sie macht klar, dass eine Rollenverteilung „strenge Kanzlerin“ und „Ministerpräsidenten, die lockern“ mit ihr nicht geht.

Die vergangenen Tage haben Merkel geschlaucht, das ist selbst in der Sendung mit Händen zu greifen. Doch die Kanzlerin lässt sich in die Pflicht nehmen. „Dafür habe ich den Amtseid geleistet“. Sie wirkt zwar müde, aber auch entschlossen, die letzten sechs Monate ihrer Regierungszeit dem Kampf gegen die Pandemie zu widmen. „Wir haben zwar einiges erreicht, aber das reicht nicht.“

Die Moderatorin Anne Will lässt nicht locker, sie lockt die mächtigste deutsche Politikerin aus der Reserve. Mehr als 60 Prozent, so zitiert sie eine Studie der Leipziger Universität, haben nur ein niedriges Vertrauen in die Bundesregierung. Am Anfang der Pandemie haben sich über 50 Prozent positiv über das Krisenmanagement geäußert, jetzt sind es noch knapp über 25 Prozent. „Die Menschen sind ermüdet von den Zumutungen, die sie erfahren“, gibt Merkel als Grund für das fehlende Vertrauen an. „Wir müssen sie wieder überzeugen.“ Die Kanzlerin wiederholt, dass sie am vergangenen Montag einen entscheidenden Fehler mit der Verkündung der Osterruhetage zu verantworten habe. „Für diese Verunsicherung trage ich die Verantwortung“, meint die Regierungschefin.

Mit einer Mischung aus Besorgnis, aber auch einer versteckten Drohung mahnt sie an, dass der schwierigste Teil der Pandemiebekämpfung leider noch bevorsteht. „Wir haben eine neue Pandemie, mit einem wesentlich aggressiveren Virus.“ Sie werde es jedenfalls nicht zulassen, dass die Zahl der Infektionen auf über 100.000 steigt. Und zählt auch gleich auf, was da noch kommen muss: weitere Kontaktreduzierung, Ausgangsbeschränkungen, Durchsetzung der Pflicht zum Homeoffice, obligatorische Schnelltests in Betrieben. Zur Not müsse das Infektionsschutzgesetz geändert werden. Damit könnte die Kanzlerin die bisherigen Runden mit den Länderchefs obsolet machen. Sie will offenbar ernst machen. Allerdings ist sie auch realistisch. „Nichts kann in dieser Republik entschieden werden ohne Bund und Länder.“ Auch für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes bräuchte Merkel den Bundesrat, also die Kammer der Länder.

Merkel wirkt in ihrem letzten großen Kampf glaubhaft. Den Lockdown-unwilligen Länderchefs redet sie heftig ins Gewissen. Da passt es, dass auch der neue Vorsitzende ihrer Partei, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, eine Breitseite abbekommt. Seine Weigerung, die abgesprochene Notbremse ab einer Inzidenz von 100 auch voll durchzusetzen, findet die Kritik seiner Vor-Vorgängerin. „Das erfüllt mich nicht mit Freude“, meint die Kanzlerin, als Moderatorin Will sogar von einem Bruch der Vereinbarung durch Laschet spricht. Ein wenig mildert Merkel ab. In Nordrhein-Westfalen werde „zu viel Ermessensspielraum gewährt“, moniert sie. Wer Merkel kennt, weiß, dass dies ein Rüffel erster Klasse ist. Denn normalerweise stellt sich die Kanzlerin vor ihre Parteifreunde.

Auch die angekündigte Lockerung der Maßnahmen im Saarland, wo der CDU-Ministerpräsident Tobias Hans die Regierung führt, ist nicht nach Merkels Geschmack. Die Fallzahlen im Saarland seien zwar niedriger als sonstwo, aber sie seien eben nicht stabil, sondern stiegen an. Deshalb, so Merkel, sei es nicht der Zeitpunkt, so etwas ins Auge zu fassen. „Es ist eine gewagte Ankündigung. Ich war nicht so glücklich darüber.“ Es passiert selten, dass gleich zwei CDU-Länderchefs von der Kanzlerin so kritisiert werden. Als empörend und absolut nicht akzeptabel findet sie auch das Verhalten einiger Unionsabgeordneter, die mit knappen Masken vor einem Jahr sich selbst die Taschen füllten.

Trotz aller neuer Fehlerkultur will Merkel indes die Kritik an der Impfstrategie nicht gelten lassen. „Wir haben gut gehandelt“, meint die Kanzlerin fast trotzig. Sie verweist auf die gemeinsame Bestellung („eine richtige Maßnahme“) und darauf, dass die Europäische Union doppelt so viele Impfdosen bestellt habe, als sie Einwohner hätte. Hier hätte Will nachhaken müssen. Denn die EU hat offenbar auf die falschen Impfstoffe gesetzt. Insbesondere der deutsche Hersteller Biontech hätte bekanntlich mehr geliefert. Stattdessen wirft sie erfolgreicheren Ländern wie den USA, Großbritannien und Israel indirekt nationalen Egoismus vor. „Israel hat seinen Impfstoff in Europa bestellt.“ Das war nicht ganz fair, denn die europäischen Länder hätten nur mehr ordern müssen.

Jetzt will die Kanzlerin freilich nach vorne schauen – die Bürger verlangten eine konsistente und konsequente Arbeit. Aber sie findet auch, dass das Glas halbvoll ist. „Wir müssen nicht in Sack und Asche gehen“, macht sie deutlich. Immerhin hätten alle Nachbarn mit Ausnahme Dänemarks mit noch schwierigeren Problemen zu kämpfen. Da war sie wieder, Deutschlands oberste Krisenmanagerin. Und sie erneuert ihr Versprechen, dass jedem Bewohner in Deutschland bis zum 20. September ein Impfangebot gemacht werde. Am Ende des zweiten Quartals, das am 30. Juni endet, sollen bereits 50 Millionen Menschen diese Offerte erhalten. Und sie gelobt Besserung, erwartet das aber auch von den anderen. „Wir sind zu perfektionistisch und wollen keine Fehler machen, weil es sonst Senge gibt“, sagt sie an die eigenen Leute, aber auch an die Menschen in Deutschland insgesamt. „Wir müssen eben noch flexibler werden.“

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