Dorfspaziergang in Corona-Zeiten Amandus lebt am Nordkanal

Herongen · Herongen blickt auf eine sehr lange Geschichte zurück. Die Zeugnisse und Denkmale dafür sind in der Ortschaft überall sichtbar, mal mehr, mal weniger. In der dörflichen Infrastruktur tun sich einige Lücken auf.

 Im Landcafé Hensen: Wirt Matthias Hensen (r.) spricht mit Hans-Willi Hüsges. Der kam mit dem Fahrrad aus Neuss.

Im Landcafé Hensen: Wirt Matthias Hensen (r.) spricht mit Hans-Willi Hüsges. Der kam mit dem Fahrrad aus Neuss.

Foto: Klatt

Vielleicht wäre man an diesem sonnendurchglühten Nachmittag lieber eines der Tiere, mit denen Familie Nißing ihr Geld verdient. Ein Koi, ein Goldfisch oder ein Stör. Mit dem Verkauf von Zierfischen startete Johannes Nißing vor rund 25 Jahren. Der Kundenkreis ist seitdem stetig gewachsen, die Käufer kommen aus den Niederlanden und dem Ruhrgebiet, aber auch aus Mönchengladbach und natürlich der näheren Umgebung. In mehreren Becken schwimmen die Flossenträger auf dem Firmengelände am Schlousweg in Herongen. „Wie ziehen sie über den Eisvogel hinaus auf“, sagt Nißings Schwiegertochter Petra Nißing. Heißt: Erst wenn die Fische als Happen für den Eisvogel zu groß sind, kommen sie ins Freie. „Sonst holen die Eisvögel alles weg.“

 Johannes und Petra Nißing mit einigen ihrer Kois.

Johannes und Petra Nißing mit einigen ihrer Kois.

Foto: Klatt

Ins Freie, das bedeutet im Winter: Kois und Co. tummeln sich an der zweiten von sieben Schleusen des Nordkanals. Ihn ließ Napoleon ab 1806 als Wasserstraße zwischen dem Seehafen Antwerpen, der Maas und dem Rhein anlegen. Neben dem schnellen Transport von Massengütern versuchte Napoleon in der Auseinandersetzung mit England, den Handel der Engländer mit dem europäischen Festland zu unterbinden. Die Holländer, die als Anrainer des Rheinmündungsgebietes Nutznießer des Handelsverkehrs waren, widersetzten sich diesen Bestrebungen. Der Nordkanal wurde nie fertiggestellt.

 Freundlich: Christa und Achim Mommers in ihrer bft-Tankstelle.

Freundlich: Christa und Achim Mommers in ihrer bft-Tankstelle.

Foto: Klatt

Eine Heronger Station der 100 Kilometer langen „Fietsallee am Nordkanal“ ist die Schleuse Louisenburg, deren Mauern von Grün überwuchert sind. Auf der anderen Seite des Napoleonwegs steht das Jagdhaus „Zum Nordkanal“. Einst war es ein beliebtes Ausflugslokal. Schon lange steht es leer.

„Dafür wird ein Käufer gesucht“, weiß Achim Mommers. Er betreibt direkt nebenan die bft-Tankstelle. Die Abkürzung steht offiziell für „Bundesverband Freier Tankstellen“. Mommers hat es für sich neu interpretiert in „besonders freundliche Tankstelle“. Seine Schwiegereltern gründeten den Betrieb 1954, seit 1999 ist der heute 63-Jährige Chef. Der Standort direkt an der B 221 sei zehn Jahre lang ein Flop gewesen, erzählt er. „In den Niederlanden war alles billiger, auch Zigaretten und Diesel.“ Mittlerweile hat das Nachbarland diverse Steuern erhöht, „und die Kunden sind alle wieder da“, freut sich Mommers. Urlauber auf dem Weg zur A 61 tanken ein letztes Mal vor der Autobahn. Und Trucker unter anderem aus der Türkei, Polen, der Ukraine und Weißrussland fassen nicht nur Diesel, sondern gönnen sich beispielsweise „Erbsen, Gulasch und Semmelknödelsuppe“ für 3,95 Euro. „Hier werden sie freundlich und mit Respekt behandelt“, sagt Mommers über die Brummifahrer, deren Leben alles andere als einfach ist.

Im Heronger Zentrum ist der Ortspatron Amandus allgegenwärtig. Amanduskapelle und Amandusbrunnen bilden einen kleinen idyllischen Ruheplatz. Ein Stück die Bergstraße hinunter zweigt der Amandusweg ab. Die Amandus-Kirche an der S-Kurve der Ortsdurchfahrt gibt es zweimal. Die Grundschule ist mittlerweile eine Dependance der Katharinen-Schule, trug früher aber offiziell Amandus in ihrem Namen.

 An der Ortsdurchfahrt Herongen: die neue Amandus-Kirche. Rechts sieht man die Mauer an der alten Amandus-Kirche.

An der Ortsdurchfahrt Herongen: die neue Amandus-Kirche. Rechts sieht man die Mauer an der alten Amandus-Kirche.

Foto: Klatt

„Roosen’s Festsaal“, wie es in eigenwilliger Rechtschreibung über der Eingangstür eines lang gestreckten Gebäudes an der Bergstraße steht, wird schon lange nicht mehr als solcher genutzt. Hinweisschilder über Hygiene und Abstand sind in niederländischer Sprache am Eingang angebracht. Einige der Leiharbeiter, die dort wohnen, kommen immer mal wieder für Sportwetten und Zigaretten in die Lotto-Toto-Poststelle von Natascha Küppers einige Meter die Straße hinab. „Rumänen, alle gut erzogen und freundlich“, berichtet die Ladeninhaberin.

Diese Männer trügen auch immer eine Schutzmaske, was Natascha Küppers längst nicht von allen Kunden behaupten kann. Vielleicht liege es an der nahen Grenze zu den Niederlanden, wo keine Maskenpflicht herrscht.

„Ohne Mundschutz, Chaos in den Geschäften, da wirst Du platt getreten“, beschreibt Matthias Hensen die Lage in Venlo. Dort wohnt der 64-Jährige, der in Herongen das Landcafé Hensen führt. Acht Wochen hatte er im Corona-Lockdown geschlossen, seit Pfingsten hat er wieder auf. „Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen“, seufzt der Gastronom. Bei gutem Wetter läppere es sich. „Aber voll, das kannst Du vergessen.“ Vereinzelt kehren Ehepaare ein, die Kurzurlaub machen. Oder einzelne Kevelaer-Pilger. „Wenn noch mal ein Lockdown kommt, mache ich nicht mehr auf“, ist sich Hensen sicher.

An diesem Nachmittag hat er Gelegenheit zu einem Plausch mit seinem einzigen Gast. Hans-Willi Hüsges ist mit dem Fahrrad aus Neuss gekommen. Hensen kennt er aus Neuss, dort zählt die Familie seit 1856 zum „Gastronomie-Hochadel“, wie er schmunzelnd erklärt. Hensen, seit elf Jahren in Herongen, schildert die Lage vor Ort. „Hier ist nicht mehr allzuviel, keine Kneipe im Dorf.“ Alle würden schreien, es gäbe nichts, aber zum Einkaufen kämen die dann auch nicht.

Hüsges nickt und nimmt einen Schluck von seinem Weizenbier. Nach der Rast geht es wieder zurück nach Neuss. Mit dem Rad. Aber von wegen E-Bike. „Ne, das ist ein ganz normales Tourenrad“, sagt der 69-Jährige.

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