Möglicher Rückzug Seehofer und der (vielleicht) letzte Akt

München · Es ist das dramatische Ende einer achtstündigen Krisensitzung in München: Horst Seehofer bietet seinen Rücktritt als Bundesinnenminister und CSU-Chef an. Ob Seehofer tatsächlich von der politischen Bühne abtritt, entscheidet sich wohl am Montag.

 Horst Seehofer (Archiv).

Horst Seehofer (Archiv).

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Fast acht Stunden läuft das hochdramatische Ringen um Glaubwürdigkeit der CSU, um das Schicksal der Union und das Ende der Regierung - da legt CSU-Chef Horst Seehofer drei Optionen vor, um aus der Krise zu kommen.

Er neigt nach Teilnehmerangaben um kurz vor 23 Uhr zur radikalsten für ihn persönlich: Rücktritt als Bundesinnenminister, Rücktritt als Parteivorsitzender. Das will die engere Führung nicht akzeptieren. Sie beantragt eine Unterbrechung der Krisensitzung und verlangt von Seehofer Einzelgespräche, die Mit-Verantwortlichen wollen ihn noch einmal umstimmen. Er könne das „nicht akzeptieren“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

In der Nacht geht die CSU dann mit dieser Version an die Öffentlichkeit: Am Montag solle es ein weiteres Spitzengespräch zwischen CDU und CSU zum Asylstreit geben, sagt der ehemalige Parteichef Erwin Huber. Von dessen Ergebnis will Seehofer dann offenbar seine politische Zukunft abhängig machen. Der Rücktritt ist also vertagt.

Zugleich stützt die CDU-Spitze einmütig den europäischen Kurs von Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel. Einseitige Zurückweisungen von Migranten seien das falsche Signal an die europäischen Gesprächspartner, sagt CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am späten Abend in Berlin. Unklar ist bislang, ob die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU sowie die schwarz-rote Koalition damit vor dem Bruch stehen. Merkel hatte in der CDU-Krisensitzung am Abend bekräftigt, die Lage sei ernst. Sie lehnte nationale Alleingänge weiter strikt ab.

Was im Rest der Republik mit ungläubiger Fassungslosigkeit verfolgt wird, entwickelte an diesem Sonntag im Saal 1 an der Mies-van-der-Rohe-Straße 1 in München eine völlig andere Dynamik: Immer klarer erscheint den Mitgliedern von Parteivorstand und Landesgruppe, den von CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel geebneten Weg nicht zu betreten und bei der Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze auf ihrer Linie zu bleiben.

Dabei hatte sich auch Manfred Weber, CSU-Vize und Chef der Konservativen im EU-Parlament, bemüht, das Terrain für eine Verständigung in letzter Minute zu ebnen. Die CSU habe in den letzten Wochen „Europa gerockt“, gibt er beim Reingehen zu Protokoll. Die EU sei „wirklich einen großen Schritt voran“ gekommen. Dann kommt das große Aber, mit dem Weber alles offen lässt: „Allerdings ist auch klar, dass viele der Maßnahmen nur mittel- und langfristig wirken“, stellt der europäische Vorzeige-Christsoziale fest. Damit hat er bereits den Bogen zu Dobrindt gezogen.

Per Interview hat dieser zur finalen Entscheidung bei CDU und CSU „Zweifel“ angemeldet, ob die Beschlüsse der europäischen Staats- und Regierungschefs Realität werden. Wenig später lässt Seehofer hinter verschlossenen Türen die Bombe platzen. „Nicht wirkungsgleich“, lautet sein Urteil. Dass das von Merkel in Brüssel Erreichte die gleiche Wirkung entfalten wird wie die von Seehofer vorbereiteten Zurückweisungen an den Grenzen, war die Bedingung dafür, dass Regierung und Union nicht platzen. Kurznachrichten mit dem Daumen-runter-Emoji verlassen die Sondersitzung.

Denn Seehofer berichtet auch von der Stimmung vom Vorabend im Kanzleramt. „Wirkungslos“ sei das Treffen mit Merkel gewesen. Sie habe sich „null-Komma-null“ bewegt. Bald ist von einem Kompromissvorschlag der CSU die Rede, der „weitgehend“ gewesen sei und den Konflikt hätte befrieden können. Die CSU-Leute sind mit den CDU-Kollegen in Berlin in Kontakt und vernehmen verärgert, dass Merkel in dem parallel tagenden Spitzengremium der CDU darüber nichts berichtet habe.

Dass Seehofer zu allem entschlossen ist, wird bereits aus der Tischvorlage für alle Teilnehmer deutlich: Da liegt er, der Masterplan. Jenes 63-Punkte-Papier, das nun die Regierung, die Kanzlerschaft, die Einheit der Union, schlicht alles, was CDU und CSU wichtig ist, in Frage stellt. Über Wochen drehte sich der Streit jedoch um ein Papier, das nur Merkel, Seehofer und nach eigenem Bekunden auch Dobrindt hatten. Mehrfach erklärte Seehofer, dass er den Masterplan erst rausrücken werde, wenn er zwischen Kanzleramt und Innenministerium konsentiert sei. Dass er ihn nun allein den CSU-Vorständlern und -Abgeordneten auf die Tische legen lässt, und damit für zusätzliche Verärgerung der weiterhin ahnungslosen CDU-Kollegen beiträgt, spricht Bände zum weiteren Vorgehen.

Ist es Seehofers letzter Akt im Amt? Der „Masterplan Migration. Maßnahmen zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ wäre sein Vermächtnis, wenn er die Rücktrittsdrohung wahr macht. „22. 06. 2018“ steht auf dem Titel. Und der Name „Horst Seehofer, Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union.“ Nicht: Bundesinnenminister. Wohl am Montag wird sich zeigen, ob es dabei bleibt, ob die CSU einen neuen Vorsitzenden braucht. Und wie es mit Union, Regierung und Deutschland weitergeht.

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