Reformpläne des Bundesbildungsministeriums Die Wissenschaft läuft Sturm

Analyse | Düsseldorf · Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will akademische Karrieren planbarer und attraktiver machen. Wissenschaftler kritisieren Eckpunkte für eine Gesetzesreform scharf, einige Punkte seien nicht umsetzbar und gefährden den Wissenschaftsstandort Deutschland.

 Eine Karriere in der Wissenschaft ist derzeit mit vielen Unsicherheiten verbunden. Eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes soll das ändern.

Eine Karriere in der Wissenschaft ist derzeit mit vielen Unsicherheiten verbunden. Eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes soll das ändern.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Wenn Menschen für die Wissenschaft brennen, ist die logische Konsequenz eine Karriere an einer Hochschule oder in einem Forschungsinstitut. Statt sich auf ihre Forschung konzentrieren zu können, müssen sich viele aber mit der Befristung ihrer Stellen und ständigen Bewerbungen für Anschlusslösungen herumschlagen. Der Großteil der Wissenschaftler, die keine Professur haben, hangelt sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Das belastet nicht nur die Arbeitnehmer, sondern – so fürchten manche – auch die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) will daher das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) reformieren. Gegen einen ersten Entwurf laufen Wissenschaftler nun Sturm.

Dass Verträge in der Wissenschaft befristet sind, soll für eine Rotation im Wissenschaftsbetrieb und damit für Innovation und Weiterentwicklung sorgen. 92 Prozent des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals an Hochschulen unter 45 Jahren sind befristet beschäftigt, Professoren ausgenommen. Bei unter 35-Jährigen sind es sogar 98 Prozent, wie der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021“ zeigt. Was als Innovationsgarant gedacht war, sorgt bei den befristet Angestellten vor allem für finanzielle und berufliche Unsicherheiten. Einige, die gern in der Forschung arbeiten würden, entscheiden sich deshalb für eine Karriere abseits des deutschen Wissenschaftsbetriebs.

So auch Teresa Hollerbach, die am Max-Planck-Institut in Medizingeschichte promoviert hat und heute nicht mehr in einem Forschungsinstitut arbeitet. „Ich habe immer wieder überlegt, in der Wissenschaft zu bleiben, wusste aber, dass das schwierig wird. Letztlich haben die Unsicherheiten überwogen“, sagt Hollerbach. Vieles in der Wissenschaft sei angenehm, man habe viele Freiheiten. Dass es aber neben der Professur kaum feste Stellen gebe, man nach einer Promotion häufig ein Nomadenleben führe und ständig umziehe, habe sie von einer akademischen Karriere abgehalten. „Wenn man eine Perspektive in Deutschland hätte, wäre das was anderes. So wie es jetzt ist, hängt man zwischen Publikationsdruck und einem anstrengenden Dauerbewerbungsverfahren“, sagt Hollerbach über die Arbeitssituation.

Fälle wie dieser sind keine Seltenheit. Das BMBF will das WissZeitVG reformieren und hat im Sommer 2022 mit verschiedenen Vertretern von beispielsweise Hochschulen, Gewerkschaften und Forschungseinrichtungen einen Evaluationsprozess angestoßen. Daraus resultierende Eckpunkte für eine Reform stießen nun aber auf heftige Kritik.

Vor allem an den Plänen zur Postdoc-Phase, der Zeit nach einer Promotion, stören sich Kritiker wie die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, zu der auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gehört. Das Ministerium will nach derzeitigen Plänen eine maximale Befristung von Verträgen in der Postdoc-Phase von drei Jahren festlegen. So wolle man laut BMBF „höhere Verlässlichkeit, Planbarkeit und Transparenz in den frühen wissenschaftlichen Karrierephasen“ schaffen und frühere Entscheidungen über die jeweilige Karriere anregen.

Drei Jahre seien „eindeutig zu kurz“, um Wissenschaftler zu Beginn ihrer Karriere für ein Forschungsvorhaben zu ermutigen, so die HRK in einer Stellungnahme. „Sich in zwei oder drei Jahren auf eine Professur vorzubereiten, ist nicht zu schaffen. Vielmehr sollte man in der Zeit schauen, wo man als Wissenschaftler gut eingesetzt werden könnte und in welche Bahn die wissenschaftliche Karriere geleitet wird“, sagt Kristin Eichhorn, Mitinitiatorin von #IchBinHanna. Die Bewegung setzt sich für bessere Bedingungen in der Wissenschaft ein und bezeichnet die derzeitige Situation als prekär. Eine Entfristung auch ohne angestrebte Professur sei eine mögliche Stellschraube. „Ein Systemwechsel, den wir bräuchten, wird mit den Neuerungen aber nicht eingeleitet“, kritisiert Eichhorn.

Mit Kettenverträgen ohne Perspektive auf Entfristungen sei der Wissenschaftsstandort Deutschland auf Dauer nicht attraktiv. Die neuen Pläne des WissZeitVG würden „mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Verlust hoch qualifizierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in frühen und mittleren Karrierephasen führen“, warnt die Allianz der Wissenschaftsorganisationen. So würden der Wissenschaftsstandort und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands enorm geschwächt.

Diese Befürchtung gebe es laut BMBF schon länger, mit den Plänen für mehr Verbindlichkeit und Planbarkeit in der Postdoc-Phase wolle man dem entgegenwirken, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. „Der vorgestellte Vorschlag setzt viele wichtige Impulse in diese Richtung“, so eine Sprecherin. Langfristig wolle man einen „Kulturwandel zu mehr unbefristeter Beschäftigung und früheren Entscheidungen“ anregen, da etablierte Karrieremodelle mit langen Befristungsphasen nicht mehr funktionieren würden, so die Sprecherin weiter. Die meisten Aspekte der Reform hätten bei den Beteiligten Zustimmung gefunden, die Debatte habe sich hauptsächlich an den Plänen zur Postdoc-Phase entzündet. Das BMBF nehme die Kritik ernst und lud daher Ende März zu einer erneuten Evaluation.

„Mögliche Wege wären Anschlusszusagen oder die Vereinbarung eines Tenure Track-Verfahrens“, sagt Eichhorn über die Ausgestaltung der Reform. Im Tenure Track-Verfahren werden Wissenschaftler zunächst befristet eingestellt, erhalten aber nach einer Bewährungsphase eine dauerhafte Professur. Das BMBF fördert bis 2032 bundesweit insgesamt 1000 Tenure Track-Stellen, die Länder übernehmen dabei die Grundfinanzierung und verpflichten sich, die Stellen auch nach 2032 weiter zu finanzieren.

Unabhängig von allen Reformideen besteht ein Problem weiter: Das Gesetz allein wird keine neuen unbefristete Stellen schaffen. #IchBinHanna fordert eine Personalreform, das BMBF verweist hier auf Förderprogramme. Die Schaffung neuer und unbefristeter Stellen sei aber Aufgabe der Hochschulen und Forschungseinrichtungen, so das Ministerium.

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