Wirtschaftsgespräche Der Ostwind weht bis Mönchengladbach

Neuwerk · Europäer, die Chinas globale Wirtschaftsstrategie verstehen wollen, sollten die Welt aus dem Blickwinkel der Chinesen betrachten. Das war eine zentrale Botschaft, die China-Experte Marcus Hernig bei den Mönchengladbacher Wirtschaftsgesprächen vermittelte.

 Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners, IHK-Präsident Elmar te Neues, IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz, Referent Marcus Hernig, seine Partnerin Isabel Wiedenroth (CEO Sino German Trade.com), Sparkassendirektor Hartmut Wnuck, WFMG-Chef Ulrich Schückhaus, WFMG-Prokurist David Bongartz und RP-Redakteur Andreas Gruhn, der den Abend moderierte.

Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners, IHK-Präsident Elmar te Neues, IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz, Referent Marcus Hernig, seine Partnerin Isabel Wiedenroth (CEO Sino German Trade.com), Sparkassendirektor Hartmut Wnuck, WFMG-Chef Ulrich Schückhaus, WFMG-Prokurist David Bongartz und RP-Redakteur Andreas Gruhn, der den Abend moderierte.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Erdkunde wird wohl nicht das Lieblingsfach eines jeden der mehr als 300 Zuhörer gewesen sein, an die sich Marcus Hernig im Hugo-Junkers-Hangar wandte. Aber ein Blick auf eine Weltkarte war geeignet, einen Aha-Effekt auch bei Gästen auszulösen, die keinen Geographie-Leistungskurs belegt hatten. Die Karte, die der Lehrbeauftragte für „Chinakompetenz“ an der Tongji-Universität Shanghai und der TU Berlin zu Beginn seines Vortrags präsentierte, zeigte die Welt aus der Perspektive Chinas, und das heißt: China steht im Mittelpunkt der Karte, die USA und Europa sind aus dieser Position Randregionen. Ein harter Brocken für Menschen mit einem auf Europa oder den „Westen“ zentrierten Weltbild.

Freilich, und das ist eine zweite Korrektur landläufigen Denkens, die Hernig für nötig hält: Das unter Mao noch abgeschottete „Reich der Mitte“ öffnet sich wirtschaftlich schon seit Ende der 1970er Jahre zunehmend dem Rest der Welt. Wenn China heute mit dem Projekt „Belt and Road Initiative“ (BRI) uralte Handelswege zwischen China und Europa neu beleben und dominieren will, ist das keine Erfindung seines aktuellen Präsidenten Yi Jinping aus dem Nichts. Die Initiative – verkürzend, weil die Seewege vergessend, auch „Neue Seidenstraße“ genannt – baut vielmehr auf eine Strategie auf, die unter Deng Xiaoping Ende der 70er ihren Anfang genommen hat. Das wiederum passt zu einer von dem Philosophen Konfuzius vor gut 2500 Jahren geprägten Geisteshaltung, welche auch für die modernen Chinesen noch hohen Stellenwert hat: „Mit dem Alten vertraut sein – und das Neue kennen.“

Und was bedeutet das für Mönchengladbach? Kontakte zu China pflegt die Stadt immerhin. Das hatten die Zuhörer vor Hernigs Auftritt in einer von RP-Redakteur Andreas Gruhn moderierten Talkrunde mit Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners und IHK-Präsident Elmar te Neues gehört. Mönchengladbach pflegt eine Städtepartnerschaft mit der Stadt Suqian. Doch Reiners wünscht sich mehr als die unter anderem vereinbarte Möglichkeit, Verwaltungsmitarbeitern Praktika im jeweils anderen Land zu eröffnen: „Die Seidenstraße ist für mich keine Einbahnstraße. Deutsche Unternehmen sollten die Möglichkeit nutzen, darüber Produkte nach China zu exportieren.“ Dass bei vertieften Handelsbeziehungen auch Spezialwissen transferiert wird, ist nach Ansicht von te Neues ein unvermeidlicher Nebeneffekt: „Know how in ein Joint Venture zu geben, ist mitunter nötig, um einen Marktzugang in China zu bekommen.“

Sich mit der BRI Zugang zu Märkten von Fernost bis Europa zu verschaffen, wolle sich China eine Billion US-Dollar kosten lassen, erklärte Hernig später in seinem Vortrag mit dem Titel „Der Wind weht von Osten“. Zur Strategie gehören nicht nur Wirtschaftsallianzen mit asiatischen Ländern, sondern auch die intensivere Nutzung von Seewegen und ein Ausbau von Schienenwegen über die eurasische Landmasse. Darüber können auch Waren transportiert werden, die via Internet über chinesische Online-Plattformen bestellt werden. Schon heute kommen Züge mit Waren aus China in der Region an. Einer pro Woche in Neuss und Köln, in Duisburg seien es bereits 39 pro Woche, so Hernig.

Ob in Sachen Handel mit China nicht ethische Bedenken angebracht seien, beispielsweise wegen Chinas Umgang mit der Minderheit der Uiguren, einer Volksgruppe, von etliche Angehörige in Konzentrationslager gesperrt würden, wollte ein Zuhörer wissen. Hernig antwortete, indem er die Sicht der chinesischen Regierung erläuterte. Von muslimischen Uiguren seien in der Vergangenheit schon Bombenanschläge verübt worden. Da die Landroute der BRI durch die Uiguren-Region gehe, wünsche sich die Regierung dort Ruhe. Sie habe es versäumt, die uigurischen Eliten einzubeziehen. Die Lager stellte Hernig in eine historische Reihe mit Umerziehungslagern während der Kulturrevolution unter Mao. „Da geht es darum, Menschen auf Linie zu bringen“, sagte Hernig. Und wer sich nicht auf Linie bringen lasse, werde als Feind betrachtet.

Als ein ebenfalls altes Modell, wie Kommunen am Niederrhein mit dem modernen China in fruchtbare Wirtschaftsbeziehungen treten könnten, verwies Hernig auf den Städtebund der mittelalterlichen Hanse. Auch in diesem hätten Städte nach einheitlichen rechtlichen Spielregeln erfolgreich einen Handelsraum erschlossen, der von London bis Nowgorod reichte. Und so lautete Hernigs Antwort auf eine abschließende Frage des Moderators auch optimistisch. Warum die Region keine Angst vor der Wirtschaftsmacht Chinas haben müsse, wollte Gruhn wissen. Hernig: „Weil der Niederrheiner als Weltbürger genug Potenzial hat, China für sich zu erschließen.“

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