So wird der „Tatort“ Ein Krimi mit zwei Hälften über das fast perfekte Verbrechen

Dresden · Nach rund 40 Minuten stehen die Ermittlerinnen Gorniak und Winkler wieder am Anfang – und dann wird der Fall extrem stark. Bei diesem Film mit mehreren Toten lohnt sich das Dranbleiben unbedingt. Eine Vorschau ohne Spoiler.

Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) fassen nicht, was und wen sie sehen.

Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) fassen nicht, was und wen sie sehen.

Foto: MDR/MadeFor/Hardy Spitz

Über eine Brücke queren Nahverkehrszüge die nebelverhangene Elbe, die Kamera zoomt heraus auf eine Uferböschung, an der – selbstverständlich – eine Leiche liegt. Dachten Sie vermutlich. Dachte ich jedenfalls. Stimmt aber nicht. Zumindest nicht direkt. Fürs Erste ist es nur ein Boot. So leicht wie diese Eingangsszene kann man den gesamten Fall „Totes Herz“ schwer unterschätzen. Beim Fußball ist gern immer dann die Rede von „einem Spiel mit zwei Halbzeiten“, wenn diese sich ungewöhnlich unterschiedlich gestalten. Dieser „Tatort“ wird vom Grottenkick zu einer Art Spitzenspiel.

Zu Beginn ziehen sich die Ermittlungen für Gorniak und Winkler sowie ihren nach seiner Entführung und Folter im vergangenen Fall genesenen Chef Schnabel – vor allem für das Publikum: Die Seniorchefin von „Teichmanns schöne Blumen“ wird im eigenen Gewächshaus per Hammerschlag dahingemeuchelt. Im Hintergrund ist alles exakt wie erwartet – womöglich wäre „wie befürchtet“ zunächst der bessere Ausdruck: Der Betrieb ist eine Goldgrube; Sie wissen schon, Motiv Erbstreitigkeit und so, aber in der Familie hat es – tätä! - gekriselt.

Tatverdächtig sind also Nadine Teichmann, die Tochter der Toten, und vor allem Schwiegersohn Patrick. Der ist einem schon schwer unsympathisch, bevor (sehr früh) seine Affäre mit seiner Mitarbeiterin Swetlana ans Licht kommt, die wiederum ihren geistig behinderten Bruder Juri schützen will. Und der hat, nachdem er Zeuge der Tat geworden ist, die Flucht angetreten. „Er läuft immer mal wieder weg, vergisst die Zeit, verliert sich in seiner eigenen Welt“, erklärt Swetlana den Ermittlerinnen: „Er kann seine Gefühle nicht ausdrücken, sich nicht lange konzentrieren. Er ist wie ein Kind im Körper eines Erwachsenen. Und das frustriert ihn.“ Ähnlich frustriert dürften inzwischen viele Zuschauerinnen und Zuschauer sein.

Denn all diese Versatzstücke hat jeder, der in seinem Leben auch nur zwei Handvoll Krimis gesehen hat, schon in so vielen Varianten gesehen, dass man sich schwer vereimert vorkommt. Wenig hilfreich ist auch, dass die Frau im Mittelpunkt, Nadine Teichmann (Kristin Suckow), seltsam neben der Spur ist.

Nach 40 sehr langen Minuten allerdings reißen die Macher das Ruder herum. Auch der maßgebliche Plot Twist, der hier nicht verraten wird, ist alles andere als neu – aber damit wird es komplex, dynamisch, temporeich, spannend. Für die seltsame Stimmung aus vielen Szenen wird im furiosen Finale ein guter Grund nachgeliefert, und auch zum Boot vom Beginn kehren wir zurück.

Bis zu jener Zeitenwende innerhalb dieses Sonntagskrimis darf man sich zumindest über Gorniak (Karin Hanczewski) und Winkler (Cornelia Gröschel) freuen, die sich zu einer professionellen Zusammenarbeit zusammengerauft haben. Und über die Sprüche von Cheffe Schnabel (Martin Brambach), der etwa kommentiert: „Auf Rosen gebettet heißt: Auf Dornen schlafen.“ Als seine Top-Ermittlerin erste Theorien über Tathergang und Täter entwickelt, erinnert sie der knorrige Kripo-Mann der ganz alten Schule ungewohnt anglophil: „Crime has no Gender!“ Recht hat er.

Dass dieser Film erst so kriminell spät auf Touren kommt, ist doppelt schade. Am Anfang ist enervierend viel Geplänkel, und am Ende fehlt die Zeit für den historischen Hintergrund des Unfassbaren, das Schnabel lange als Räuberpistole abtut.

„Tatort: Totes Herz“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

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