Groesbeek Aus Befreiung wird Freiheit

Groesbeek · Neben dem alten Gebäude hat das Befreiungsmuseum in Groesbeek neu gebaut. 6,5 Millionen Euro kostete das Projekt. Auch hat Direktor Wiel Lenders ihm einen neuen Namen gegeben. Das Ziel: eine umfassendere Geschichtserzählung.

 Der niederländische Historiker und Museumsdirektor Wiel Lenders ist stolz auf seinen Neubau in Groesbeek.

Der niederländische Historiker und Museumsdirektor Wiel Lenders ist stolz auf seinen Neubau in Groesbeek.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Wer das Freiheitsmuseum in Groesbeek betritt, steht unter Druck. Als säße man im Flugzeug oder führe man mit dem Auto ins Gebirge, braucht es mehrmaliges Schlucken, um den Ohrendruck zu vermindern. Der Grund: Das niederländische Freiheitsmuseum, dessen zwölf Meter hohes Gebäude einem riesigen Fallschirm nachempfunden ist, wird nur mit Luftdruck hochgehalten. Es wurde kein Stahl, Holz oder Beton verwendet, auch Wände hat das Museum nicht. Der Name der Kuppel:  Shaded Dome. „Eine solche Konstruktion sieht man nirgendwo. Auch die Bauzeit von elf Monaten ist spektakulär“, sagt Direktor Wiel Lenders. 5,6 Millionen Euro kostete der Neubau, der direkt neben dem alten Gebäude an der Wylerbaan errichtet wurde.

Seit dem 1. September sind die Ausstellungen wieder Besuchern geöffnet. Schon seit so vielen Jahren habe Lenders, so erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion, von einem großen Museum in der Grenzgemeinde geträumt.  Nun habe sich dieser endlich erfüllt. Finanziert wurde das Projekt unter anderem auch vom nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium. Die wichtigste Änderung hat mit der großen Architektur und dem vielen Geld nichts zu tun: Aus dem Befreiungsmuseum wurde nämlich das Freiheitsmuseum.  „Wir fanden den bisherigen Namen nicht mehr so passend und wollten das Thema Freiheit breiter beleuchten, mit all seinen Facetten. Nicht nur im zweiten Weltkrieg regierte Unfreiheit, auch heute steht Freiheit vielerorts unter Druck“, sagt Lenders.

Die Kriegswirren müssten vielmehr als gesamteuropäische Katastrophe aufgearbeitet werden, der Blick auf die aliierte Befreiung der von Hitler-Deutschland besetzten Niederlande könne da nicht genügen. Weiterhin würden sich die Ausstellungen mehrheitlich um die beiden Weltkriege drehen, mindestens zu einem Drittel aber werden die Besucher künftig mit der Nachkriegszeit konfrontiert. „Wir sollten die nationale Brille in der Geschichtsbetrachtung ablegen“, sagt der Historiker. Das Museum setzt in seinen neuen Räumlichkeiten auf eine multimediale Darstellung: Relikte aus Kriegszeiten, Informationstafeln, in Kurzfilmen geben Schauspieler die persönlichen Schicksale von Zeitzeugen wieder. Der Zuschauer wird ermutigt, in Dilemmasituationen eine Entscheidung zu treffen. Ein Beispiel: Der aufgeschlossene Polizeibeamte Jasper aus Nimwegen erhält im Jahr 1942 den Auftrag, Juden für einen Gefangenentransport abzuholen. „Was würdest du tun?“, fragt er. Die moralisch richtige Antwort scheint klar, die Realität aber holt einen schnell ein: In dem Jahr gab es nicht einen einzigen Polizisten, der sich dem Befehl wiedersetzte.

Wer sich in die Gefühlswelt der Kriegszivilgesellschaft zurückversetzen will, der kann sich für zehn Minuten in die Simulation eines Luftschutzbunkers begeben. Die Türe wird geschlossen, außer einem kargen Kreuz und unkomfortablen Holzbänken bietet der nur wenige Quadratmeter große Raum vor allem ein beklemmendes Gefühl. Immer näher kommen die Heulgeräusche fallender Bomben, die Einschläge lassen den Bunker unaufhörlich vibrieren. Nach jedem Einschlag hofft der Besucher auf ein Ende der Simulation, nach zehn Minuten verlassen die meisten paralysiert den Bunker.

 Die alliierte Landeoperation „Market Garden“ wird im Museumsneubau an einem Modell nachgestellt.

Die alliierte Landeoperation „Market Garden“ wird im Museumsneubau an einem Modell nachgestellt.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Auch besonders eindrucksvoll: Auf schwarzer Wand haben die Museums-Macher Zeitungsartikel der Dreißiger- und Vierzigerjahre geklebt. Sie sollen den Weg zum Krieg aus Sicht des niederländischen Journalismus in Szene setzen. Während viele Gazetten vor Ausbruch des Kriegs noch Hoffnung auf Frieden zu haben scheinen und die führende Tageszeitung „De Telegraaf“ im Titel mit „Warum sollte ich Krieg führen?“ gar ein Zitat Adolf Hitlers zitiert, kippt die Stimmung schnell. Dazu kommt: Flankiert wurde der Aufstieg der Nazis im Nachbarland von der  Nationaal-Socialistische Beweging (NSB), über deren Aufstieg das Museum ausführlich in gleich mehreren Vitrinen informiert. Auch mit der niederrheinischen Kriegsvergangenheit setzen sich Lenders und Kollegen auseinander. Auf Infotafeln werden die Bombardements aliierter Flieger auf Kleve dargestellt, die die Stadt vor 75 Jahren in Schutt und Asche legten. Zudem stellt das Freiheitsmuseum einen eindrucksvollen Vergleich mit der Stadt Goch an. 34.000 Menschen leben in der Weberstadt und damit genau so viele, wie in den Wirren des Zweiten Weltkriegs pro Tag fielen. In der Gedenkensecke symbolisieren schwarze Säulen die Kriegsopfer aller kriegsbeteiligten Länder. Jeder Zentimeter steht für 52.000 Tote. Die höchste Säule ragt stellvertretend für die Toten der Sowjet-Union in die Höhe: 25 Millionen Todesopfer forderte der Zweite Weltkrieg im Einparteinstaat. Ein Besuch im Museum endet bei Tafeln über die Europäische Union, genauer: über ihre Fürsprecher und Widersacher. Luxembourgs Premier Pierre Werner auf der einen, Margaret Thatcher auf der anderen Seite. Die Essenz: Unterschiedliche Meinungen hält eine Demokratie aus, sie stärkt diese gar, solange sie nicht in Hass umschlagen. „Die Demokratie muss dafür stark genug sein“, sagt Lenders.

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