Grafische Sammlung in Viersen „Kunst lehrt uns etwas über die Menschen“

Viersen · Karl-Heinz van Kaldenkerken legte in den 1960er Jahren den Grundstock für die Grafische Sammlung in Viersen. Im Interview erklärt der damalige Oberstadtdirektor von Viersen, warum er die Investition in die Kultur wichtig fand. Der 93-jährige Jurist lebt heute in Dresden.

 Zum 100-jährigen Bestehen der Festhalle kam Karl-Heinz van Kaldenkerken nach Viersen.

Zum 100-jährigen Bestehen der Festhalle kam Karl-Heinz van Kaldenkerken nach Viersen.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

Der damalige Oberstadtdirektor Karl-Heinz van Kaldenkerken legte Anfang der 1960er Jahre den Grundstein für die Grafische Sammlung. Unter seiner Ägide begann die Stadt Viersen Grafiken von namhaften Künstlern aus allen Epochen anzukaufen. Als van Kaldenkerken 1974 Viersen verließ, war der Grundstock gelegt: Die Sammlung war damals gut 500 Blatt stark. Heute lebt der inzwischen 93-jährige, promovierte Jurist in Dresden. Im RP-Interview erklärt er, warum er die Sammlung aufbaute.

Was hat Sie bewogen, Anfang der 1960er Jahre Grafiken anzukaufen?

VAN KALDENKERKEN Bevor ich 1959 nach Viersen kam, war ich Stadtkämmerer in Düren. Durch das dortige Leopold-Hoesch-Museum war ich reiche Möglichkeiten der Begegnung mit der bildenden Kunst gewöhnt. Das vermisste ich, als ich nach Viersen kam. Viersen galt seinerzeit schon als Kulturstadt im Grenzland. Dort spielten bedeutende Orchester und Theater mit namhafter Besetzung. Doch in der bildenden Kunst war Viersen relativ schmal vertreten.

War es schwierig, die Stadt von der finanziellen Anlage zu überzeugen?

VAN KALDENKERKEN Nein, der Stadtrat war sehr verständnisvoll. Natürlich konnten wir keine großen Sprünge machen. Für den Ankauf von Original-Gemälden waren unsere Mittel zu bescheiden. Finanziell war die Stadt damals solide, aber keineswegs opulent aufgestellt. Wir mussten also mit Bedacht und Bescheidenheit einkaufen. Da erschienen mir die Grafiken ein interessantes Mittel: Eine solche Sammlung lässt sich gut erweitern, und oft sind Grafiken ja stellvertretend für das Original zu sehen.

Wollten Sie mit dem Aufbau der Sammlung auch in bleibende Werte für die Stadt investieren?

VAN KALDENKERKEN Nein, da spielten Gründe der Vermögensbildung keine Rolle. Eher noch gab es strategische Überlegungen: Mir war es wichtig, die kulturelle Struktur von Viersen zu stärken. Damals stand die kommunale Neuordnung bevor. Ich hatte Sorge, dass Viersen – zwischen Krefeld und Mönchengladbach – an den Rand gedrückt werden könnte. Ich wollte – neben dem Wirtschaftsstandort – Viersens kulturelle Ausstrahlung erhöhen.

Sie haben Grafiken querbeet ankaufen lassen. Spielten Ihre persönlichen Vorlieben dabei keine Rolle?

VAN KALDENKERKEN Nein, ich bin vielseitig an Kunst interessiert.

Können Sie sich an den Ankauf einzelner Grafiken erinnern?

VAN KALDENKERKEN Ich weiß, dass Dürer und Golzius zu den ersten Anschaffungen gehörten. Aus heutiger Sicht bin ich sehr zufrieden, dass die Pop Art ihren Weg genommen hat.

Sie waren 1976 bis 1986 Oberstadtdirektor von Bonn. In den 1990er Jahren hat man Sie als Berater für den Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche gewonnen. 2002 wurden Sie Geschäftsführer der Frauenkirche GmbH. Woher kommt als Jurist Ihr Kunst-­Interesse?

VAN KALDENKERKEN Ich bin mit Kunst aufgewachsen. Mein Vater handelte mit Kunstdrucken. Ich genoss am Lessing-Gymnasium in Düsseldorf einen ausgezeichneten Kunstunterricht, der mir ein Grundverständnis für Kunst eröffnete. Ich erinnere mich auch, dass ich als Kind die Zigarettenbildchen gesammelt habe und das Barock-­Album gefüllt habe. Als Schüler hatte ich vor dem Abitur übrigens einen Job als Beleuchter am Düsseldorfer Schauspielhaus und habe unter anderem Gustaf Gründgens „angestrahlt“. Die Kultur hat mich auch während der Kriegsjahre bei der Marine nicht verlassen. Mit den ­Unteroffizieren auf den Schnell­booten habe ich zum Beispiel Hefte angeschaut und ihnen Kunstwerke erläutert. In gewisser Weise war das für mich eine Überlebensstrategie.

Welche Rolle spielt Kultur für das Gemeinwesen?

VAN KALDENKERKEN Durch die bildende Kunst kann man etwas über die Empfindungssituation der Menschen in einer Epoche und den Zeitgeist erfahren. Sie öffnet die Sinne und den Geist. Insofern hat sie pädagogischen Wert.

Wäre der Aufbau einer solchen Sammlung heute noch möglich?

VAN KALDENKERKEN Ich habe Zweifel und denke, das wäre schwierig. Die Menschen sind heute verwöhnter.

Die Sammlung weckte bisweilen angesichts der klammen Haushaltslage Begehrlichkeiten. Sollte man sie verkaufen?

VAN KALDENKERKEN Das würde ich nicht für richtig halten. Sie gehört zum Leben in der Stadt und ihrer Bürger. Die Schulen haben immer großes Interesse daran gezeigt.

Die Sammlung hat heute über 1000 Blatt. Sind Sie stolz darauf?

VAN KALDENKERKEN Nein, nicht stolz, aber ich freue mich sehr, dass da etwas draus geworden ist. Die Sammlung ist heute bewusster Bestandteil der Stadt.

Sie sind in den 1990er Jahren nach Dresden gezogen. Kommen Sie noch manchmal nach Viersen?

VAN KALDENKERKEN Ja, aber selten. Ich gehöre dort noch der Ritterschaft der silbernen Mispelblüte an.

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