Orientierung nach dem Abitur Welcher Campus passt zu mir?

Es gibt über 20.000 verschiedene Studiengänge an deutschen Hochschulen. Wie sich das Angebot mit der Zeit entwickelt hat und wie Schulabsolventen heute den Überblick gewinnen und behalten können.

 Welcher Campus soll der künftige Treffpunkt werden? Die Auswahl ist riesengroß.

Welcher Campus soll der künftige Treffpunkt werden? Die Auswahl ist riesengroß.

Foto: Getty Images/iStockphoto/jacoblund

21.438 – das ist eine beachtliche Zahl, wenn man sich als Schulabsolvent für einen Studiengang entscheiden soll. Der Großteil dieser Summe setzt sich zusammen aus rund 9.600 Bachelor- und um die 10.000 Masterprogrammen, die Studierende an deutschen Hochschulen im Wintersemester 2022/23 belegen können. Für wen darunter noch nichts dabei ist, der hat die Wahl zwischen weiteren über 1000 staatlichen und kirchlichen sowie einem kleinen Rest von rund 400 Abschlüssen. Die Chancen stehen gut, dass der Traumstudiengang darunter ist. Aber: Ist es eine Wahl oder eher Qual, wenn man sich zwischen so vielen Alternativen entscheiden kann, soll, muss?

Erste universitäre Lehrprogramme gab es im elften Jahrhundert im Königreich Italien. Sie schlossen an die Kloster- und Domschulen aus dem sechsten Jahrhundert an. bekannt waren etwa die Medizinschule von Salerno (Gründung zwischen 995 und 1087) und die Rechtsschulen zu Bologna (Gründung 1088). Meist weniger als eine Handvoll Gelehrter unterrichteten dort Adelssöhne in den Fächern Kirchenrecht, weltliches Recht und Medizin. Vorher gab es für sie die sogenannten „sieben freien Künste“, die „artes liberales“. Dabei handelte es sich um sieben Disziplinen zur Vorbereitung auf das Studium, etwa Rhetorik, Arithmetik, Astronomie und Musik. Damit war die Auswahl aber auch schon erschöpft. Mehr Studiengänge gab es nicht. Im Prinzip hatten die Adelssöhne überhaupt keine Entscheidung zu treffen – außer vielleicht die grundsätzliche Wahl, ob sie überhaupt ein Studium wollten oder nicht.

Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein galt die theologische Fakultät als eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die wichtigste einer Universität im europäischen Raum. Daneben lehrten Professoren an Philosophischen Fakultäten eine Art „Allgemeine Bildung“, außerdem gab es Fakultäten der Jurisprudenz und Medizin. Bald schon wendete sich aber das Blatt: Die Anzahl der Theologie-Studierenden sank zwischen 1830 und 1904 um die Hälfte. Stattdessen erwuchsen natur-, staats-, geistes- und wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten, meist angegliedert an die Philosophische Fakultät. Nach dem Humboldtschen Bildungsideal stand nun außerdem die Forschung an den Universitäten im Mittelpunkt. Wissen wurde nicht mehr nur gesammelt, geordnet und vermittelt, sondern darüber hinaus entwickelt, vorangebracht und potenziert.

100 Jahre später dann ein weiterer Sprung: Im Jahreswechsel zu 2008 zählt die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) 11.265 Studiengänge in Deutschland; davon sind knapp die Hälfte Bachelor- und ein Viertel Masterprogramme. Das Auswahlverfahren hat begonnen. Einstufungstests, Fragebögen, um die eigenen Interessen herauszukristallisieren sowie Studienberatungen, die ihr Bestes geben, um von tausenden Möglichkeiten die eine passende herauszufiltern, bekommen ihre Rolle zugeteilt. Mittlerweile sind wir bei einer fast doppelt so großen Studienauswahl angelangt und die Frage ist, wo es eigentlich noch hingehen soll?

Das Wachstum der Studiengänge ist aber nicht nur kritisch zu begutachten. Lea Galinski vom Studierendenservice der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf weist auf die Gelegenheit hin, durch dieses Angebot auch das Richtige für sich zu finden. „Man kann nach dem eigenen Interesse gehen“, so Galinski. „Außerdem ist die Bandbreite an Studiengängen notwendige Konsequenz daraus, wie sich das Leben der Menschen entwickelt hat. Es sind über die Jahre immer mehr Aufgabengebiete dazugekommen.“, fügt die Studienberaterin hinzu. Demgegenüber gebe es auch „auslaufende Studiengänge“, die geschlossen werden, wenn sie auf zu wenig Interesse stoßen, nicht mehr relevant oder finanzierbar sind. Durch die große Auswahl sei darüber hinaus der „Schritt vom Allgemeinen auf das Spezifische“ möglich, wenn man sich nach dem Bachelor für einen Master entscheidet. Man kann sich herantasten, herumschnuppern und dann eine Richtung einschlagen. Ein großer Gewinn der heutigen Studienauswahl.

Nichtsdestotrotz bekommt Galinski auch Situationen der Überforderung und Unentschlossenheit in ihrem Berufsalltag mit. Häufig kommen frisch gebackene Schulabsolventen in ihre Sprechstunde – viele von ihnen sind gerade erst 18 Jahre alt geworden. Die Expertin beschreibt es als „die Angst vor der falschen Entscheidung“ und meint damit die Unsicherheit und Ungewissheit, ob man die heute getroffene Wahl später einmal bereuen wird. Galinski rät aber hier, der Furcht keine Oberhand zu gewähren. „Es gibt nicht nur einen Fahrplan“, beruhigt sie. Früher führten alle Wege nach Rom, heute leiten viele Wege zum individuellen Ziel, den für sich passenden Werdegang. Junge Menschen sollten keine Scheu vor der riesigen Auswahl haben, sondern sie als Chance begreifen. Die Fühler ausstrecken und den persönlichen Radar öffnen. Flexibilität und Offenheit helfen dabei.

Am Ende ist es wie beim Wellenreiten: Das passende Board raussuchen, schauen, dass die Knöchelleine gut befestigt ist, aufs Meer hinauspaddeln, eine gute Welle sichten und im richtigen Moment auf das Surfbrett aufspringen. Im besten Fall gleitet man auf der energiegeladenen Wassermenge. Fällt man ins kühle Nass, nimmt man die nächste Welle. Aber das ist dann auch kein Beinbruch.

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