Zwischen Theorie und Praxis Was Hebammen an der Hochschule lernen
Krefeld · Das Interesse am noch jungen Hebammen-Studium in NRW ist groß. An der Hochschule Niederrhein setzt man auf eine besondere Lernumgebung zur praxisnahen Ausbildung. Vorbilder aus anderen Ländern gibt es reichlich.
An der Hochschule Niederrhein gibt es jetzt einen Geburtsraum und ein Zimmer wie auf einer Wochenbettstation, samt Wickeltisch und Beistellbettchen. Warum? Seit diesem Semester werden am Campus in Krefeld Hebammen ausgebildet. Und beim neuen Bachelor „Angewandte Hebammenwissenschaft“ steht die Praxis im Vordergrund: „Unsere Studierenden werden in so genannten Skills Labs ausgebildet, bevor sie dann Hebammen in deren Berufsalltag begleiten. In dem Skills Lab, das wie ein Geburtsraum anmutet, lernen sie beispielsweise, welche Positionen eine Gebärende einnehmen könnte, am Wickeltisch wird der Umgang mit dem Baby geübt“, sagt Annika Walker, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Hochschule Niederrhein.
Dabei sind sowohl das Fach als auch seine Professorin etwas Besonderes: Denn erst vor rund zwei Jahren war eine bundesweite Umstellung beschlossen worden. Hebammen sollen nicht mehr auf Hebammenschulen, sondern in einem Bachelorstudium mit hohem Praxisanteil an Hochschulen ausgebildet werden. Und das bedeutete nicht nur, dass Hochschulen neue Studiengänge entwickeln und akkreditieren lassen mussten, sondern auch, dass Lehrpersonal gefunden werden musste. Ein schwieriges Unterfangen, denn für eine Professur an einer Hochschule braucht es einen Doktor in dem zu unterrichtenden Fachbereich und Berufserfahrung. Doch: Wo soll eine Hebamme mit Promotion herkommen, wenn in Deutschland bisher keine akademische Ausbildung dieser Berufsgruppe stattfand?
In Annika Walkers Fall lautet die Antwort: aus den Niederlanden. Denn dort werden – wie übrigens in fast allen anderen europäischen Ländern auch – Hebammen schon seit Jahren an Hochschulen ausgebildet. „Deutschland ist da wirklich Schlusslicht in der Akademisierung“, sagt Annika Walker. Sie selbst studierte in den Niederlanden Hebammenwissenschaften und arbeitete auch in dem Beruf. Ihre Promotion beschäftigt sich mit depressiven Beschwerden in der Schwangerschaft und nach der Geburt. „Ich bin dankbar für die tolle Chance, nun einen Studiengang mit gestalten zu können.“ In der Zukunft sollen an der Hochschule Niederrhein noch weitere Hebammenprofessuren hinzukommen.
Annika Walker betreut gemeinsam mit drei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen 25 junge Frauen auf ihrem Weg zur Hebamme. Sieben Semester dauert das Studium. Pro Semester sind bis zu zwölf Wochen Theorieunterricht plus etwa elf Wochen Praxiseinheiten vorgesehen. „Wichtiges Ziel des Studiums ist es, die Studierenden zu einem evidenzbasierten Handeln zu befähigen. Sie müssen ihr praktisches Handeln reflektieren und auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse begründen können“, sagt Walker. „Dieses wissenschaftliche Arbeiten war bisher nicht Teil der Ausbildung.“
Die angehenden Hebammen üben zunächst in der Hochschule die ersten wichtigen Handgriffe. Die Kommunikation mit der Schwangeren oder den frisch gebackenen Eltern wird ebenfalls geprobt – auch mit der Unterstützung von Schauspielerinnen und Schauspielern. „Wir möchten das Ganze so lebensecht wie möglich gestalten“, sagt Professorin Annika Walker. Anschließend erst begleiten die Studierenden Hebammen in ihrem Berufsalltag. Und zwar im Kreißsaal eines Krankenhauses ebenso wie bei der Schwangerenvorsorge und dem Besuch des Neugeborenen im Wochenbett. Dabei müssen die Hebammen über Wissen rund ums Stillen ebenso verfügen wie über Wochenbettdepressionen und Rückbildungsübungen. „Es ist eine Kombination aus medizinischem Wissen und psycho-sozialen Fähigkeiten, über die Hebammen in ihrem Berufsalltag verfügen müssen“, so Walker.
Mit der Akademisierung des Hebammenberufs solle dieser für mehr Menschen interessant werden, sagt die Professorin. „Durch das Studium werden die Hebammen auch befähigt, Einfluss auf Veränderungen in ihrem Berufsfeld zu nehmen. Sie können neue, innovative Konzepte ent- und weiterentwickeln. Sie können als Hebammen arbeiten, aber eben auch in der Wissenschaft, so dass sie später, so wie ich selbst, wieder Hebammen ausbilden können. All das soll dazu beitragen, die Versorgung von Mutter und Kind zu verbessern.“ So könnten Hebammen beispielsweise einen so genannten hebammengeleiteten Kreißsaal initiieren und mit Medizinern auf Augenhöhe sprechen.
Das Interesse am neuen Hebammen-Studium ist nach Angaben des Hebammenverbands NRW groß. Allerdings: Es gebe aber noch keine einheitliche Vorgabe des Landes, wie die praktische Ausgestaltung laufen solle. Als Kooperationspartner brauche es für den Studiengang Kliniken und freiberufliche Hebammen, die aber – ebenso wie die Hochschulen – nicht auf eine einheitliche Regelung bauen könnten, bemängelt Barbara Blomeier, Vorsitzende des Hebammenverbandes NRW. Viele seien daher verunsichert oder abgeschreckt. Um einen Platz an einer Hochschule zu ergattern, müssten Studierende aber für den praktischen Teil eine Klinik und eine freiberufliche Hebamme als Partner vorweisen.
Zudem müssten die Arbeitsbedingungen in den Kreißsälen verbessert werden. „Das Gesamtpaket der Bedingungen stimmt nicht“, betonte die Vorsitzende. Kliniken seien nicht verpflichtet, Geburtshilfe vorzuhalten. Da diese nicht gut bezahlt werde, lohne sich das für Kliniken häufig nicht. Hebammen seien oft stark überlastet. Statt der angestrebten 1:1-Betreuung müssten sie in der Regel mehrere Geburten parallel betreuen.
Auch an der Hochschule Niederrhein wünscht man sich für die folgenden Semester mehr Praxispartner. „Den Studierenden beispielsweise die außerklinische Geburt zu zeigen, ist eine Herausforderung. Ich würde mir wünschen, dass es noch mehr hebammengeleitete Einrichtungen, wie etwa Geburtshäuser, gibt, die unsere Studierenden begleiten möchten“, sagt Annika Walker.