Serie „Humbug“ Macht klassische Musik den Menschen klüger?

Düsseldorf · Durch das Hören von klassischer Musik – vornehmlich von Mozart – soll beim Lernen die Leistung steigen. Das geht aus einer Studie aus dem Jahr 1993 hervor. Doch was ist dran am sogenannten Mozart-Effekt – und was daran ist kompletter Humbug?

 Das Erlenen eines Instruments kann bei der Entwicklung förderlich sein (Symbolbild).

Das Erlenen eines Instruments kann bei der Entwicklung förderlich sein (Symbolbild).

Foto: dpa/Angelika Warmuth

Etwa zehn Minuten eine Mozart-Klaviersonate hören und damit gleich den Intelligenzquotienten erhöhen– wäre das nicht schön? In einer Studie aus dem Jahre 1993 wird behauptet, dass klassische Musik die Hirnleistung steigere. Insbesondere werde die Intelligenz bei denjenigen gefördert, die ein Instrument spielen oder regelmäßig Klassikkonzerte besuchen. Aber stimmt das?

Was wird behauptet?

Vor knapp drei Jahrzehnten horchte die Fachwelt auf, als die US-Psychologin Frances H. Rauscher von der University of California in Irvine berichtete, dass einige ihrer Studenten, die für zehn Minuten einer Klaviersonate von Mozart gelauscht hatten, räumliche Aufgaben und Tests besser lösen konnten. Diejenigen, die vorher Mozart gehört hatten, schnitten demnach am besten ab und waren den anderen um einige IQ-Punkte voraus. Sie zeigten in den Studien beispielsweise ein besseres Erinnerungsvermögen. Auch die Sprachfähigkeit habe sich durch das Hören klassischer Musik verbessert, hieß es. Seitdem ist das Phänomen als „Mozart-Effekt“ bekannt. Unter dieser wissenschaftlichen Hypothese werden seither alle möglichen Arten von kognitiven Leistungssteigerungen verstanden, die offenbar auf klassische Musik und insbesondere auf die Exposition Sonate D-Dur von Mozart zurückführen.

Woher kommt die Theorie?

Das Konzept des Mozart-Effekts wurde erstmals in dem Buch „Pourquoi Mozart?“ vom französischen Forscher Alfred A. Tomatis behandelt. Erst danach hatten Forscher der University of California diesen Effekt aufgegriffen und weitergeführt. Schließlich gewann die Studie durch die Veröffentlichung der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ eine breite Öffentlichkeit. Der Name „Mozart-Effekt“ entstand letztendlich in der journalistischen Berichterstattung über die Studie.

Im Nachhinein wurde der Begriff von dem Autoren Don Campbell patentiert. Mit dem populärwissenschaftlichem Buch „Mozart Effect: Tapping the Power of Music to Heal the Body, Strengthen the Mind and Unlock the Creative Spirit“ trug der US-Amerikaner maßgeblich zur Bekanntheit des Phänomens bei.

Wie verbreitet ist die Theorie?

Nachdem der Mozart-Effekts durch die Medien bekannt wurde, schenkten zum Beispiel die Politiker in zwei US-Bundesstaaten zur Geburt eines Babys den Erziehungsberechtigten eine Mozart-CD. In Florida sollen Kinder sogar im Kindergarten täglich eine Stunde Mozart gehört haben. Aber auch ungeborene Babys sollten mit der klüger machenden Musik in Kontakt kommen. So beschallen noch heute Schwangere ihre ungeborenen Kinder bereits im Mutterleib mit Musik des österreichischen Komponisten.

Aufgrund einer neuen Studie aus Finnland kam die Debatte 2015 erneut auf. Forscher der Universität in Helsinki hatten die Wirkung von klassischer Musik auf das Gehirn untersucht. Ihren Ergebnissen zu folge erhöhe das Hören eines Mozart-Violinkonzerts die Genaktivität – dadurch könnten zum Beispiel Fähigkeiten wie das Lern- und Erinnerungsvermögen verbessert werden. Dieser Effekt zeigte sich aber nur bei den musikalisch geschulten Versuchspersonen. Außerdem ließe die Studie weitere Fragen offen, wie etwa, ob sich die beobachteten Effekte auch mit anderen Musikgenres erzielen lassen.

Was ist dran?

