Melnyk bei „Hart aber fair“ „Auch bei uns steigen die Preise für Gas“

Köln · Der scheidende ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ist für provokante Äußerungen bekannt. In der Talkshow „Hart aber fair“ bringt er einen Solidaritätsbeitrag für die Ukraine ins Spiel.

 Der scheidende ukrainischer Botschafter Andrij Melnyk in der Talkshow „Hart aber fair“ am 5. September 2022.

Der scheidende ukrainischer Botschafter Andrij Melnyk in der Talkshow „Hart aber fair“ am 5. September 2022.

Foto: WDR

Andrij Melnyks Zeit als ukrainischer Botschafter in Berlin geht Mitte Oktober zu Ende. Im Juli hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ihn abberufen. „Hart aber fair“-Moderator Frank Plasberg beschreibt Melnyk als „Vorsitzenden des Clubs der deutlichen Aussprache“, und Melnyk erfüllt seine Rolle in der Talkshow am Montagabend ganz prima.

Zunächst reagiert er gelassen auf eine Äußerung, die Plasberg zitiert: eine an die deutsche Bevölkerung gerichtete Drohung des russischen Regierungssprechers Dimitri Peskow in Bezug auf zukünftige Gaspreise. „Gas als Waffe haben wir schon öfter erlebt, deswegen ist das keine Neuigkeit.“ Dann geht Melnyk zum Angriff über. Kaum hat er Wertschätzung für die Hilfen aus Deutschland zum Ausdruck gebracht, kritisiert er deren Umfang.

Als Argument zieht der scheidende ukrainische Botschafter einen Vergleich zwischen der Höhe des Entlastungspakets für die deutsche Bevölkerung und die Höhe der Waffenlieferungen in die Ukraine heran. „Hundert Mal weniger“, ist sein Fazit, als ginge es um Gerangel unter deutschen Bundesländern. Und tatsächlich sind die im nächsten Atemzug dran: Melnyk bemängelt, dass es für die Ukraine keinen Solidaritätsbeitrag wie für die deutschen Bundesländer im Osten gebe. „Wenn die Deutschen morgen entscheiden, die Ukrainer sollten das alleine schaffen, dann werden wir das alleine tun. Aber die Frage ist auch eine moralische.“ Melnyk empfiehlt, sich zu fragen, wo Deutschland in den Geschichtsbüchern stehen wolle – „später, wenn der Krieg vorbei ist, und wir werden ihn überleben, davon sind wir überzeugt.“

Vergleiche haben es offenbar auch Moderator Frank Plasberg angetan. Er lässt ein Zitat des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba einblenden, der die Sorgen der Ukrainer und die Sorgen der Deutschen vergleicht. Demnach steht im einen Land das Leben der Menschen auf dem Spiel, im anderen Land deren Komfort. Daraufhin beteuert Melnyk, er könne die Sorgen der Deutschen nachvollziehen, insbesondere unter den weniger Betuchten. Gleichzeitig betont er: „Auch bei uns steigen die Preise für Gas und alles andere, weil bei uns die Wirtschaft schon heute um 40 Prozent eingebrochen ist.“

Plasberg führt mit dem Stichwort „Propagandakrieg“ zurück und fragt nach einem angemessenen Umgang mit der eingangs erwähnten Drohung des russischen Kreml-Sprechers Peskow. „Ich glaube, dass die Deutschen mehr Vertrauen haben sollten in die eigene Politik“, sagt Melnyk mit Verweis auf eine robuste Wirtschaft. Zugleich räumt er ein: Nach 40 Jahren ohne Inflation und mit Stabilität und einem tiefen Glauben an immer weiter wachsenden Wohlstand sei diese „kalte Dusche von Putin“ auch eine Herausforderung. „Ich glaube, dass Deutschland, aber auch die EU, imstande sind, diese Herausforderungen zu meistern und auch den Menschen mehr Mut zu geben, dass man das schaffen kann.“

Ganz seiner Rolle entsprechend gibt Melnyk Deutschland bald wieder Saures – zum Beispiel der Marke „selbst schuld“: „Es war ja die Regierung der Deutschen, die dieses schöne Land in den letzten Jahren, Jahrzehnten, in eine schwierige Lage hineinmanövriert hat, diese Abhängigkeit vom Gas“, sagt Melnyk. „Deshalb muss auch die deutsche Politik dafür Lösungen finden.“

In puncto Waffenlieferungen zeigt sich Melnyk unbeirrt von Einwänden anderer Talkgäste. „Nur wenn Putins Generäle ihm berichten, es geht nicht voran, nur dann hat man eine Chance für Diplomatie“, sagt der Ukrainer. Diplomatie halte er zwar für wichtig. Aber: „Putin will gar nicht reden“, meint er. Das sei auch schon vor dem Krieg so gewesen. „Putin sieht keinen Anlass zu verhandeln.“

Provokant empfiehlt der Diplomat dem ebenfalls in der Talkshow anwesenden SPD-Politiker Ralf Stegner, selbst nach Moskau zu fahren und zu versuchen, das Gespräch mit Putin zu suchen. Beschwichtigend schickt er hinterher, dass Deutschland im Normandie-Format bereits tatsächlich eine Vermittlerrolle gespielt habe, kann sich aber offenbar das Wort „erfolglos“ in diesem Zusammenhang dann doch nicht verkneifen.

Auf seine Angriffslustigkeit bezogen räumt Melnyk ein: „Dieser Stil wurde auch zu Hause nicht immer verstanden“. Für sein Auftreten in Deutschland habe er auch dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj öfter Rede und Antwort stehen müssen. Bereitwillig erklärt er seine Beweggründe: „Ich bin kein Politiker, ich möchte nicht gewählt werden“, sagt Melnyk. „Ich habe deswegen so agiert, weil ich erkannt habe: Man muss manchmal lauter werden, um gehört zu werden.“

Ebenfalls zu Gast in der WDR-Talkshow waren Sabine Fischer, Expertin für russische Außen- und Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, der SPD-Politiker Ralf Stegner, der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff und die Journalistin Anna Lehmann.

(peng)
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