Museen in der Hauptstadt Die Neue Nationalgalerie öffnet mit drei Ausstellungen und neuem Glanz

Berlin · Die Neue Nationalgalerie feiert ihre Wiedereröffnung nach langjähriger Sanierung. Aber die Hauptstadt lockt Besucher mit weiteren sehenswerten Schauen, etwa im Hamburger Bahnhof und im Stadtmuseum. In fast allen spielt Geschichte eine wichtige Rolle. Ein Überblick.

 Blick auf die Neue Nationalgalerie, die seit Samstag wieder für Besucher geöffnetist, rechts steht die Figur „Der Bogenschütze“ von Henry Moore.

Blick auf die Neue Nationalgalerie, die seit Samstag wieder für Besucher geöffnetist, rechts steht die Figur „Der Bogenschütze“ von Henry Moore.

Foto: dpa/Christophe Gateau

Auf diesen Tag hat die Berliner Kunstszene lange gewartet: Nach jahrelangen Sanierungsarbeiten feierte sie am Sonntag die Wiedereröffnung ihrer Neuen Nationalgalerie. Gleich drei Ausstellungen gibt es zu diesem Anlass im Haus zu sehen: „Die Kunst der Gesellschaft 1900-1945“ zur Sammlung der Nationalgalerie, „Alexander Calder. Minimal/Maximal“ mit Werken des US-amerikanischen Bildhauers sowie „Rosa Barba. In a Perpetual Now“ mit Arbeiten der in Berlin lebenden Künstlerin Rosa Barba. Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) schuf den Bau aus Glas und Stahl Ende der 60er Jahre als Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts. Ein Team um den britischen Architekten David Chipperfield hat das Haus nun bis auf den Grund saniert und für 140 Millionen Euro instandgesetzt. Aber dies ist längst nicht alles, was die Berliner Museen in diesen Tagen zu bieten haben. Ein Überblick:

Was haben ein Fest zu Ehren der Heiligen Agathe, die blutige Schlachtung eines Schweins und das ausgelassene Treiben beim Kölner Karneval gemeinsam? Eigentlich nichts. Es sei denn, sie sind Teil einer verstörenden filmischen Installation von Pauline Curnier Jardin: „Fat to Ashes“ ist der Titel der bizarren Video-Performance, die in einem raumgreifenden, mit roten Tüchern geschmückten und mit Lichteffekten die Sinne betäubenden Amphitheater gezeigt wird.

Der grob gezimmerte Rundbau wirkt archaisch und fremd, beängstigend und albtraumhaft. Platziert ist das Theater-Ungetüm in die aus Glas und Stahl bestehende große Halle des Hamburger Bahnhofs, dem Museum für Gegenwartskunst in der Hauptstadt. Auf absurde Weise spielt die in einer Endlosschleife gezeigte Film-Collage mit den Ausschweifungen des Karnevals, der Ernüchterung des Aschermittwochs und dem Beginn der Fastenzeit. Konfetti und Blut, Alkohol und Gesang, alles wabert durcheinander, gebiert Bilder der Unvernunft und des Martyriums.

Man muss das nicht verstehen und erklären können. Aber wer die Bilder der körperlichen und geistigen Entgrenzung einmal in sich aufgenommen hat, wird die Welt, gerade in Zeiten von Corona, neu und anders sehen.

Nur ein paar Schritte entfernt begegnet man dem Werk eines manischen Erneuerers und notorischen Provokateurs, der auch die Welt neu gesehen und die Kunst überraschend anders definiert hat: Joseph Beuys.

