Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Corona und die Seele der Kinder

Mönchengladbach · Schul- und Kita-Schließungen haben massive Auswirkungen auf die Psyche von Kindern, die ohnehin mit Ängsten zu kämpfen haben. Nach dem ersten Lockdown suchten viele Eltern ärztliche Hilfe.

 Kinder mit Trennungsängsten wurden schwer durch die Corona-Krise getroffen.

Kinder mit Trennungsängsten wurden schwer durch die Corona-Krise getroffen.

Foto: dpa/Nicolas Armer

In den meisten Familien war das Aufatmen groß, als nach Lockdown und Sommerferien endlich wieder der Schulalltag begann. Die Eltern haben sich gefreut, die Kinder auch. Allerdings nicht alle. Kinder, die unter Angststörungen, besonders unter Trennungsängsten litten, schafften nach der langen Unterbrechung den Schritt in den geregelten Schulalltag nicht mehr. „Wir stellen einen Anstieg von Anmeldungen fest“, sagt Ewa Cionek-Szpak, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Chefärztin in der Fachklinik Wasserschlösschen für Kinder und Jugendliche, die in Haus Horst beheimatet ist. „Angststörungen haben sich verschlimmert.“

Es sind Kinder, die bisher zwar Probleme hatten, diese durch den strukturierten Alltag und die ständige Übung aber im Griff hatten. Kinder, die schon unter normalen Umständen Angst vor dem Verlust von Mama oder Papa haben. Kinder, die befürchten, dass, wenn sie nicht da sind, etwas Schlimmes passiert. Solange sie es schaffen, zur Schule zu gehen, erfahren sie Tag für Tag, dass die befürchtete Katastrophe nicht eintritt, dass es Mama und Papa gut geht, wenn sie wieder nach Hause kommen. Und dann kommt der Lockdown und damit das Ende der Alltagsroutine. Die eingeübte Praxis bricht ab, die Verlustängste werden durch die Pandemie und die Diskussionen über Ansteckung, Krankheit und Tod verstärkt. Und als die Schulen wieder öffnen, schaffen die betroffenen Kinder den Schritt zurück nicht mehr.

Die Symptome verschlimmern sich, manchmal darf Mama noch nicht einmal mehr einkaufen gehen. Wie können Eltern damit umgehen? „Es ist ein emotionaler Balanceakt“, sagt die Kinder- und Jugendpsychiaterin. „Eltern sollten die Ängste ernst nehmen, sie aber nicht bedienen.“ Oft muss tatsächlich ärztliche Hilfe gesucht werden, auch eine stationäre Behandlung kann nötig sein. „Wenn wir die Kinder in die Klinik aufnehmen, machen sie die Erfahrung, dass die Mutter am nächsten Tag gesund wiederkommt“, sagt Ewa Cionek-Szpak.

Aber nicht nur Kinder mit Trennungsängsten wurden schwer von der Corona-Krise getroffen. „Kinder und Jugendliche, bei denen die Impulskontrolle gestört ist, profitieren von definierten Ruhezeiten und einer klaren Tagesstruktur“, erklärt die Chefärztin. Eine Störung der Impulskontrolle gehört neben Hyperaktivität und Konzentrationsstörungen zu den Symptomen von ADHS. Bricht die Tagesstruktur wie im Lockdown weg, sind die Betroffenen frustriert und können sich nur noch schwerer beherrschen. Da die Familien aber auch noch viel Zeit miteinander verbringen, kommt es zu Wutausbrüchen auf allen Seiten, die sich gegenseitig verstärken. Das kann auch in sonst harmonischen Familien vorkommen. „Wir wissen, dass die häusliche Gewalt während des Lockdowns zugenommen hat“, sagt Cionek-Szpak, die an einem Buch über die psychischen Folgen des Lockdowns arbeitet.

Auch eine Verstärkung von Leistungsängsten stellt die Fachärztin fest. Die meisten Kinder sind vor Klassenarbeiten aufgeregt, dann aber doch in der Lage, ihre Leistung abzurufen. Anders die von Leistungsängsten geplagten Schüler: Sie reagieren mit Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen auf den Druck, der sich dadurch erhöht, dass lange Zeit keine Klassenarbeiten oder Klausuren geschrieben wurden. „Es sind oft gerade Kinder, die sehr gute Leistungen bringen, zu den Klassenbesten gehören, aber unglaublich unter Leistungsdruck stehen“, sagt die Psychiaterin.

 Dr. med. Ewa Cionek-Szpak ist Chefärztin der Oberberg Fachklinik Wasserschlösschen.

Dr. med. Ewa Cionek-Szpak ist Chefärztin der Oberberg Fachklinik Wasserschlösschen.

Foto: www.oberbergkliniken.de/Wolfgang Stahr/Wolfgang Stahr

Wird die Corona-Pandemie Spuren in den Seelen der Kinder hinterlassen? Schwer zu sagen, aber: „Ich finde, dass gerade in Deutschland bisher alles recht gut gelaufen ist und im Gesundheits- und Bildungswesen kluge und bedachte Entscheidungen getroffen wurden“, sagt Ewa Cionek-Szpak. „Ich hoffe, es wird uns stärken.“

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