Aktivistencamp in Lützerath Das Warten auf den Tag X

Erkelenz · Mehr als 100 Menschen leben im Lützerather Aktivistencamp, am Wochenende haben einige eine weitere Fläche besetzt. Sie bereiten sich vor auf den Tag, an dem RWE und Polizei anrücken werden, um den Ort zu räumen. Noch gibt es für sie Hoffnung, dass Bauer Eckhardt Heukamp mit der Klage gegen seine drohende Enteignung Erfolg hat.

 Salome Dorfer am Eingang des Camps.

Salome Dorfer am Eingang des Camps.

Foto: Christos Pasvantis

Der Schaufelradbagger wirkt an diesem Nachmittag bedrohlich nahe. Dröhnend, ratternd frisst er sich auf der Suche nach Braunkohle in den Boden. Nur noch gut 200 Meter trennen den Rand der riesigen Braunkohlegrube von Lützerath. Dem Ort, der sich in diesen Tagen immer mehr zum zweiten „Hambi“ entwickelt. Salome Dorfer steht am Rand des Aktivistencamps. „Wir kämpfen hier nicht nur um Lützerath“, sagt sie. „Wir kämpfen hier darum, dass 600 Millionen Tonnen Braunkohle im Boden bleiben.“ Wir, das sind mehr als einhundert meist junge Menschen, die den Lützerather Wald in den vergangenen Monaten in ein Camp des Widerstands verwandelt haben. Salome und ihre Mitstreiter leben dort teilweise schon seit mehr als einem Jahr in Zelten, umgebauten Wagen oder Baumhäusern.

„Wir wollen hier eine Gemeinschaft bilden und Strukturen aufbauen, die am Kapitalismus vorbeiführen“, sagt die Aktivistin. Kapitalismus – dieses Wort betont sie immer wieder. Das Streben nach Wachstum und immer mehr Profit, personifiziert durch den Tagebaubetreiber RWE, ist den Klimaaktivisten ein Dorn im Auge. Deshalb bereiten sie sich vor. Während Salome Dorfer durch das große Camp führt, wird im Hintergrund gearbeitet. Drei Männer hämmern in zwei Metern Höhe Nägel in ein Baumhaus, ein paar Meter weiter sägt ein Mann Bretter. „Wenn der Tag gekommen ist, werden wir Widerstand leisten“, sagt Salome Dorfer.

Im Gegensatz zu fünf anderen Erkelenzer Braunkohledörfern, für die es begründete Hoffnung gibt, ist Lützerath dem Tode geweiht, zumindest wenn es nach der Politik geht. Die bergbauliche Inanspruchnahme – ein herrlich technokratisches Wort für die Zerstörung eines Dorfs – Lützeraths ist in wenigen Monaten geplant. Schon zu Jahresbeginn hatte RWE begonnen, Häuser in Lützerath abzureißen und Bäume zu roden. Auch damals gab es Widerstand, allerdings in verhältnismäßig geringem Rahmen.

In den Bäumen haben die Klimaaktivisten Baumhäuser gebaut – teils in zehn Metern Höhe.

In den Bäumen haben die Klimaaktivisten Baumhäuser gebaut – teils in zehn Metern Höhe.

Foto: Ruth Klapproth

Nun steht der Abriss des restlichen Dorfs an. Anfang Oktober hat die Rodungssaison begonnen. Passiert ist bislang noch nichts. Viele rechnen damit, dass RWE Anfang November mit Amtshilfe der Polizei damit beginnen wird, den Ort zu räumen. Auf Anfrage teilt ein RWE-Sprecher mit, dass man in der Öffentlichkeit grundsätzlich keine Angaben zu solchen geplanten Maßnahmen macht. Das letzte Hindernis: Ein Gerichtsverfahren von Landwirt Eckhardt Heukamp, dem letzten echten Lützerather. Sein historischer Hof aus dem 18. Jahrhundert sowie einige Unterkünfte, die einst von Erntehelfern und nun von Aktivisten bewohnt werden, sind die einzigen Gebäude im Ort, die noch nicht RWE gehören. Das Verwaltungsgericht Aachen hat Heukamps Klage gegen seine Enteignung abgewiesen (AZ: 6 L 418/2). Nun hat der Landwirt noch die Möglichkeit, vor dem Oberverwaltungsgericht Münster in Berufung zu gehen.