Jeder ist ein Künstler, das Dasein eine soziale Plastik. Um sich verständlich zu machen und allen zu erklären, was es mit seinen Schiefertafeln und Honigtöpfen, Fett­ecken und Filzanzügen auf sich hat, hat Beuys unentwegt geredet. Immer wieder hat er darauf hingewiesen, dass er seine Werke „von der Sprache aus“ entwickle. Im Hamburger Bahnhof heißt die Jubiläums-Schau zum 100. Geburtstag des kreativen Dauerredners denn auch konsequenterweise: „Von der Sprache aus“. Eine opulente Übersicht, gespickt mit Zeichnungen, Filmen, Plakaten und Dokumenten. Ein Heimspiel, da der Hamburger Bahnhof durch den Sammler Erich Marx auf riesige Beuys-Bestände zurückgreifen kann. Nationalgalerie, Kupferstichkabinett und Kunstbibliothek haben noch einige Fundstücke und Kostbarkeiten dazu gepackt.

Kostbare Fundstücke soll es ja auch im Humboldt-Forum zu sehen geben, das nicht nur mit mehreren Jahren Verspätung bald die Pforten öffnet, sondern sich auch taub stellt gegen Kritik: Über koloniale Beute- und Raubkunst spricht man hier, wo die Schätze des Ethnologischen Museums eine neue Heimat finden, nicht so gern. Dass an dem „Luf-Boot“, das 1904 auf krummen Wegen nach Deutschland kam, Blut klebt, möchte man nicht wahrhaben. Man darf gespannt sein, wie das „Prachtboot“ und die anderen geraubten Kunstwerke der Öffentlichkeit präsentiert werden. Weniger umstritten ist, was jetzt das ebenfalls im Humboldt-Forum angesiedelte Berliner Stadtmuseum vorzeigt: „Berlin Global“ heißt die Schau, die Werden und Wirken, Vergangenheit und Gegenwart offenlegen und andeuten will, wie Berlin die Welt und die Welt Berlin verändert haben.

Der durch allerlei technischen Schnickschnack zum Mitmachen und Mitdenken animierte Besucher durchmisst nach einer Ouvertüre sieben Stationen: Revolution, Freiraum, Grenzen, Vergnügen, Krieg, Mode, Verflechtung. Bisschen beliebig und läppisch. Ein wenig tiefgründiger und kantiger hätte es zum Start schon sein dürfen. Es muss ja nicht gleich so erdrückend sein, wie einige Hundert Meter entfernt in der am Pariser Platz mit Blickkontakt zum Brandenburger Tor beheimateten Akademie der Künste.

„Arbeit am Gedächtnis“ findet hier statt, ein Kunst-Sparten übergreifendes, vor Ideen berstendes, mit unzähligen Archivschätzen protzendes Projekt zum 325. Geburtstag der Akademie. Filme von Alexander Kluge, Theatervisionen von Robert Wilson, Notizen von Walter Benjamin, Tanz-Choreografien von Mary Wegmann, Gips-Modelle von Baumeister Carl Friedrich Schinkel. Die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte, geronnen in zeitlos aktueller Kunst. Nichts fehlt.

Im Deutschen Historischen Museum kann man eintauchen in die komplizierte Geschichte der „Documenta“. Lange wurde die Legende gepflegt, die „Documenta“ markiere den Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, habe die moderne Kunst wie Phönix aus der Asche im zerstörten Nachkriegs-Deutschland wieder glorreich auferstehen lassen. Doch unter den 390 versammelten Exponaten, zu denen ikonische Werke von Pablo Picasso und Marc Chagall, Emil Nolde und Max Beckmann gehören, sind auch viele erschütternde Befunde und Dokumente zu finden, die beweisen: Die „Documenta“ war in den Gründerjahren und bis weit in die Gegenwart nationalsozialistisch versucht, antisemitisch und männlich. Der „Documenta“-Mitbegründer Werner Haftmann war Mitglied der NSDAP und der SA und als Anführer einer militärischen Einheit an Folterungen und Hinrichtungen beteiligt. Kunst von Juden und Frauen hatten bei ihm kaum eine Chance.

Die Ausstellung versucht zwischen Wiederaufbereitung stilbildender „Documenta“-Kunst und politischer „Documenta“-Kritik zu balancieren. Ein Kraftakt. Schmerzlich, aber überfällig.

(dpa)
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