Nachbesetzung im Verteidigungsministerium Worauf es im Ministeramt wirklich ankommt

Analyse · Boris Pistorius folgt im Kabinett auf SPD-Parteikollegin Christine Lambrecht. Dass der bisherige Innenminister Niedersachsens selbst gedient hat, spricht weder für noch gegen ihn. In dieser Funktion sind ganz andere Stärken gefragt.

 Der neue Verteidigungsminister: Boris Pistorius (SPD) erklärt sich vor der Presse.

Der neue Verteidigungsminister: Boris Pistorius (SPD) erklärt sich vor der Presse.

Foto: dpa/Moritz Frankenberg

Mit einem wohl überlegten Gag absolvierte Boris Pistorius seinen ersten Auftritt vor der Presse nach Bekanntwerden seines neuen Postens als Bundesverteidigungsminister. Ja, er sei damals Anfang der 80er Wehrpflichtiger gewesen, erzählt Pistorius, und er habe den Gepard-Panzer fahren sollen, über den jetzt angesichts des Angriffskrieges in der Ukraine so viel geredet wird. Allerdings habe der Kommandeur der betreffenden Steuben-Kaserne in Achim bei Bremen gerade auch einen Fahrer gesucht, „dann bin ich Fahrer des Kommandeurs geworden“, so Pistorius in unaufgeregter Hannoveraner-Attitüde.

Worauf der scheidende Innenminister Niedersachsens hinaus will, ist klar. Andernfalls hätte er diese Anekdote ohne Not auslassen können. Offenbar ist es ihm aber ein Anliegen, hohe Erwartungen an rein fachlich-praktischen Kenntnissen zur Bundeswehr von vorn herein zu dämpfen. Debatten über seine Eignung als Minister der Truppe auf eine andere Ebene zu lenken als die strikt militärische. Weshalb er wohl auch Sätze betont wie: „Die Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich, wann immer es nötig ist, vor sie stellen werde.“ Loyalität als wichtiges Minister-Mitbringsel.

Die Frage, ob ein Kabinett nach Fachkompetenz besetzt werden soll, erhitzt oft die Gemüter. Politisch gesehen ist es keine Voraussetzung, dass ein Minister oder eine Ministerin spezielle Vorkenntnisse in ihrem Ressort besitzen müsste. Natürlich können ein Ökonom als Wirtschaftsminister, ein Jurist als Innenminister oder ein Mediziner als Gesundheitsminister hilfreich sein. Am Beispiel Karl Lauterbach aber zeigt sich, dass das allein kein Selbstläufer ist. Der studierte Epidemiologe und promovierte Gesundheitsökonom ist für viele trotz bester Fachkenntnisse nicht der Richtige an der Spitze des Gesundheitsministeriums. Zu wenig Führungsstärke, zu viel Medienpräsenz wurden Lauterbach schon vorgeworfen, bevor er Ende 2021 überhaupt ins Amt kam.

Zudem gibt es genügend Beispiele tatkräftiger Amtsträger, die sich in ihr Fachgebiet eingearbeitet und wichtige Vorhaben durchgesetzt haben. Der Sozialdemokrat Peter Struck, Jurist und Vollblutpolitiker, galt als fähiger Verteidigungsminister, obwohl er vor seiner Amtsübernahme kaum Expertise auf diesem Gebiet hatte. Der Grüne Joschka Fischer hat sich als Autodidakt glänzend in die Außenpolitik eingearbeitet, der Historiker Gerhard Stoltenberg (CDU) sanierte erfolgreich in den 80er Jahren den Bundeshaushalt.

Der Wunsch nach Spezialisten für die Fachressorts verkennt oft das Politische. Ein demokratisches Kabinett, so hat es der Jahrhundert-Ökonom und einstige österreichische Finanzminister Joseph Alois Schumpeter aufgeschrieben, ist meistens eine Koalition, in dem verschiedene politische Strömungen und Machtgruppen zusammenkommen. Da repräsentiert eine Politikerin die Arbeitnehmerseite, ein anderer Minister die Unternehmerschaft, ein dritter die Ökologiebewegung, eine vierte die Wissenschaft und so weiter. Auch regionale Strömungen, Konfessionen, Alter und Geschlecht spielen schon immer eine Rolle, mal stärker, mal schwächer.

Für Schumpeter kommt es darauf an, dass der jeweilige Protagonist seine Machtgruppe gut vertritt, sich politische Unterstützung sichert und kompromissfähig ist. Will er oder sie erfolgreich sein, muss diese Person ihr Haus im Griff haben, sich die Expertise der Beamtinnen und Beamten sichern und die Interessen des Ressorts am Kabinettstisch vertreten. Wenn dann noch Fachkenntnis hinzukommt, ist umso besser. Es kann aber auch Probleme verursachen, wenn der Minister wie etwa Bundesgesundheitsminister Lauterbach glaubt, es besser als seine gesamte Beamtenschaft zu wissen. Das führt gelegentlich zu einem Kleinkrieg mit den Spezialisten im Hause. Die fühlen sich nicht adäquat behandelt und lancieren womöglich Peinlichkeiten oder Unsicherheiten aus dem Haus.

Gerade in einer Regierungskonstellation aus drei Parteien, die sich untereinander nicht alle ganz grün sind, zählen daher andere Qualitäten am Kabinettstisch: Kommunikationstalent, Planungsstärke, Kritik- und Konfliktfähigkeit nach außen sind ebenso wichtig wie Empathie und Teamfähigkeit im eigenen Ressort. Ein Minister muss eine schnelle Auffassungsgabe besitzen, gut Argumente zusammenfassen und delegieren können. Und er muss durchsetzungsfähig sein. Alle Fachkenntnis nützt nichts, wenn er am Verhandlungstisch im Kampf um Etats und Prioritäten unterliegt.

In seinem berühmten Vortrag „Politik als Beruf“ machte sich Soziologe Max Weber schon 1919, also in politisch höchst aufgewühlten Zeiten, Gedanken über Qualitäten, die moderne Politiker mitbringen müssen. Er unterscheidet zwischen jenen, die für die Politik und jenen, die von der Politik leben, sieht aber gleich, dass moderne Politiker beide Anteile in sich tragen: die Leidenschaft für politische Ziele und die sachliche Arbeit  gegen ein Gehalt, das sie unabhängig macht. Boris Pistorius gilt als leidenschaftlicher, durchsetzungsstarker Politiker mit einigen Berührungspunkten zur Bundeswehr.

Zu den wichtigsten Eigenschaften moderner Politiker zählen nach Max Weber nüchterne Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und distanziertes Augenmaß. Für die größte Schwäche hält er Eitelkeit, weil sie den Politiker zu unsachlichen Entscheidungen verleite. Insofern ist Pistorius, der sich als Chauffeur statt Kommandeur selbst auf die Schippe nimmt, gar nicht so verkehrt.

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