Umstrittenes Gesetz Türkei führt Haftstrafen für Verbreitung von „Falschnachrichten“ ein

Ankara · Seit langem versucht der türkische Präsident Erdogan, seine Kritiker mundtot zu machen. Nun setzt seine Partei ein neues „Pressegesetz“ durch, das auch für soziale Netzwerke gilt. Vergeblich hatte sich die Opposition für die Meinungsfreiheit starkgemacht.

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, am Donnerstag in Kasachstan.

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, am Donnerstag in Kasachstan.

Foto: dpa/Vyacheslav Prokofyev

Das türkische Parlament hat am Donnerstagabend ein umstrittenes Gesetz gebilligt, das Haftstrafen für die Verbreitung „falscher oder irreführender Nachrichten“ vorsieht. Gerichte können damit akkreditierte Journalisten und normale Nutzer von sozialen Medien zu ein bis drei Jahren Gefängnis verurteilen. Acht Monate vor der Parlamentswahl verschärft die Regierung damit ihr ohnehin hartes Vorgehen gegen Medien.

Außer gegen Zeitungen, Radio und Fernsehen richtet sich das neue Gesetz vor allem gegen Online-Netzwerke und Online-Medien. Sie werden aufgefordert, Nutzer zu denunzieren und deren Daten weiterzugeben, denen die Verbreitung von „Falschnachrichten“ vorgeworfen wird.

Befürworter des Gesetzes argumentieren, Desinformation habe sich zu einer „ernsthaften Bedrohung“ für den Zugang zu „wahren“ Informationen entwickelt. Die Bekämpfung einer solchen „Bedrohung“ sei notwendig, um Grundrechte und Grundfreiheiten zu schützen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte soziale Medien in der Vergangenheit etwa als Bedrohung für die Demokratie bezeichnet.

Kritiker fürchten, das Gesetz könnte gegen Oppositionelle missbraucht werden. Außerdem sehen sie darin eine Bedrohung der Meinungsfreiheit.

Die Beratungen über das Gesetz hatten Anfang Oktober begonnen. Zu den 40 Artikeln des am Donnerstagabend verabschiedeten „Pressegesetzes“ hatte es zahlreiche Änderungsanträge der Opposition gegeben, die von einem „Zensurgesetz“ gesprochen hatte. Die Anträge wurden abgewiesen. „Dieses Gesetz erklärt der Wahrheit den Krieg“, sagte die Abgeordnete Meral Danis Bektas von der prokurdischen Oppositionspartei HDP.

Der Gesetzentwurf war im Mai von Abgeordneten der regierenden AKP von Präsident Erdogan eingebracht worden. Erdogan, der Kritiker seit langem mundtot zu machen versucht, will sich im kommenden Jahr im Amt bestätigen lassen. Es dürfte für ihn die schwierigste Wahl seit Beginn seiner Amtszeit vor fast zwei Jahrzehnten werden. Die Umfragewerte seiner Regierungspartei sind wegen einer galoppierenden Inflation und einer Währungskrise auf einem historischen Tief.

Journalistenverbände warnten, der Gesetzentwurf könne zu einem der strengsten Zensur- und Selbstzensurmechanismen in der Geschichte der türkischen Republik werden. Nichtregierungsorganisationen prangern ohnehin regelmäßig die Erosion der Pressefreiheit in der Türkei an. In der Rangliste der Pressefreiheit, die von der Organisation Reporter ohne Grenzen erstellt wird, liegt die Türkei aktuell auf Platz 149 von 180.

(peng/AFP/Reuters/dpa)
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