Beschimpfungen von „Dreckspack“ bis „Wichser“ Im Rathaus wächst die Angst

Wegberg · Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen: Mitarbeiter von Verwaltungen und politische Mandatsträger werden immer häufiger zur Zielscheibe. Wegbergs Bürgermeister Michael Stock bringt jeden Vorfall sofort zur Anzeige.

 Wegbergs Bürgermeister Michael Stock ist diese Beleidigungen gegenüber seinen Mitarbeitern leid.

Wegbergs Bürgermeister Michael Stock ist diese Beleidigungen gegenüber seinen Mitarbeitern leid.

Foto: Dietmar Meinert (SGK NRW)

Es war im Juni 2019, als die Situation am Telefon eskalierte: Ein Bürger aus Wegberg, Jahrgang 1954 und mit deutscher Staatsangehörigkeit, wollte von der Stadt Wegberg Auskunft über die rechtlichen Grundlagen einer Datenübermittlung haben, die im Rahmen einer behördlichen Überprüfung stattgefunden hatte. Die städtische Mitarbeiterin im Wegberger Rathaus teilte ihm dann die datenschutzrechtlichen Bestimmungen mit, aus der sich die Berechtigung ergab. Doch damit gab sich der Anrufer nicht zufrieden. Er wurde ungehalten und beschimpfte die Mitarbeiterin sowie die gesamte Wegberger Stadtverwaltung als „Dreckspack“.

Hass, Bedrohung und Gewalt gegen politische Mandatsträger und Behördenmitarbeiter sind ein zunehmendes Problem. Eine Umfrage der Zeitschrift „Kommunal“ und des ARD-Politmagazins „Report München“ unter mehr als 1000 Bürgermeistern in ganz Deutschland zeigt, dass in 40 Prozent aller Rathäuser schon Stalking, Beschimpfungen und Drohungen vorgekommen sind. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sieht vor allem die Entwicklung in den Sozialen Netzwerken mit großer Sorge: „Die Simplifizierung von Aussage, die Begrenzung auf eine alternativlose Lösung oder aber das Anbieten von einfachen Lösungen oder die Kritik um des Kritisierens Willen schüren Wut und Ängste und führen zu einer gefühlten Hilflosigkeit, die in Hass umschlagen kann“, heißt es von Seiten des Städte- und Gemeindebundes. Außerdem finde sich in den sozialen Netzwerken für jede noch so groteske Meinung ein Verbündeter, jede noch so schräge These finde ihre Belege, jeder menschenverachtende Aufruf zur Beleidigung, Bedrohung oder Selbstjustiz finde andere Nutzer, die liken, teilen und weiterverbreiten. „Während früher die Wut an der Tür des Stammtisches endete, besteht heute über soziale Netzwerke die Möglichkeit, sich sekundenschnell Verbündete und darüber hinaus auch Anerkennung zu suchen und vor allem zu finden“, schreibt der Städte- und Gemeindebund. Nicht der Austausch über Inhalte stehe im Vordergrund, sondern die Suche nach Anerkennung durch Provokation und immer öfter auch das Brandmarken einzelner Personen des öffentlichen Lebens als Projektionsfläche für die eigene Unzufriedenheit. Hinzu komme dass die Erwartungshaltung gegenüber kommunalen Mandatsträgern und Behördenmitarbeitern gewaltig sei.

Die Stadt Wegberg ließ die Beschimpfung ihrer Mitarbeiterin und der Verwaltung im Allgemeinen nicht auf sich beruhen und zeigte den Anrufer an. Mit Erfolg: Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach erließ das Amtsgericht Erkelenz einen Strafbefehl wegen Beleidigung und verurteilte den Anrufer zu einer Geldstraße in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro, also insgesamt 750 Euro. Der Strafbefehl ist nach Angaben der Stadt Wegberg mittlerweile rechtskräftig. Und es läuft nach Angaben der Verwaltung noch ein weiteres Verfahren: Während er auf der Straße seiner Aufgabe nachging, sei ein städtischer Mitarbeiter mit „Du Penner, Du Arschloch, Du Wichser“ bezeichnet und anschließend bedroht worden. Eine Entscheidung dazu steht noch aus.

Wegbergs Bürgermeister Michael Stock ist diese Beleidigungen gegenüber seinen Mitarbeitern leid. Er „Wir werden jeden Vorfall, bei dem Bedienstete der Verwaltung beleidigt oder bedroht werden, sofort zur Anzeige bringen“, kündigt er an. „Ich dulde es nicht, dass Beschäftigte der Stadtverwaltung beschimpft werden. Diese Verrohung lasse ich nicht zu“, erklärt Bürgermeister Stock.

Für den Deutschen Städte- und Gemeindebund hat der Schutz von kommunalen Amts- und Madatsträgern mittlerweile höchste Priorität. Er gibt sechs wesentliche Handlungsempfehlungen:

1. Das Thema sollte in der Öffentlichkeit und in persönlichen Gesprächen breit diskutiert werden.

2. Hasskriminalität darf nicht verschwiegen werden. Es sei in einer breiten Öffentlichkeit auf die aktuelle Situation von Kommunalvertretern und vielen Ehrenamtlichen und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes aufmerksam zu machen, die digital oder ganz real bedroht und eingeschüchtert werden.

3. Konsequente Verfolgung Die Mandatsträger und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sollten immer wieder aufgefordert werden, die Vorgänge zur Anzeige zu bringen. Über Verfahren und Verurteilung sollte breit berichtet werden.

4. Der Städte- und Gemeindebund spricht sich für Strafrechtsverschärfungen aus. So schlägt er beispielsweise vor, den Stalking-Paragrafen um einen neuen „Strafbestand Politiker-Stalking“ zu erweitern.

5. In Kooperation mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sollte ein Bündnis gegen Gewalt und für Toleranz etabliert werden. Dabei sollten Medienvertreter eingebunden und die Rolle der Medien genauer beleuchtet werden.

6. Der Städte- und Gemeindebund fordert eine Öffentlichkeitskampagne: „Wenn wir die Anerkennung von kommunalen Mandatsträgern und anderen Politikern fördern wollen, brauchen wir viel mehr Aufklärung, mehr politische Bildung in den Schulen, mehr offenen Austausch von Angesicht zu Angesicht.“

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