Studieren nach dem Brexit Bye bye Oxford

Bonn · Englischsprachig, nah und beliebt: Lange Zeit reisten Jahr für Jahr tausende Studierende aus Deutschland und anderen Ländern Europas für ein Auslandssemester nach Großbritannien. Der Brexit hat das beendet. Und andere Länder profitieren.

Die Bodleian Library der Universität Oxford.

Die Bodleian Library der Universität Oxford.

Foto: picture alliance / dpa/Steve Vidler

Es war das ideale Land für ein Auslandssemester: Eine Stunde Flug, leichte Verständigung auf Englisch, dazu altehrwürdige Universitäten mit exzellentem Ruf – Großbritannien war für deutsche Studierende ein begehrtes Ziel. Fast 14.000 junge Deutsche gingen noch im Jahr 2016/2017 ins Vereinigte Königreich, um dort für einige Zeit zu studieren. Doch dann kam der Brexit – und die Zahlen brachen ein: Knapp 10.000 Deutsche gingen im Semester 2021/2022 noch auf die Insel, zum Teil noch mit durch die Pandemie verschobenen „Rest“-Stipendien. Nun greift jedoch kein Erasmus-Programm mehr, mit dem europäische Studierende dank eines Stipendiums von rund 400 Euro monatlich und ohne Studiengebühren an anderen europäischen Hochschulen studieren können. Das einfache Auslandssemester in Großbritannien ist Geschichte.

Dass Großbritannien nicht mehr Teil des Erasmus-Programms ist, bedeutet konkret: Studierende aus Deutschland müssen künftig bei Studienaufenthalten in Großbritannien Gebühren bezahlen. Sie werden behandelt wie alle anderen internationalen Studierenden und zahlen sogenannte Oversea Fees. Und die liegen, je nach Studienort und Fach, durchaus zwischen 10.000 und 42.000 Euro pro Studienjahr. „Die finanziellen Hürden sind zu hoch und die visa-rechtlichen Fragen zu komplex geworden“, sagt Wolfgang Gairing vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). „Vor allem, wenn es um ein Semester im Ausland geht. Was den organisatorischen und finanziellen Aufwand angeht, ist das Vereinigte Königreich heute mit Nordamerika vergleichbar. Wer unkompliziert und zügig beispielsweise während des Bachelorstudiums für einige Monate ins Ausland möchte, dem rate ich, sich nicht am komplizierten System im Vereinigten Königreich die Zähne auszubeißen, sondern sich nach Alternativen in Europa umzuschauen.“

So machen es viele: Klare Zuwächse an Erasmus-Studierenden gibt es beispielsweise in Irland oder Malta zu verzeichnen – die Universität Maltas bietet alle Kurse auf Englisch an. „Ganz klar geht die Bewegung aber auch nach Skandinavien mit Stockholm und Kopenhagen“, sagt Wolfgang Gairing. „BWL-Studierende etwa signalisieren, dass man an den Business-Schools in Kopenhagen oder Stockholm ebenso wichtige Kontakte knüpfen und internationale Weichen stellen kann wie in London. Nach Schweden und Dänemark gehen hervorragende Leute, das Preis-Leistungsverhältnis ist gut, der Fächerkanon bestens, und ein Auslandssemester kostet ein Zehntel von dem, was es in Großbritannien kosten würde.“ Inzwischen würde etwa auch die bisher eher unbekannte Universität im schwedischen Lund inzwischen einen sehr guten Ruf unter den Erasmus-Studierenden genießen.

Dennoch gibt es Studierende, für die der Aufenthalt in Großbritannien trotz aller Hürden gesetzt ist. „Der Studienstandard im Vereinigten Königreich genießt weltweit hohes Prestige“, sagt der DAAD-Experte. „Viele Übersee-Studierende können und wollen sich das leisten.“ Auf dem internationalen Bildungsmarkt habe sich für Nicht-EU-Studierende nichts geändert. Die Studiengebühren seien für sie dieselben geblieben – und es gehöre in gewissen Kreisen zum guten Ton, im Vereinigten Königreich oder in den USA zu studieren, denn dort knüpfe man wichtige Kontakte.

