Russische Invasion Ukraine spürt Folgen der russischen Einberufungswelle - Die Nacht im Überblick

Kiew · Der ukrainische Präsident spricht über die Folgen der russischen Einberufung auf das Kriegsgeschehen. Neue Entwicklungen im Bereich Energie könnten für Deutschland wichtig werden. Ein Überblick über das Geschehen in der Nacht.

Ein Mitglied der ukrainischen Streitkräfte nimmt in Hrakove zurückgelassene russische Munition auf.

Ein Mitglied der ukrainischen Streitkräfte nimmt in Hrakove zurückgelassene russische Munition auf.

Foto: dpa/Francisco Seco

Am heutigen Freitag ist für die Ukraine der 233. Tag des Abwehrkampfes gegen die russische Invasion. Am Donnerstagabend wurde die zweitgrößte Stadt der Ukraine, Charkiw, erneut mit russischen Raketen beschossen. Das meldeten die ukrainischen Behörden. Russische Marschflugkörper schlugen demnach auch im Westen des Landes in einem Militärobjekt bei der Stadt Solotschiw ein. Unabhängige Berichte über das Kriegsgeschehen fehlen jedoch. Offizielle Mitteilungen der Kriegsparteien können wiederum von Eigeninteressen gefärbt sein.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht seine Streitkräfte unter Druck durch den Zustrom von frisch mobilisierten Soldaten auf der russischen Seite. Zwar verheize Russland diese Männer nur als Kanonenfutter, trotzdem machten sie die Aufgabe für die ukrainischen Verteidiger schwieriger, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache am Donnerstag.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte im September eine Einberufung von 300.000 Soldaten angekündigt, um Verluste im Ukraine-Krieg auszugleichen. Tatsächlich trifft die „Teil-Mobilmachung“ aber alle Teile der russischen Gesellschaft. Hunderttausende Männer sind vor der Einberufung ins Ausland geflohen.

Die eingezogenen Soldaten werden nach Berichten oft ohne Ausbildung und schlecht bewaffnet an die Front geschickt. Am Donnerstag wurde der Tod von fünf solcher Männer aus dem sibirischen Gebiet Tscheljabinsk offiziell bestätigt. Andere Soldaten geraten schnell in ukrainische Gefangenschaft.

„Jetzt wirft Russland Tausende seiner mobilisierten Männer an die Front“, sagte Selenskyj. Dabei brauchten die russischen Kommandeure diese Soldaten gar nicht: „Sie erwarten, dass die mobilisierten Russen im Krieg zumindest ein paar Wochen überleben und dann sterben.“ Dann würden neue Soldaten geschickt. „Aber diese Zeit ermöglicht es den russischen Generälen, ihre Leute als Kanonenfutter zu benutzen, um zusätzlichen Druck auf unsere Verteidiger auszuüben.“

Der Druck sei spürbar. „Ich bin all unseren Soldaten dankbar, die das ertragen“, sagte der ukrainische Staatschef. Er danke auch den internationalen Partnern, die verstehen, dass die Ukraine unter diesen Bedingungen noch mehr Militärhilfe brauche.

Unterdessen macht die Ukraine Druck auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), sich stärker um ukrainische Soldaten in russischer Gefangenschaft zu kümmern. Bei einer Videoschalte gab der Chef des Kiewer Präsidialamtes, Andrij Jermak, dem IKRK eine Frist von drei Tagen, das russische Gefangenenlager Oleniwka bei Donezk zu besuchen. „Wir können nicht noch mehr Zeit vergeuden. Menschenleben stehen auf dem Spiel“, sagte er.

In Oleniwka waren im Juli mehr als 50 ukrainische Gefangene bei einer Explosion getötet worden. Die Ukraine geht davon aus, dass in dem Gebäude absichtlich eine Bombe gezündet wurde. Auch unabhängige Fotoanalysen der Zerstörungen legen dies nahe. Das IKRK hat es bislang nicht geschafft, Zutritt zu dem Lager zu bekommen. Selenskyj sagte, das IKRK habe das Recht auf Zugang und müsse ihn nutzen.

Weiterhin gibt es Versuche der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), für mehr Sicherheit im größten Atomkraftwerk Europas zu sorgen. IAEA-Chef Rafael Grossi, äußerte sich positiv nach Gesprächen mit den Präsidenten Russlands und der Ukraine zum Kernkraftwerk Saporischschja. „Die Arbeit geht weiter, und ich denke, dass wir gute Fortschritte machen“, sagte Grossi am Donnerstagabend in Kiew zu Plänen für eine Sicherheitszone um das umkämpfte ukrainische Atomkraftwerk. Konkrete Signale der Zustimmung von Moskau und Kiew gab es aber nicht.

