“Tatort“-Vorschau  Jeder glaubt, was er glauben will

Dresden · Im düsteren „Tatort“ aus Dresden fordert ein eiskalter Verschwörungs-Fan die Ermittlerinnen Gorniak und Winkler sowie ihren Chef Schnabel heraus.

 Alarmiert vom Geschwurbel des Entführers: Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) sowie ihr Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach).

Alarmiert vom Geschwurbel des Entführers: Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) sowie ihr Chef Peter Michael Schnabel (Martin Brambach).

Foto: obs/Marcus Glahn

Eine Frau namens Brigitte Burkhard wird entführt, und es gibt Passagen in diesem Film, in denen man hingerissen sein könnte zu denken „Geschieht ihr recht“. Burkhard betreibt eine angebliche Form des Journalismus, die so wahrgenommen wird und natürlich auch so wirken soll, ohne Journalismus zu sein: Wissentlich verdreht sie Fakten und erfindet Interviews – Hauptsache, die Auflage stimmt. Mit Vorliebe auf Kosten von Verbrechensopfern und deren Hinterbliebenen, verzweifelten Menschen also wie etwa einem Vater, dessen Tochter vermisst wird. Dresdens Kripo-Schnabel (Martin Brambach) sagt dazu auf seine ganz eigene, unverwechselbare Art, leicht sächselnd und schwer trocken: „Die Frage, ob Brigitte Burkhard Feinde hat, können wir uns also sparen.“

Der Entführer der Frau verbreitet über soziale Netzwerke für Verschwörungsfreaks Bekenner-Videos. Ermittlerin Gorniak (Karin Hanczewski) verzweifelt fast an den Reaktionen der Zuschauer, die das Video auf geheime Zeichen hin untersuchen und die Geschichte munter weiter spinnen, als wäre das üble Verbrechen ein Spiel. „Manche haben in den ‚Signalen‘ Atlantis oder den Berliner Reichstag entdeckt“, stöhnt sie. Schnabel fühlt sich bestätigt in der Auffassung, die er schon lange mit sich herumträgt. Rhetorisch fragt er: „Merken die Menschen eigentlich nicht, wie sie verblöden durch das Internet?“

Derweil offenbart der Entführer der Autorin Erstaunliches: „Ich will Sie nicht töten, ich will Ihnen nicht einmal weh tun. Ich will auch keine Wiedergutmachung für all das, was unter anderem Sie mir angetan haben. Ich will nur meine Tochter zurück.“ So ganz stimmt das allerdings nicht, denn der Mann wähnt sich auf einer Mission. Nicht weniger als 150 Kinder aus Dresden und Umgegend würden von einem Kinderschänder-Ring festgehalten, davon ist er überzeugt, und: Justiz, Politik und Polizei hingen mit drin. Er will dafür sorgen, dass alle Kinder endlich freigelassen werden. Falls das nicht geschieht, werde er jeden Tag einen weiteren Menschen entführen. Ins Visier nimmt er bald Schnabel, was wiederum Gorniaks Partnerin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) zu übereilten Aktionen veranlasst.

Dieser Film will vieles sein – Thriller etwa und eine Art Skizze der Verschwörungsmythen-Fließband-Produktion – und es gelingt. Deutlich wird, wie unterschiedlich die Motivationen derjenigen sind, die quasi im Kollektiv wilde Mythen spinnen, die maximal minimal in der Realität verwurzelt sind. Verzweiflung. Verletzung. Fundamentale psychische Probleme. Kreative Unterforderung. Sinnsuche. Geldgier. Zynismus. Langeweile. Und Lust an der Macht der Anstifter über diejenigen unter ihnen, die das alles wirklich glauben.

Auch und vor allem aber ist der bereits achte gemeinsame Fall von Gorniak und Winkler ein Schauplatz für die Tragödie um den schnell enttarnten, aber kaum zu fassenden Entführer (großartig: Hans Löw), der sich immer tiefer in seinen Obsessionen verliert. Und das Perfide ist: Egal welche Entscheidung die Ermittlerinnen auch treffen, was sie tun oder lassen, wer womöglich auf welche Art stirbt oder überlebt – alles lässt sich mit Leichtigkeit einweben in den endlosen Mythos über die da oben. Dem hochrelevanten Thema hatten sich in diesem Jahr bereits Thiel und Boerne auf ihre ganz eigene Art gewidmet. Dieses Mal geht es auf angenehme Art geradlinig zu: Das klasse Drehbuch von der Düsseldorferin Stefanie Veith und Jan Cronauer wird knackig umgesetzt vom jüngsten „Tatort“-Regisseur aller Zeiten, Gregory Kirchhoff (Jahrgang 1992).

„Tatort: Katz und Maus“, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

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