Serie Mein Instrument und ich Wenn ein Millimeter über den Klang entscheidet

Wermelskirchen · Seit genau 50 Jahren spielt Annelie Hemmerich Geige, 47 davon im Sinfonieorchester. Ihre Erkenntnis: Das Geigespielen ist wie das Leben selbst. Durchhalten lohnt sich.

 Seit 50 Jahren ein klangvolles Gespann: Annelie Hemmerich und ihre Geige.

Seit 50 Jahren ein klangvolles Gespann: Annelie Hemmerich und ihre Geige.

Foto: Theresa Demski

Es gibt diese Momente, in denen Annelie Hemmerich eine Gänsehaut über die Arme läuft. Dann fliegt der Bogen über die Saiten der Geige, dann sorgt das Zusammenspiel im Sinfonieorchester für so viel Klang und Volumen, dass sie nicht ungerührt bleiben kann. Und dann bietet eine Partitur so viel Atmosphäre und Qualität, dass Jahrhunderte in ihr zum Klingen kommen. „Selbst nach 50 Jahren habe ich noch diese Gänsehautmomente“, sagt sie und denkt an Konzerte mit dem Sinfonieorchester und Auftritten in kleineren Ensembles. Sie denkt an all die Jahre, in denen sie die Geige nun begleitet. Und genau in diesen Augenblicken wird Annelie Hemmerich dankbar – dafür, dass ihre Eltern den Geigenunterricht nicht strichen, als sie als Jugendliche zu faul zum Üben wurde und dafür, dass ihr Mann sie all die Jahre mit den Kindern unterstützte, wenn sie als junge Mutter zur Probe wollte. „Ich spiele Geige seit ich neun bin“, sagt sie, „ohne Pause.“ Und eigentlich sei ein Leben ohne das zarte Instrument nie denkbar gewesen.

Dabei hatte sich Annelie Hemmerich damals als Grundschülerin eigentlich Cello-Unterricht gewünscht – Noten, Blockflöte und alle möglichen Größen der Fiedel beherrschte sie bereits. „Und dann berührte mich der runde, warme Klang des Cellos“, erzählt sie. Aber weil sie als Mädchen zu klein für das große Instrument gewesen sei, empfahl Musikschulgründer Paul Nitsch die Geige. „Ein anspruchsvolles Instrument“, sagt die 59-Jährige heute. Es dauere lange, bis sich die Klänge schön anhören, weil das Spiel Millimeterarbeit sei. „Liegt man ein winziges Stück daneben, klingt es schräg“, weiß die Wermelskirchenerin. Und weil die linke Hand greift, die rechte streicht, sei es auch eine Frage der Koordination.

Aber Annelie Hemmerich fand sich zurecht, übte, spielte schon mit zwölf Jahren im Sinfonieorchester, überstand die Jahre der Pubertät und entdeckte das Instrument mit 17 Jahren noch mal neu: „Damals sprang der Funke noch mal über“, sagt sie, „ich begann stundenlang zu üben.“ Sie nahm an Wettbewerben teil, bildete mit ihrer Freundin und deren Querflöte ein Duo und wurde schließlich in das Bundesjugendorchester berufen. „Das hat mich damals richtig weiter gebracht“, sagt sie. England, die Schweiz und viele Jugendliche, die sich ebenfalls für Klassik und Orchestermusik begeisterten. Irgendwann befand dann Paul Nitsch, dass er dem Mädchen nichts mehr beibringen könne und schickte sie zum Konzertmeister des Orchesters in Remscheid.

 Seit 50 Jahren ein klangvolles Gespann: Annelie Hemmerich und ihre Geige.

Seit 50 Jahren ein klangvolles Gespann: Annelie Hemmerich und ihre Geige.

Foto: Theresa Demski

„Geigespielen ist auch Arbeit“, sagt sie und denkt an die Bleistiftkreuze in ihren Noten, mit denen sie auch heute noch jene Stellen markiert, die sie sich in aller Ruhe noch mal vornehmen will. Aber: Dinge, die man beherrsche, würden auch Spaß machen. „Ich habe gelernt durchzuhalten, bis es leichter und schön wird“, sagt sie. Und dann zögert die 59-Jährige kurz: „Das ist wohl auch auf das Leben selbst übertragbar.“ Wer die Musik auf die Arbeit reduziere, habe sie ohnehin nicht wirklich verstanden. Für sie habe das Geigenspiel auch immer Gemeinschaft bedeutet, Teil eines Orchesters zu sein, das ihr den Blick weitete für Kirchenmusik und Unplugged-Konzerte mit der Gruppe Jokebox, für Filmmusik und Operetten. Und sie sei sicher: Die Musik halte sie fit. „Es ist nicht nur Gefühl, sondern auch Kopfarbeit“, sagt sie und denkt an jene Momente, in denen sie sich intensiv den Noten widmet und sie als Konzertmeisterin für die Kollegen im Orchester aufarbeitet. Es habe auch einen Moment in ihrem Leben gegeben, an dem sie darüber nachgedacht habe, Berufsmusikerin zu werden. „Aber ich wollte dem großen Druck in der Branche aus dem Weg gehen und die Musik als Hobby behalten.“ Bereut hat sie es nie.

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