Grossi hatte vorige Woche in Kiew Selenskyj getroffen. Dann reiste er diese Woche zu Putin nach St. Petersburg, der Gesprächsbereitschaft signalisierte. Am Donnerstag war der IAEA-Generaldirektor erneut in Kiew und sprach mit Außenminister Dmytro Kuleba.

Wladimir Putin - Präsident von Russland, eitel, autoritär, entschlossen
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Mit einem Füllstand von 95,14 Prozent haben die Gasspeicher in Deutschland am Donnerstagabend die zum 1. November vorgegebene Marke frühzeitig erreicht. Mengenmäßig reiche das Gas für ungefähr zwei kalte Wintermonate, sagte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. „Die gut gefüllten Speicher werden uns im Winter helfen.“

Zugleich betonte der Behördenchef, dass die Speicher nicht für die ganze Heizperiode ausreichten und zusätzliche Anstrengungen nötig seien. Dazu zählte er neue Flüssiggas-Terminals an Deutschlands Küste. Außerdem müsse die Gasversorgung auch in den Nachbarstaaten stabil bleiben, und der inländische Gasverbrauch müsse um mindestens 20 Prozent sinken, sagte Müller.

Russland stellt derweil die Pipeline-Lecks in der Ostsee als längerfristiges Problem dar. Der Vorstandsvorsitzende von Gazprom, Alexej Miller, sagt, ein großer Teil der beschädigten Nord-Stream-Pipelines müsste möglicherweise ersetzt werden. Dies berichtet die russische Nachrichtenagentur TASS mit Bezug auf einen Bericht im russischen Staatsfernsehen Channel One. Ein Abschnitt der Pipelines sei nun über eine beträchtliche Strecke mit Wasser gefüllt, zitiert TASS Miller. Laut Miller werden die Reparaturen an den beschädigten Nord-Stream-Pipelines mindestens ein Jahr dauern. Gazprom hatte bereits vor den Explosionen mehrmals Drosselungen seiner Gasliefermenge mit Reparaturarbeiten begründet.

Die Ursachen der Explosionen sind noch ungeklärt. Einem Bericht des „Spiegel“ zufolge hat die Bundespolizei ihre Mission zur Aufklärung des Sabotage-Angriffs auf die Ostsee-Pipelines Nord Stream beendet. Unter anderem haben die Beamten demnach mit Hilfe einer Drohne mehrere Bilder von der beschädigten Pipeline machen können. Diese würden nun ausgewertet.

Unterdessen wehrt sich Russland gegen deutsche Maßnahmen im Energiebereich. Im Streit über die Treuhandverwaltung der deutschen Rosneft-Töchter hat der russische Ölkonzern das Bundeswirtschaftsministerium verklagt. Das teilte die Berliner Kanzlei Malmendier mit. Die Voraussetzungen für eine Zwangsverwaltung lägen nicht vor. Der Fall unterscheide sich grundlegend von dem der Deutschlandtochter des Gaskonzerns Gazprom.

Rosneft komme seine Rohöllieferverpflichtungen in vollem Umfang nach. „Es gibt keine Lieferunterbrechungen und keine Leistungsstörungen“, argumentierten die Juristen. Die Bundesregierung hatte im September angekündigt, die Mehrheitseigner der brandenburgischen Raffinerie PCK in Schwedt in Brandenburg - zwei Rosneft-Töchter - unter staatliche Kontrolle zu bringen. Hintergrund ist ein geplantes Ölembargo gegen Russland, das ab 1. Januar greifen soll.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk verabschiedete sich via Twitter von Deutschland. „Ich kehre nach Hause zurück erhobenen Hauptes mit reinem Gewissen und dem Gefühl, meine Pflicht gegenüber der Ukraine erfüllt zu haben“, schrieb er am frühen Freitagmorgen. „Danke, liebe deutsche Freunde, für Ihre Geduld.“

Melnyk will Deutschland am Samstag verlassen. Er soll in Kiew einen neuen Posten im Außenministerium übernehmen. Sein Nachfolger Olexij Makejew wird bereits Anfang kommender Woche in Berlin erwartet. Selenskyj hatte Melnyk Mitte Juli von seinem Posten abberufen. Melnyk hatte sich nicht erst seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mit oft harter Kritik an der Bundesregierung einen Namen gemacht.

(peng/dpa)
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