So wird der „Tatort“ aus Münster Frischer Wind bei Thiel und Boerne

Münster · Vielfach erschöpften sich die Filme mit Thiel und Boerne in Frotzeleien. Der Fall „Ein Freund, ein guter Freund“ zum 20. Jubiläum allerdings ist ein erstaunlich guter Krimi.

Regisseurin Janis Rebecca Rattenni mit den Hauptdarstellern.

Regisseurin Janis Rebecca Rattenni mit den Hauptdarstellern.

Foto: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke

Wer den Münster-„Tatort“ kaum erträgt, sei ermutigt, ihm diesmal eine Chance zu geben, obwohl anfangs alles ist wie immer: Der garstige Gerichtsmediziner Boerne ist verstimmt. „Wieso sehen Sie so gut aus?“, fragt er misstrauisch seine Assistentin Silke „Alberich“ Haller. „Wieso leiden Sie nicht?“ Das ungleiche Duo hatte die Nacht zuvor auf demselben champagner- und weinlastigen sozialen Großereignis verbracht. „Vielleicht, weil ich so klein bin“, antwortet sie lächelnd. „Ich leide proportional.“ Boerne widerspricht: Das sei doch Unsinn, im Genteil, ihr geringeres Volumen müsste doch – ach, egal. „Thiel hat gerade angerufen, es kommt bald Arbeit rein. Bis dahin lautet meine Bitte: Weniger reden, mehr leiden!“

So kennt man die Fälle aus Münster: In gewissen Momenten wirklich witzig, aber mehr kommt da oft eben leider auch nicht. Weder inhaltlich noch filmisch.

Diesmal schon. Im Kultbuch „Per Anhalter durch die Galaxis“ lautet die Antwort auf die ganz große Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ schlicht 42. Und diese 42. Episode mit Thiel und Boerne liefert die Antwort auf die Frage, wie man einen guten Film mit Thiel und Boerne macht, anstatt beide zu Karikaturen ihrer selbst zu machen, die bestenfalls mit Halbgas und schlechtenfalls im Halbschlaf dieselben Witze reißen wie immer, weil die Quoten ja sowieso stimmen.

 Nicht bös gemeint: Thiel (Axel Prahl) und Boerne (Jan Josef Liefers) und Kommisaar rekonstruieren einen möglichen Tathergang im Mordfall des jungen Rechtsanwalts Nikolas Weber (Hadi Khanjanpour). Rechtsmedizinerin Silke Haller (Christine Urspruch) denkt sich ihren Teil.

Nicht bös gemeint: Thiel (Axel Prahl) und Boerne (Jan Josef Liefers) und Kommisaar rekonstruieren einen möglichen Tathergang im Mordfall des jungen Rechtsanwalts Nikolas Weber (Hadi Khanjanpour). Rechtsmedizinerin Silke Haller (Christine Urspruch) denkt sich ihren Teil.

Foto: WDR/Thomas Kost

„Ich glaube, die größte Herausforderung beim ‚Tatort‘ aus Münster ist es, die Balance zwischen Krimi und Komödie zu finden“, sagt die Regisseurin Janis Rebecca Rattenni (39). Dieser Satz hat glänzende Chancen auf eine Auszeichnung als Binsenweisheit des Jahrzehnts, aber seine Absenderin hat diese Herausforderung angenommen und bewältigt.

Es geht um einen mächtigen Mafioso und dessen abgewrackte Anwälte. Und in einem zweiten Handlungsstrang um Boernes Anwalt und Jugendfreund Friedhelm Fabian (wie immer gern gesehen: Jan Georg Schütte) sowie dessen elegante Frau Veronika (Proschat Madani). Keine wichtige Figur driftet schlimmer ins Klischee ab als gesollt, selbst der zwischenzeitlich zum Cartoon-Charakter abgestiegene Boerne zeigt sich ungewohnt menschlich. Der Fall wird so intensiv, dass die Sätze fallen: „Jeder hat irgendwo ‘ne Kneifzange in der Schublade, und notfalls tut’s auch ein Zahnstocher... Beim Foltern geht’s nicht um Mittel und Wege – beim Foltern zählt einzig und allein der Wille!“ Das ist witzig, gruselig, und wahr noch dazu.

Weshalb und für wen Fernsehkritiker in ihren Texten die Menschen hinter der Kamera aufzählen, wissen sie meist selbst nicht so genau, aber in diesem Fall ist es relevant: Den relativ jungen Machern gebührt Dank, sie lüften beherzt durch in Münster. Der Autor Benjamin Hessler hat noch nicht mal einen Wikipedia-Eintrag, aber an der mehrfach preisgekrönten Clan-Drama-Serie „4 Blocks“ mitgeschrieben. Kameramann Victor Voß und Cutter Steffen Pohl finden zeitgemäße Bilder; auch wenn sie es mit dem Splitscreen-Effekt arg übertreiben. Kein Wunder bei alledem, dass auch die Hauptdarsteller Liefers, Prahl und Urspruch die nicht selten mal vermisste Spielfreude ausstrahlen.

 Boernes beste Freunde Veronika (Proschat Madani) und Friedhelm Fabian (Jan Georg Schütte) wandern aus und lassen es vorher noch mal krachen.

Boernes beste Freunde Veronika (Proschat Madani) und Friedhelm Fabian (Jan Georg Schütte) wandern aus und lassen es vorher noch mal krachen.

Foto: WDR/Martin Valentin Menke

Falls ab jetzt mehr Münster-„Tatorte“ dieser Art kommen, winkt ein neuer Westfälischer Frieden zwischen der Reihe und ihren Kritikern.

„Tatort – Ein Freund, ein guter Freund“, Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr

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