Bericht aus einem Dorf Getreidefelder in der Ukraine liegen wegen des Krieges brach

Hordynia · Der Krieg trifft auch die Landwirtschaft der Ukraine hart, auf die viele arme Länder dringend angewiesen ist. Neben Lebensmittel-Knappheit droht diesen auch politische Instabilität.

 Ein zerstörtes russisches Militärfahrzeug auf einem Maisfeld in der Nähe von Kiew.

Ein zerstörtes russisches Militärfahrzeug auf einem Maisfeld in der Nähe von Kiew.

Foto: dpa/Rodrigo Abd

Die Anbausaison hat begonnen in der Ukraine, die gefrorenen Böden sind aufgetaut. Doch auf den Äckern der Familie Pawlowytsch regt sich nichts. Vor gut einer Woche erfuhren Roman und Maria Pawlowytsch, dass ihr 25-jähriger Sohn als Soldat in der Nähe der belagerten Stadt Mariupol getötet wurde. Am Dienstag muss der Vater selbst in den Krieg ziehen.

„Die Front ist voll mit unseren besten Leuten“, sagt die Mutter. „Und jetzt sterben sie.“ Maria Pawlowytsch sitzt im warmen Backsteinhaus der Familie weinend im Zimmer ihres Sohnes, der wie sein Vater Roman hieß, vor sich hat sie Medaillen und Fotos ausgebreitet.

 Maria Pawlowytsch weint in Erinnerung an ihren 25-jährigen Sohn, den Soldaten Roman Pawlowytsch, der in der Nähe der belagerten Stadt Mariupol getötet wurde.

Maria Pawlowytsch weint in Erinnerung an ihren 25-jährigen Sohn, den Soldaten Roman Pawlowytsch, der in der Nähe der belagerten Stadt Mariupol getötet wurde.

Foto: dpa/Nariman El-Mofty

Die Pawlowytschs wissen, dass eine zweite Kriegsfront durch das Agrarland hier im Westen der Ukraine verläuft – weit entfernt vom täglichen Widerstand gegen die russische Invasion. Es ist ein schwerer Kampf für die Bauern, die nicht nur ihr Land, sondern die Welt ernähren.

Ein Drittel der Weizen- und Gerstenexporte weltweit stammt aus der Ukraine und aus Russland. Millionen Menschen in Nordafrika, im Nahen Osten und Teilen Asiens drohen ihren Zugang zu den bezahlbarem Getreide zu verlieren, das sie für Brot und Nudeln brauchen. Lebensmittelknappheit und politische Instabilität könnten in jenen Ländern möglich sein, die auf Weizen aus der Ukraine angewiesen sind. Dazu zählen etwa Indonesien, Ägypten, der Jemen und der Libanon.

Es ist unklar, wie viele Landwirte angesichts des Kriegs Anbau und Ernte werden aufrechterhalten können, wenn viele Männer wie Pawlowytsch einberufen werden. Und die Schwierigkeiten nehmen weiter zu. Häfen und Straßen sind beschädigt, ebenso wie landwirtschaftliches Gerät. Wichtige Güter wie Treibstoff sind schwer zu bekommen und Exportrouten nahezu unerreichbar. Düngemittel-Hersteller können wegen der Kämpfe kaum weiter produzieren.

„Wie können wir unter den Einschlägen der russischen Artillerie aussäen?“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kürzlich in einer Ansprache. „Wie können wir aussäen, wenn der Feind absichtlich unsere Felder vermint, Treibstofflager zerstört? Wir wissen nicht, welche Ernte wir haben werden und ob wir werden exportieren können.“

Ein Flughafen in der Nähe des Pawlowytsch-Hofs wurde in den ersten Tagen des Krieges bombardiert. In angrenzenden Feldern liegen jetzt Blindgänger, vor denen Schilder warnen. Die Bauern hier in der nordwestlichen Region Lwiw (Lemberg) nahe der polnischen Grenze, weit entfernt vom Herzen der sogenannten ukrainischen Kornkammer im Süden, wurden nach Angaben des regionalen Landwirtschaftsverbands aufgerufen, alle in Frage kommenden Ackerflächen zu bebauen.

Doch sie werden nicht dieselbe Erntemenge wie in Vorkriegszeiten erreichen. Statt mehr als 80 Millionen Tonnen Getreide wie früher rechne man nun mit mehr als 50 Millionen Tonnen, sagt Verbandschef Ivan Kilgan. Vielfach fehle es an Düngemittel. „Wenn die Welt ukrainisches Brot will, muss sie uns damit helfen“, sagt er.

UN-Generalsekretär António Guterres hat die Staatengemeinschaft aufgerufen, einen „Hurrikan des Hungers“ abzuwenden. Das Welternährungsprogramm bezieht etwa die Hälfte seines Weizens aus der Ukraine.

Weizen aus anderen Ländern sei teurer, was arme Haushalte weltweit treffen werde, erklärt Megan Konar, Expertin für den Welthandel mit Lebensmitteln an der Universität von Illionis. Betroffen sei daneben auch der Maisanbau, der im Frühling beginne.

Um die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern, beschränkte die ukrainische Regierung bereits den Export von Hafer, Hirse, Buchweizen, Zucker, Salz, Roggen, Rindern und Fleisch. Weizen, Mais, Hühnchenfleisch, Eier und Sonnenblumenöl können mit speziellen Lizenzen weiter ausgeführt werden.

Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben indes drängendere Sorgen als die Ernte. Von 14.500 Einwohnern der landwirtschaftlich geprägten Ortschaften in diesem Teil der Region Lwiw wurden nach Behördenangaben bislang etwa 500 zum Militärdienst verpflichtet. Roman Pawlowytsch war das erste Todesopfer aus seinem Dorf.

Was ihm genau widerfahren ist, wissen seine Eltern nicht. Der erste Hinweis auf sein Schicksal war das Eintreffen seiner persönlichen Gegenstände mit der Post. Eine halbe Stunde später wurde die Familie über seinen Tod informiert, wie seine Mutter erzählt.

Roman war ein leidenschaftlicher Landwirt, wie die Eltern sagen. Selbst vom Kampfgebiet aus gab er seinen Eltern noch Tipps etwa zum diesjährigen Kartoffelanbau. Zu seinem Vater sagte er, dass er zu Hause und auf dem Acker nützlicher wäre als im Kampf.

Jetzt liegen diese Äcker brach. „Wir haben keine Zeit“, sagt sein Vater. Die Mutter steht derweil draußen neben dem Tor und blickt auf die umstehenden Nadelbäume. „Diese Bäume sind mit ihm gewachsen“, sagt Maria Pawlowytsch über ihren Sohn. Jetzt gehe sie zusammen mit seiner Freundin zum Friedhof.

(peng/dpa)
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