Twitter, Facebook und Co. in der Kritik Die Radikalisierungsmaschinen

Analyse · Beim Sturm auf das US-Kapitol schwappten Gewalt und Hass vom Netz auf die Straße. Facebook, Twitter und Co. stehen schon lange in der Kritik, zu wenig gegen die Probleme zu tun. Das hat Folgen.

 Der Twitter-Account von Donald Trump im Jahr 2017 – damals noch mit deutlich weniger Followern als den rund 80 Millionen aktuell.

Der Twitter-Account von Donald Trump im Jahr 2017 – damals noch mit deutlich weniger Followern als den rund 80 Millionen aktuell.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Zunächst schien es, als würden die sozialen Netzwerke die Freiheit bringen. Knapp zehn Jahre ist es her, dass sich viele junge Menschen auf dem Tahir-Platz in Kairo versammelten, um gegen das Regime von Machthaber Husni Mubarak zu protestieren. Die Proteste in Ägypten wurden 2011 auch über das Internet organisiert, über junge Plattformen wie Twitter und Facebook, die angetreten waren, um die Menschen der Welt einander näher zu bringen, sie machten jede einzelne Stimme sichtbar.

Heute scheint es, als würden die sozialen Netzwerke unsere Freiheit bedrohen. Keine 48 Stunden ist es her, dass Anhänger des noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump das Kapitol in Washington stürmten. Die Proteste 2021 wurden vom Präsidenten zuvor angeheizt über etablierte Plattformen wie Facebook und Twitter, bei denen längst nicht mehr klar ist, ob sie Segen oder Fluch für die Menschheit sind.

Die Ereignisse in Washington haben die Debatte über die Macht und die Verantwortung sozialer Netzwerke neu entfacht. Denn nachdem sie bereits 2016 eine unrühmliche Rolle bei der Präsidentschaftswahl einnahmen, weil sie russischen Akteuren Propaganda zugunsten von Donald Trump ermöglichten, stehen sie auch knapp fünf Jahre später nach seiner Abwahl wieder in der Kritik.

Der Vorwurf: Twitter & Co. haben zu lange zugelassen, dass der Präsident und seine Anhänger sich gegenseitig aufstacheln. Sie haben Lügen markiert, anstatt sie zu löschen. Sie haben halbherzig agiert, anstatt ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Die „New York Times“ berichtet, dass sich die Anhänger beim Sturm auf den Sitz des US-Kongresses gezielt über Netzwerke wie „Gap“ und „Parler“ abgesprochen haben. Diese sind in Europa eher unbekannt, werden in den USA aber von Ultrarechten genutzt. Die Menschen hätten sich in den Netzwerken darüber ausgetauscht, welche Wege man nutzen sollte, um die Polizei zu umgehen, und welche Werkzeuge benötigt würden, um die Türen aufzubrechen. Kurzum: Wurden soziale Netzwerke 2011 in Ägypten genutzt, um einen Protest gegen ein undemokratisches System zu orchestrieren, wurden sie nun genutzt, um ins Herzen der US-Demokratie vorzudringen. Der Hass und die Aufrufe zur Gewalt, die seit Monaten im Internet verbreitet wurden, wurden in den USA plötzlich zu physisch erlebbarer Realität.

Und das ist nicht das erste Mal. In Indien wurden Menschen zu Tode geprügelt, nachdem sich in sozialen Netzwerken die Lüge verbreitete, es handele sich um potentielle Kindesentführer. Der Nachrichtendienst Whatsapp schränkte anschließend die Möglichkeiten zur Weiterleitung von Nachrichten ein. In Deutschland wiederum wurden soziale Netzwerke spätestens seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 immer stärker dafür genutzt, rechtsextreme Weltanschauungen zu verbreiten. In der aktuellen Corona-Pandemie sind sie (und dazu gehören auch Video-Portale wie Youtube) darüber hinaus Nährboden für Verschwörungstheorien geworden. Auch den Versuchen im Sommer, während einer Demonstration das Berliner Reichstagsgebäude zu stürmen, gingen Falschinformationen und Gewaltaufrufe in sozialen Netzwerken voraus – wobei speziell die Messenger-App Telegram genutzt wurde.

