Kleve Zeitung zum Hören als Draht zur Welt

Kleve · Die Ehrenamtler des „Niederrhein-Echo“ sprechen seit 1982 lokale Nachrichten für Blinde ein. Abonnenten können sich die Zeitung 52 Wochen im Jahr als Hörbuch herunterladen. Nun sucht der Verein neue Vorleser und Freiwillige.

 Die Redaktion des Niederrhein-Echos: Margret Esser, Arthur Hebben, Wener Kuhnen, Johannes Intveen und Werner Zenker (v.l.n.r).

Die Redaktion des Niederrhein-Echos: Margret Esser, Arthur Hebben, Wener Kuhnen, Johannes Intveen und Werner Zenker (v.l.n.r).

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Arthur Hebben setzt sich, drückt die Brille auf die Nase und hält einen Zeitungsartikel vor sich. Noch einmal durchatmen, dann setzt er zur Überschrift an: „Niederländer räumt vor Gericht Drogenhandel im Darknet ein“. Mit klarer Betonung und in gemächlichem Tempo liest der Rentner vor. Der Artikel ist jüngst in der Grenzland Post erschienen, Hebben und Kollegen haben ihn ausgeschnitten, markiert und aufbewahrt. Der Grund dafür: Die Ehrenamtler produzieren die einzige Blindenzeitung im Kreis Kleve, das „Niederrhein-Echo“. „Wir richten uns an Leute, die auf unser Angebot absolut angewiesen sind“, sagt Margret Esser, Vorsitzende des Vereins. Einmal in der Woche kommen die Ehrenamtlichen zusammen und wählen aus den lokalen Medien zwischen Emmerich, Kleve, Goch und Geldern die wichtigsten Artikel aus. Diese ordnen die Vereinsmitglieder in Rubriken ein und lesen sie im Tonstudio der Kisters-Stiftung auf MP3-Format ein.

„Bei uns bekommen Blinde lokale Zeitungsinhalte von authentisch niederrheinischen Stimmen und nicht von mechanischen Computerstimmen vorgelesen“, sagt Esser weiter. So klirrt im Hintergrund durchaus mal das Porzellan der Kaffeetasse, auch die herumgereichte Keksdose ist hörbar. „Das zeigt doch bloß, dass hier bei uns Menschen am Werk sind. Unsere Hörer wissen das zu wertschätzen“, sagt Vorstandsmitglied Johannes Intveen. Die Geschichte des Vereins beginnt im Jahr 1982. Damals setzten Karl-Heinz Gottlob und Kurt Gockel im heimischen Wohnzimmer erstmals die Idee einer kreisweiten Hörzeitung um. „Zu der Zeit gab es in der Region noch viele Kriegsversehrte und Kriegsblinde, die die Zeitung abonniert haben“, sagt Intveen. 1993 dann zog die Redaktion in die Räumlichkeiten der Kisters-Stiftung um und fand dort ihre Heimat. Wöchentlich sprechen die Ehrenamtler heute knapp 90 Minuten lang Lokalnachrichten ein.

Früher, blickt Esser zurück, seien die Berichte noch auf Kassettenband aufgenommen worden. Mittlerweile aber habe die Digitalisierung Einzug gehalten. Die Verbreitung mit der CD sei unter den Hörern beliebt, auch per Download auf dem Computer erhalten Abonnenten einen Zugang zur Wochenzeitung. In 24 Rubriken ordnet das „Niederrhein Echo“ die Artikel, besonders beliebte Gruppen sind „Gut zu wissen“, „Lokale Politik“, „Gerichtsberichte“ und „Kirchliches“. Alle Interessen wolle man abbilden, erklärt Esser, nur der lokale Sport werde bisher nicht angeboten. Für diesen fehle schlichtweg die Nachfrage der Abonnenten. Und dennoch: Schreibt die RP-Lokalredaktion über große Sportpersönlichkeiten in der Region, nimmt die Blindenzeitung solche Artikel gerne in die Rubrik „Menschenbilder“ auf. „Diese Artikel sind uns am liebsten: Berichte, in den besondere Persönlichkeiten im Vordergrund stehen“, sagt Esser.

Ein Massenpublikum spricht der gemeinnützige Verein nicht an: „Wir hatten mal 30 Leser, aktuell sind es nur noch 20“, sagt Arthur Hebben. Und dennoch ist er sich sicher: Die Mission der Freiwilligen sei unverändert wichtig. „Die großen bundesweiten Tageszeitungen kann man als Upload bekommen. Aber ohne uns würden die Blinden überhaupt keinen Zugang zu Lokalnachrichten erhalten“, sagt Esser. Nun ist die Redaktion auf der Suche nach neuen Lesern und setzt dabei auf Sehende.  „Wir sind darauf angewiesen, dass Angehörige oder Freunde den Betroffenen von uns berichten“, sagt Hebben. So hätte der Verein versucht, mit Flyern und Plakaten auf das Abonnement-Angebot aufmerksam zu machen. Das Problem dabei: Blinde können die Werbung nicht sehen. Wohl aber könnten sie in der kommenden Woche hören, wie ihre eigene Zeitung produziert wird. Dann nämlich wird Arthur Hebben den Artikel „Zeitung zum Hören als Draht zur Welt“ aus der Rheinischen Post einsprechen; laut, deutlich und in gemächlichem Ton.

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