Trifft das OVG nicht eine sensationelle Entscheidung, wird es in Lützerath in wenigen Tagen ernst. Einen Plan haben die Aktivisten schon, wie Salome Dorfer erklärt. Es werden sich Menschen in Baumhäusern verschanzen. Andere werden sich in über die Straße gespannte Stahlseile hängen. Es wird menschliche und hölzerne Blockaden geben. Und Gewalt? Bei der Antwort auf diese Frage wird Salome Dorfer emotional. „Gewalt ist das, was die Polizei seit Jahren gegen Menschen wie uns anwendet. Wir leben leider in einer Welt, in der Gewalt etwas Alltägliches und Akzeptiertes ist“, sagt sie. Ausschließen, dass es auch am Tag X Gewalt geben wird, will sie nicht.

 Eines der größeren Werke der Aktivisten: Baumhäuser und Stelzenhäuser auf einer Wiese in Lützerath.

Eines der größeren Werke der Aktivisten: Baumhäuser und Stelzenhäuser auf einer Wiese in Lützerath.

Foto: Ruth Klapproth

Wann dieser Tag kommt, das weiß keiner. Bis dahin herrscht im Camp so etwas wie Alltag. Menschen werkeln und bauen, reden miteinander, schleppen Bierkisten und Nahrungsmittel herum, waschen und spülen. „Hier gibt es immer etwas zu tun“, sagt Salome Dorfer. Auf einer grünen Tafel am Campeingang hat jemand mit Kreide eine To-Do-Liste geschrieben. „Paletten zerlegen“ steht dort, „Rasen mähen“, „Papiermüll entsorgen“ und „silbernes Auto reparieren“. Oft gibt es Workshops, etwa zum Klettern oder Hütten bauen. An der Mahnwache am noch nicht abgerissenen Teil der Landstraße 277 sitzen fünf Menschen in ihren Sechzigern und musizieren mit Gitarre und Akkordeon. Sie singen – natürlich – „Bella Ciao“, die Protesthymne schlechthin. Im Lager stehen auf einer Wiese dutzende Zelte. Zahlreiche aus Holz gebauten Hütten, teilweise viele Meter hoch. Manche Baumhäuser stecken in mindestens zehn Metern Höhe in den Baumkronen. Und überall Plakate. „Wir haben uns ein Denkmal gebaut“, steht auf einem, „Leben verteidigen ist kein Verbrechen“ auf einem anderen.

Die meisten Aktivisten sind in ihren Zwanzigern, tragen Funktionskleidung und grüßen freundlich, wenn man an ihnen vorbeigeht. Viele, aber längst nicht alle sind Studenten, sagt Salome Dorfer, die aus ganz Deutschland nach Lützerath gekommen sind. Woher sie selber kommt, will sie nicht verraten. Nur soviel: „Mit dem Fahrrad sind es von hier sieben Stunden, mit den Öffentlichen drei Stunden.“

Musizieren an der Tagebaukante: Diese Gruppe singt die Protesthymne „Bella Ciao“.

Musizieren an der Tagebaukante: Diese Gruppe singt die Protesthymne „Bella Ciao“.

Foto: Christos Pasvantis
To-Do-Liste: Unter anderem stehen Holz hacken, Auto reparieren und Papiermüll wegbringen auf dem Plan.

To-Do-Liste: Unter anderem stehen Holz hacken, Auto reparieren und Papiermüll wegbringen auf dem Plan.

Foto: Christos Pasvantis

Ob es treffend wäre, das Camp als eine Art Kommune zu beschreiben? Salome Dorfer überlegt lange. Ganz falsch sei das nicht. Aber: „Eine Kommune hat etwas Dauerhaftes, ist langfristig angelegt“, antwortet sie. Das Lager in Lützerath ist eine zeitlich befristete Interessengemeinschaft. Und bis sie aufgelöst wird, dauert es wohl nur noch wenige Tage.

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