Die These, dass Musik Menschen klüger macht, lässt sich heute so nicht mehr halten. Laut neuen Studien seien in der damaligen Untersuchung der University of California Fehler in der Methodik vorzuweisen, die den IQ-steigernden-Effekt inzwischen infrage stellen. Der Effekt bei den Studierenden, die beim Hören von klassischer Musik, in den Tests um ein paar IQ-Punkte besser abschnitten, habe nicht lang angehalten, heißt es. Der Effekt hielt offenbar nur eine Viertelstunde an, danach sei der „Intelligenz-Boost“ verpufft. Zudem bestehe zwischen musizierenden Menschen und denjenigen, die nur Musik hören, ein erheblicher Unterschied. Trotzdem sind viele Anhänger dieser These überzeugt davon, dass eine gezielte Berieselung mit klassischer Musik die Intelligenz erhöhe.

Was sagen die Experten?

Auch wenn sich die Idee vom Intelligenzdoping per Tonträger hartnäckig hält, gilt der Effekt mittlerweile als widerlegt. „Ich denke, die These ‚Mozart macht schlau‘ ist eine unzulässige Verkürzung der wissenschaftlichen Untersuchungen“, sagt Dr. Ulrich Leisinger, Musikwissenschaftler und Leiter des Mozarteums in Salzburg. Das Problem bei der ursprünglichen Studie der University of California sei, dass die Effekte nicht replizierbar waren und deshalb der Mozart-Effekt kontrovers diskutiert wird, erklärt Leisinger. Des Weiteren halte beim Experiment die Wirkung nicht lange an – soll heißen: Letztendlich wurde nicht die Intelligenz der Probanden erhöht, sondern nur ihre Befähigung, bestimmte Aufgaben schneller und besser zu lösen.

Somit könne man daraus nicht schlussfolgern, dass man beim Lernen von Musik auch beispielsweise besser in Mathematik, Physik oder Chemie wird, so Leisinger. Kinder und Jugendliche, die in diesen Schulfächern schlecht abschneiden, sollten in diesen Fächern in Form von Nachhilfeunterricht zum Beispiel gefördert werden. Daher seien Längsschnittstudien nach Einschätzungen von Leisinger in diesem Bereich sehr komplex: „Selbst, wenn eine Korrelation besteht, ist eine Kausalität unwahrscheinlich“. Das heißt, wenn jemand Geige spielt und ein Genie in Physik ist, heißt das nicht, dass er ein Genie in Physik ist, weil er Geige spielt. Dieser Fall, der sich an Albert Einstein anlehnt, weil er auch Geige spielte – aber auch viele weitere Fälle, wie zum Beispiel der Physiker Max Planck der Klavier, Cello und Orgel spielte – scheinen den oft behaupteten Zusammenhang zwischen Intelligenz und dem Erlernen eines Musikinstruments zu belegen. So spricht man bei gleichzeitigem Auftreten zweier Phänomene von einer Korrelation und bei einer ursächlichen Abhängigkeit, als einer Ursache-Wirkung-Beziehung, von einer sogenannten Kausalität.

Leisinger betont weiter: „Positive Effekte sind eben nicht spezifisch auf Mozart zurückzuführen.“ Doch die Wahl des Musikstücks könne durchaus einen positiven Effekt auf die Aufmerksamkeit haben. Bei der im Experiment verwendeten Sonate von Mozart (für zwei Klaviere KV 448) handle es sich um ein angenehmes und nicht um ein aufregend empfundenes Instrumentalstück. „Speziell dieses Werk, aber auch vergleichbare Stücke, erzeugen eine positive Grundstimmung, sodass die Gehirnaktivität angeregt wird. Dadurch ist eine bessere kognitive Leistung möglicherweise zu erwarten, aber keine höhere Intelligenz“, sagt Leisinger.

Dennoch sollte man nicht vergessen, dass das Erlernen eines Instruments bei der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hilfreich und förderlich ist. „Aktives Musizieren hat viele Vorteile. Dazu gehören Koordination, vorausschauendes Denken und Vorstellungsvermögen, Konzentrationsfähigkeit und Sensomotorik, aber auch emotionale sowie soziale Funktionen“, erklärt Leisinger. Insbesondere gemeinschaftliches Musizieren fördere das gegenseitige Zuhören und Reagieren, die Selbstkontrolle und die Disziplin. Für die Entwicklung von jungen Menschen alles wichtige Eigenschaften. Allerdings könnten diese Eigenschaften, so Leisinger weiter, auch durch andere Aktivitäten gefördert werden, wie zum Beispiel durch Sportarten, die hohe Präzision und andauernde Konzentration erfordern. „Um in einem Schulfach bessere Leistungen zu erbringen, nützt es wenig, Klavier zu spielen, aber um die Disposition fürs Lernen zu verbessern, ist Musik sehr hilfreich – es muss aber nicht immer Mozart sein“, sagt Leisinger.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort