Wegberger Verlag mit neuem Roman Ein Zweifler auf der Reise zu sich selbst

Wegberg · Im Kleinverlag von Kai Beisswenger aus Wegberg hat der gebürtige Oberbrucher Willi van Hengel seinen neuen Roman „Dieudedet oder Sowas wie eine Schneeflocke“ veröffentlicht. Die erste Lesung fand in seiner Wahlheimat Berlin statt.

 Willi van Hengel liest in der Berliner Brotfabrik aus seinem neuen Roman. Es ist die Geschichte einer Selbstfindung.

Willi van Hengel liest in der Berliner Brotfabrik aus seinem neuen Roman. Es ist die Geschichte einer Selbstfindung.

Foto: Kai Beisswenger

Am Morgen der Lesung hatte Willi van Hengel etwas Mühe, seine Aufregung im Zaum zu halten. Und das war auch nicht weiter verwunderlich, denn wie oft schreibt man schon ein Buch und setzt sich dann auch noch hautnah mit dem kritischen Echo seiner Leserschaft auseinander? „Ich bin wie ein Panther durch die Garderobe gelaufen“, sagt der gebürtige Oberbrucher, der seit 2008 in Berlin lebt. Aber als er dann die Bühne der Brotfabrik betrat und höflicher Anfangsapplaus aufbrandete, löste sich der Kloß im Hals umgehend in Wohlgefallen auf. „Ich konnte wunderbar lesen.“ Brotfabrik – so heißt das Kulturzentrum in Weißensee, dem Kiez von Willi van Hengel. Er nennt es liebevoll: „Mein Wohnzimmer.“

Es ist die Geschichte einer Selbstfindung, die der 59-jährige Schriftsteller in seinem neuen Roman „Dieudedet oder Sowas wie eine Schneeflocke“ erzählt. Erschienen ist er im Kleinverlag Zwischen den Stühlen des Wegbergers Kai Beisswenger, der sich auf genreübergreifende Werke spezialisiert hat, auf die nicht nur ein Etikett passt, sondern gleich mehrere. Wichtig ist nur, dass der Stoff Substanz hat und „ein Feuer in den Herausgebern und natürlich auch in den Lesern entfacht“, wie es auf der Webseite des Verlages heißt. Kai Beisswenger, zugleich für das Lektorat verantwortlich, übernahm auch eine aktive Rolle als Counterpart bei der Lesung in Berlin. „Wir hatten das gar nicht geübt“, erinnert sich Willi van Hengel. „Aber ich war froh über die psychologische Unterstützung.“

Der Protagonist Alban in seiner Geschichte erkennt auf einer Reise zu seinem Großcousin Gilbert nach Ibiza, die ihn in Wahrheit ins eigene Ich führt, den Grund seiner ständigen Bindungsängste. Er war das Schlachtfeld, auf dem die Kämpfe seiner Eltern ausgetragen wurden. Alban muss sich seiner Vergangenheit und den damit verbundenen Erinnerungen stellen, um zu werden, was er sein könnte: ein Mensch, der zwar aus lauter Zweifeln besteht, der nun aber beginnt, sich selbst anzunehmen – und vielleicht sogar zu lieben. Es geht um das, was seit Ewigkeiten die Menschen berührt: das Erleben tiefer Gefühle sowie das Leiden an einer gequälten Seele.

45 Jahre hat Willi van Hengel überwiegend in Oberbruch gelebt, war dort dem Fußballverein BC 09 eng verbunden, bevor es ihn in die Hauptstadt zog – der Liebe wegen. Der Schriftstellerei hält er schon lange Zeit die Treue: Nach dem Magisterabschluss über Friedrich Nietzsche und Jacques Derrida begann er zu schreiben und veröffentlichte 2006 seinen ersten Roman „Lucile“, über den auch der WDR in einem Fernsehbeitrag berichtete. Danach folgten 2008 der zweite Roman „Morbus vitalis“ und schließlich der Gedichtband „Wunderblöcke“ (2010).

In Berlin sind auch seine beiden Theaterstücke „De Janeiro – Ein Punk ertrinkt in Weißensee“ (2018) und „flanzendörfer“ (2021) aufgeführt wurden. Studiert hat Willi van Hengel in Bonn: Philosophie, Germanistik und Politische Wissenschaften. Seinen Lebensunterhalt verdient er als freischaffender Lektor für mehrere Verlage und im Deutschen Bundestag, wo er die Protokolle der Plenarsitzungen sprachlich prüft und korrigiert.

Da kleinen Verlagen in aller Regel kein großes Budget für Werbemaßnahmen zur Verfügung steht, haben sich Verleger Kai Beisswenger und Autor Willi van Hengel eine ungewöhnlich und zugleich kostengünstige Marketing-Aktion überlegt: Sie fuhren im Zuge der Buchveröffentlichung mit Fahrrädern, die zwischen Sattel und Lenker werbewirksam verziert waren, kurzerhand von Weißensee bis zum Brandenburger Tor. Auf dem Programm stand außerdem noch ein Besuch der Messe Kleine Verlage am Großen Wannsee, die das Literarische Colloquium Berlin alljährlich ausrichtet. Knapp 40 Verlage stellten Bücher und Autoren in entspannter Atmosphäre vor. In diesem Jahr war der Verlag Zwischen den Stühlen als Aussteller nicht vertreten, aber das soll sich in Zukunft ändern.

Bleibt noch die Frage nach dem Titel: Was heißt „Dieudedet“ eigentlich? Die Redewendung sei dem Französischen entlehnt und bedeute im wörtlichen Sinn so viel wie „von Gott gewürfelt“, erklärt Willi van Hengel. Im übertragenen Sinn soll sie zum Ausdruck bringen, dass das Schicksal mit der Hauptfigur Alban gar nicht so hart ins Gericht geht, wie diese zunächst angenommen hatte. Das klingt nach einem versöhnlichen Ende.

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