Neuer Anlauf bei Organspendereform Die Widerspruchslösung ist keine Lösung

Meinung | Düsseldorf · Die Zahlen zur Spendebereitschaft sind erschreckend. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dringt deshalb auf grundlegend neue Regularien. Warum sein Vorschlag zu rigoros ist und welche Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind.

Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplantation vorgesehenen Organen wird am Eingang eines OP-Saales vorbeigetragen.

Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplantation vorgesehenen Organen wird am Eingang eines OP-Saales vorbeigetragen.

Foto: dpa/Soeren Stache

Organspende ist so lange ein abstrakter Begriff, bis es einen geliebten Menschen aus dem engsten Umfeld oder einen selbst betrifft. Die Verunsicherung, die Verzweiflung und der zeitliche Druck nach schlimmen Diagnosen oder dem Tod eines Angehörigen zwingen zu Entscheidungen, für die es das Gegenteilig braucht: Ruhe, Klarheit, Besonnenheit. Es geht dann plötzlich um Menschenleben und die Frage, inwieweit man bereit ist Verantwortung zu übernehmen – und für wen.

Organe zu spenden, ist oft keine Frage, die sich Menschen in der Theorie stellen. Diesen Schluss lässt die jüngste Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zu: Demnach stehen 84 Prozent der Deutschen der Organspende grundsätzlich positiv gegenüber. Trotzdem gibt es in der Bundesrepublik nur rund eine Million registrierte potenzielle Spender. Auch die Meldung der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) von diesem Montag ist ernüchternd: Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Organspender insgesamt um 6,9 Prozent gesunken, statt 933 Personen wie noch 2021 spendeten im Jahr 2022 nur 869 eines oder mehrere Organe. Dabei warten derzeit 8500 Menschen auf ein Spenderorgan.

Der häufigste Grund, warum die oft überlebenswichtigen Organspenden nicht erfolgten, ist laut DSO die fehlende Einwilligung. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will deshalb einen neuen Versuch starten, die Widerspruchslösung einzuführen, die vor drei Jahren im Bundestag gescheitert war. Damit würde jeder per se als Spender gelten, der nicht aktiv widersprochen hat. Für viele Menschen ist der Vorschlag bei dem sensiblen Thema verständlicherweise zu rigoros, sie fürchten einen zu großen Eingriff in die Selbstbestimmtheit – einen Kontrollverlust nach dem eigenen Tod. Die Skandale rund um den Organhandel einzelner Mediziner vor zehn Jahren trugen nicht gerade zu mehr Vertrauen bei. Auch wenn diverse Kampagnen der Bundesregierung gegensteuern sollten.

Die Widerspruchslösung in ihrer Absolutheit ist deshalb keine Lösung; auch eine Mehrheit im Bundestag dafür zeichnet sich nicht ab. Stattdessen sollte der Fokus noch stärker auf Aufklärung gelegt werden: etwa mit verpflichtenden Infotagen an weiterführenden Schulen oder Kooperationen von Arbeitgebern und Krankenversicherungen. Vor allem aber müssen die Hausarztpraxen stärker eingebunden werden. Ein regelmäßiges verpflichtendes Beratungsgespräch zum Thema Organspende sollte umsetz- und zumutbar sein. Durch eine entsprechende Gesetzesänderung können Hausärzte und -ärztinnen bereits seit 2022 ein Beratungsgespräch alle zwei Jahre zum Thema Organ- und Gewebespende als Kassenleitung abrechnen. Offenbar ohne großen Effekt. Ausschließlich auf Freiwilligkeit zu setzen, kann beim Thema Organspende auch nicht die Lösung sein.

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