Facebook und Twitter haben in den vergangenen Monaten damit begonnen, aktiver gegen Hass und Hetze im Netz vorzugehen. Nutzerkonten wurden gelöscht (woraufhin sich die Nutzer einfach in anderen Netzwerken organisierten) und selbst Nachrichten von US-Präsident Donald Trump kennzeichnete man als Falschinformation. Nach dem Sturm auf das Kapitol sperrten Twitter und Facebook den Account von Trump zunächst für einige Stunden komplett. Am Donnerstag kündigte Facebook-Chef Mark Zuckerberg an, dass der Account von Trump bis auf Weiteres gesperrt bleibe. Man habe Trump die Nutzung der Plattform in der Vergangenheit erlaubt, weil man überzeugt sei, dass die Öffentlichkeit einen möglichst breiten Zugang zur politischen Debatte haben solle, begründete Zuckerberg das Vorgehen in der Vergangenheit. Nun seien die Risiken zu groß.

Es ist in der Tat eine Herausforderung für Facebook & Co., einerseits die Meinungsfreiheit zu schützen und dennoch aktiv gegen Hass und Hetze im Netz vorzugehen. Zuletzt zeigte eine Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, dass das Löschen von Accounts („Deplatforming“) effektiv die Kraft zur Mobilisierung rechtsextremer Akteure einschränkt.  Doch wo hört Meinungsfreiheit auf und wo fängt Zensur an? Diese Frage ist nicht immer leicht zu beantworten.

Der Gebrauch sozialer Netzwerke ist für Nutzer kostenlos. Das Geld verdienen die Unternehmen mit Werbung. Dadurch gibt es einen Anreiz, die Menschen möglichst lange auf der Plattform zu halten – ohne Verantwortung für die Inhalte übernehmen zu müssen.

Die Netzwerke zeigen ihren Nutzern daher Beiträge, die sie interessieren. Doch Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Netzwerke wie Youtube die Menschen radikalisieren können, weil sie immer extremere Beiträge ausspielen, um die Aufmerksamkeit zu steigern.

Diese negativen Auswüchse verstellen inzwischen häufig den Blick auf die großen Chancen und Vorteile, die mit sozialen Netzwerken einhergehen. Die direkte Kommunikation ermöglicht Nutzern, eigene Reichweiten aufzubauen für ihre Themen – so können sich etwa Selbsthilfegruppen finden. Umgekehrt können auch kleine Unternehmen über soziale Netzwerke mit Werbung gezielt potenzielle Kunden ansprechen, für die etwa Werbung im Fernsehen zu teuer gewesen wäre.

Weil die sozialen Netzwerke bislang nicht in der Lage waren, die Probleme zu lösen, versucht nun die Politik, einen Rahmen zu setzen, in dem die Vorteile zur Geltung kommen, die negativen Effekte jedoch geringer werden. So arbeitet die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD in Deutschland an einem Gesetz gegen Hass und Rechtsextremismus im Netz. Die Novelle soll nun nach den Eindrücken aus den USA im Eilverfahren verabschiedet werden. „Die Erstürmung des Kapitols macht noch einmal deutlich, welche Wirkungsmacht den sozialen Netzwerken innewohnt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Thorsten Frei. Es habe sich gezeigt, dass aus Worten bei Twitter, Facebook und anderen sozialen Netzwerken schließlich Taten werden. Deshalb sei es notwendig, die Straftaten, die in diesem Raum begangen würden, konsequent zu verfolgen. „Dazu ist unser Gesetz da“, erklärte Frei.

Und auch die Europäische Kommission plant mehr Regeln für Digitalkonzerne im Rahmen des „Digital Services Act“. Er soll unter anderem für einen besseren Schutz der Grundrechte sorgen. Die Digitalkonzerne rüsten bereits zur Lobby-Schlacht, doch der Sturm auf das Kapitol könnte auch für sie ein Weckruf gewesen sein, dass in einigen Punkten gehandelt werden muss. Verschwinden werden soziale Netzwerke nicht mehr. Aber sie müssen besser funktionieren.

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