Doch welche Möglichkeiten gibt es für deutsche Studierende, die nicht über den entsprechenden finanziellen Hintergrund verfügen? „Die Hochschulen bemühen sich um bilaterale Abkommen: Also Vereinbarungen, wie Studierende der Universität X in Deutschland doch noch kostengünstig bei Universität Y in Großbritannien studieren können“, sagt Wolfgang Gairing. „Beispielsweise, indem man sich gegenseitig die Studiengebühren erlässt.“ Allerdings: Ein Abkommen dieser Art wird nicht jeder deutschen Hochschulen gelingen – und gerade die Top-Liga der englischen Universitäten wird sich auf solche Abkommen eher nicht einlassen. „Man muss allerdings schon sagen, dass einige britische Hochschulen nicht glücklich damit sind, dass die Zahlen der Studierenden aus der EU zurückgehen“, sagt Gairing. „Sie sind mit der Zusammensetzung der internationalen Studierenden nicht mehr zufrieden und bemängeln außerdem, dass man so exzellente Studierende, die früher auch ihren PhD, also ihre Promotion, in Großbritannien gemacht hätten, verliert.“ Nach dem Motto: Wer schon nicht zum Studium ins Land kommt, wird auch für den PhD einen anderen Standort suchen.

Denn nicht nur für ein Auslandssemester, auch für ein komplettes Masterstudium sind viele deutsche Studierende vor dem Brexit nach Großbritannien gegangen. „Auch für sie haben sich die Vorzeichen nun beträchtlich geändert“, sagt Gairing. Masterstudierende aus Deutschland zahlten früher die gleichen Gebühren wie britische Studierende für das Masterstudium, maximal 9000 Pfund (fast 10.000 Euro) im Jahr. Nun zahlen sie soviel wie etwa die Kommilitonen aus China, also bis zu 38.000 Pfund (rund 42.000 Euro) pro Jahr. Hinzu kommt: Während man für ein Auslandssemester von weniger als sechs Monaten kein Visum benötigt, ist dies für ein Masterstudium unabdingbar. Ein Arbeitsvisum zu bekommen, um die hohen Studiengebühren gegebenenfalls auszugleichen, ist hochgradig komplex. „Wir als DAAD und auch andere Stipendiengeber in Deutschland unterstützen mit unseren Programmen herausragende Studierende bei einem Masterstudium Großbritannien“, sagt Wolfgang Gairing. „Der DAAD etwa fördert mit 18.000 Euro Studiengebührenzuschuss das Masterstudium. Aber das ist natürlich nur eine Chance für ganz wenige.“

Übrigens: Nicht nur die Zahl der Studierenden, die ein Auslandssemester in Großbritannien absolviert, nimmt ab, sondern auch die der Klassenfahrten und Sprachreisen. Der Branchenverband Tourism Alliance gibt an, dass im vergangenen Jahr 83 Prozent weniger Schülerinnen und Schüler aus Europa nach Großbritannien gereist als noch 2019 – also vor dem Brexit. Bis August 2022 brachten die Anbieter lediglich gut 37.000 Schülerinnen und Schüler ins Vereinigte Königreich, um ihr Englisch zu verbessern, Land und Kultur kennenzulernen und Freundschaften zu knüpfen. 2019 waren es noch rund 306.000. Der Grund für diesen massiven Einbruch: Gruppeneinreisen sind nicht mehr möglich, stattdessen müssen alle Schüler einzeln einen Reisepass vorlegen. Für Schüler mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft müssten außerdem teils Visa beantragt werden – unüberwindbare Hürden für eine Klassenreise.

(mit dpa)
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