Kolumne Studentenleben Da geht noch was

Leistungsdruck hat Nebenwirkungen. Gefühle und Freunde können unter permanentem Druck und Kontrollwahn auf der Strecke bleiben. Eine überspitzte Betrachtung des Mottos „Schneller, höher, weiter“.

 Joshua Poschinski studiert Germanistik und Politikwissenschaften in Düsseldorf an der HHU.

Joshua Poschinski studiert Germanistik und Politikwissenschaften in Düsseldorf an der HHU.

Foto: Poschinski

Ich werde mein Leben umstrukturieren. Das geht alles effizienter. Jetzt im Frühling mit wiedergewonnener Energie, werde ich keine Zeit mehr verschwenden. Mein Tag wird durchgetaktet: Viele Vitamine, Lernen, Arbeit, Sport. Früh aufstehen, früh schlafen, kein Kontrollverlust, alles muss berechenbar sein. Jeder Moment meines Tages muss mich weiterbringen. Auf der Stelle stehen heißt „Schwäche“. Alles, was ich tue, muss Gewinn bringen. Keine Filme, bloß keine Fiktion, Musik nur zum Pushen, Essen nur für Power und Meditation für Konzentration! Wer das nicht versteht, dem fehlt das richtige Mindset. Gefühle sind nicht gewinnbringend; was nicht in Zahlen gefasst werden kann, ist irrelevant. Darum trenne ich mich von Freunden, die nicht bereit sind. Die bringen mich nicht weiter. Ich will auch ehrlich sein, Rumgedruckse ist nicht zielführend. Gewinn wird reinvestiert. Alkohol trinke ich nur zu Geschäftsessen. Peinlich auch, wer Verliererkraut raucht, aber CBD schärft den Fokus, mit CBD erbringe ich Leistung. Mit einem so klaren Verstand freue ich mich schon auf jede 60-Stunden-Woche.

Wenn ich gerade einmal nicht lerne, wird die Zeit genutzt, um bald besser arbeiten zu können. Ich werde nur lesen, was mir nützt, der Prozess des Lesens ist Arbeit. Arbeit an mir.

Ob ich Spaß an alldem habe? Um Vergnügen geht es nicht – das ist Ballast, der mich von meinem Ziel entfernt. Ich weine, um Druck abzubauen – warum ich weine, ist obsolet. Ich koche schnell und proteinreich, und ich esse schnell um weiterzumachen.

Ich werde aufschauen zu Männern, die das erreicht haben, was ich will. Der Markt regelt alles, außer man hat auf die falsche Aktie gewettet, alles auf Rot statt Schwarz gesetzt. Dann soll gefälligst der Staat helfen, schließlich hängen viele Jobs am Unternehmen. Das Geld fließt über die Briefkastenfirma in Panama in die eigene Tasche, die Jobs müssen trotzdem abgebaut werden. So smart.

Wenn mich dann Leute fragen, warum ich emotional verkrüpple, antworte ich, dass sie einfach nicht verstanden haben, worum es geht. So lange sie Kunst oder so was konsumieren, kann man ihnen nicht helfen. Was soll das überhaupt sein? Wie soll man das messen? Zeitverschwendung. Wenn ich mir Bilder angucken will, sehe ich mir Statistiken für Immobilienpreise an. Die Welt ist schwarz und weiß, Einsen und Nullen. Und wenn mein Körper irgendwann schlapp macht und mir klar wird, dass ich Gefühle habe, kann ich immer noch für meinen Selbstfindungstrip nach Indien fliegen, um da an meinem Ich zu arbeiten.

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