Neue Folge im „Humbug“-Podcast Verursacht Impfen Autismus?

Düsseldorf · Impfen verhindert keine Krankheiten, es macht krank. Das behaupten Impfgegner immer wieder. So soll der Masern-Impfstoff MMR bei Kindern Autismus auslösen. Die neue Folge „Humbug“.

 Ein Kinderarzt impft ein Einjähriges gegen Masern.

Ein Kinderarzt impft ein Einjähriges gegen Masern.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Impfen bietet immer wieder einen Nährboden für Verschwörungstheorien. Während der Corona-Krise kam die Theorie auf, dass Bill Gates der Menschheit mit einem von ihm entwickelten Impfstoff Chips einsetzen will. Älter ist die Behauptung, dass die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) bei Kindern eine andere Krankheit auslöst.

Was wird behauptet?

Die MMR-Impfung soll Autismus verursachen. Die Impfung wird für Kinder ab dem elften Lebensmonat empfohlen, sie soll die zum Teil tödlich verlaufenden Krankheiten Masern, Mumps und Röteln verhindern.

Woher kommt der Humbug?

„Die Wissenschaft ist daran nicht ganz unschuldig“, sagt Ortwin Adams, Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Tatsächlich ist die Behauptung auf eine 1998 veröffentlichte Studie des britischen Arztes Andrew Wakefield zurückzuführen. Er behauptete, die MMR-Impfung führe möglicherweise zu Autismus. Der Arzt und seine Kollegen testeten zwölf autistische Kinder, bei acht von ihnen konnten sie angeblich einen Zusammenhang zwischen der Impfung und ihrer Autismus-Erkrankung herstellen.

Die Fallstudie wurde im renommierten Magazin „The Lancet“ veröffentlicht – und hatte weitreichende Folgen. Viele Medien berichteten über die Studie, es entstand eine Debatte in der Wissenschaft, die auch in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde. Das führte dazu, dass die Impfraten in Großbritannien drastisch sanken. 1996 waren nach Angaben des britischen Gesundheitsministeriums noch 96 Prozent aller Kinder im Vereinigten Königreich gegen MMR geimpft, 2004 sank die Impfrate auf 80 Prozent. 2006 starb im Vereinigten Königreich erstmals seit 14 Jahren ein Kind an den Folgen einer Masern-Erkrankung.

In den darauffolgenden Jahren wurde die Studie mehrfach widerlegt, aber sie war in der Welt – und erhielt 2016 neue Aufmerksamkeit. Der Dokumentarfilm „Vaxxed“ kam in die Kinos. Regie führt Andrew Wakefield, der Arzt, der 1998 die umstrittene Studie durchgeführt und inzwischen seine Zulassung in Großbritannien verloren hatte. Im Film wird behauptet, die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC habe einen Zusammenhang zwischen MMR-Impfungen und Autismus vertuscht.

Wie verbreitet ist der Humbug?

Wie weit die Theorie verbreitet ist, lässt sich höchstens indirekt feststellen. Zum Beispiel anhand einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), deren Ergebnisse sie Anfang 2020 veröffentlichte. Demnach nimmt die Impfskepsis in Deutschland weiter ab. Heißt im Umkehrschluss: Immer mehr Deutsche stehen dem Impfen positiv gegenüber. 77 Prozent der Erwachsenen in Deutschland sprechen sich demnach „befürwortend“ oder eher befürwortend einer Impfung gegenüber aus. 2012 seien lediglich 61 Prozent dieser Meinung gewesen, heißt es in einer zugehörigen Erklärung der BzgA.

Trotzdem wird die Theorie weiter verbreitet. Die deutschsprachige Facebook-Seite „Impfen? Nein, danke“ hat knapp 13.500 Likes, sie verbreitet immer wieder Verschwörungstheorien zum Thema Impfen, auch die Behauptung, dass die MMR-Impfung Autismus auslöse. In vielen Foren und auf einschlägigen Facebook-Seiten findet sich die Theorie ebenfalls wieder.

Die Impfquote in Deutschland spricht jedoch dafür, dass nicht sehr viele Menschen eine Autismus-Erkrankung nach einer MMR-Impfung befürchten: Im Jahr 2019 hatten laut Robert-Koch-Institut 97 Prozent der Schulanfänger die erste Masernimpfung bekommen. Zwei Mal gegen die Masern geimpft waren jedoch nur 93 Prozent der Schulanfänger – die angepeilte Impfquote von 95 Prozent hat Deutschland also nicht erreicht. Diese Prozentzahl ist aber laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) notwendig, damit sich das Masern-Virus nicht verbreiten kann und somit eine Herdenimmunität erreicht wird. Zudem gibt eine Studie der Europäischen Kommission unter Menschen, die sich innerhalb von fünf Jahren nicht haben impfen lassen, Gründe an, warum sie das nicht gemacht haben. Die Studie stammt aus dem Jahr 2019. Demnach sagten zehn Prozent der befragten Deutschen, dass Impfungen nicht sicher seien, 25 Prozent sahen keine Notwendigkeit für eine Impfung.

Was ist dran?

Nichts. Die Studie von Wakefield wurde mehrmals widerlegt. Zuletzt von einem Team des staatlichen Serum-Instituts in Dänemark. Die Wissenschaftler hatten Datensätze von über 657.000 dänischen Kindern ausgewertet, die zwischen 1999 und 2010 geboren waren, von geimpften und ungeimpften Kindern. Das Ergebnis veröffentlichten sie 2019 im Fachjournal „Annals of Internal Medicine“: Es waren nicht mehr Kinder, die die MMR-Impfung bekommen hatten, an Autismus erkrankt als nicht geimpfte Kinder.

Tatsächlich wurde die Studie, mit der alles anfing, die des britischen Arztes Wakefield, schon im Jahr 2010 vom Fachmagazin „The Lancet“ zurückgezogen. Schon 2004 distanzierten sich zehn der 13 Mitautoren Wakefields von der Arbeit. Der angebliche Zusammenhang einer MMR-Impfung und einer Autismus-Erkrankung wurde trotzdem mehrmals untersucht – das hat einen einfachen Grund: Die Behauptung war in der Welt, und viele Menschen glaubten und glauben sie weiterhin. So begründen auch die Impfexperten Saad B. Omer und Imci Yildirim die abermalige Forschung. Sie schreiben im „Annals of Internal Medicine“, dem Fachjournal, in dem 2019 die dänische Studie erschien: „In einer idealen Welt würde sich Forschung zur Impfstoff-Sicherheit auf wissenschaftliche begründete Thesen richten und nicht auf Verschwörungstheorien.“

Was sagen die Experten?

 Professor Ortwin Adams ist Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Professor Ortwin Adams ist Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Foto: Hans-Juergen Bauer (hjba)

„Das ist Humbug“, sagt Ortwin Adams vom Universitätsklinikum Düsseldorf, „wir haben es hier offensichtlich mit einer wissenschaftlichen Fälschung zu tun.“ Dass Adams von einer wissenschaftlichen Fälschung spricht, beruht auch auf mehreren Ungereimtheiten, die – neben den falschen Ergebnissen – in Wakefields Studie auftauchten. So wurde die Studie unter anderem von einer Anwaltskanzlei finanziert, deren Juristen eine Schadensersatzklage eventuell betroffener Eltern gegen Impfstoffhersteller planten. Auch kam heraus, dass bei den meisten von Wakefield untersuchten Kindern die Autismus-Symptome schon vor der Impfung auftauchten. Die Studie wurde trotzdem weit verbreitet – und hatte Folgen. „Wenn man das zu Ende denkt, dann sind aufgrund der Studie schwere Schäden entstanden. Die indirekten Folgen sind groß“, sagt Adams. Bis hin zu Toten. So zeigen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass 2018 weltweit etwa 180.000 Menschen wegen einer fehlenden Masern-Impfung gestorben sind. Die Angst vor dem Impfstoff ist weltweit jedoch nicht der einzige Grund für eine fehlende Impfung – viele Menschen haben keinen Zugang zu einem Impfstoff. In Deutschland aber gibt es diesen Zugang. „Wir impfen seit den 70ern gegen die Masern“, sagt Virologe Adams. Weltweit haben etwa 0,6 bis ein Prozent der Menschen Autismus. Glaubt man der Wakefield-Studie, müssten es einige mehr sein.

(Der Artikel wurde ursprünglich am 5. September veröffentlicht. Wir haben das Thema aber jetzt in unserem Podcast noch einmal aufgegriffen.)

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