Autobiografie von Hannes Wader Liedermachers Lebensbeichte

Düsseldorf · Hannes Wader hat mit 77 seine Autobiographie geschrieben. Sie heißt „Trotz alledem“ und ist ein lesenswertes Zeitdokument.

 Hannes Wader Liedermacher Songwriter

Hannes Wader Liedermacher Songwriter

Foto: Axel Fidelak

Vor zwei Jahren hat sich der 77-jährige Hannes Wader von der Bühne zurückgezogen und einem bis dahin vernachlässigten Projekt gewidmet: seinen Memoiren. Jetzt ist die Autobiographie in der Welt, die „Trotz alledem“ heißt, nach dem von ihm in verschiedenen Versionen gesungenen Lied aus dem politischen Vormärz. Sie ist ein großartiges Zeitdokument, die harte Schilderung einer Nachkriegskindheit in armen Verhältnissen, irrlichternde Selbstfindung eines „desorientierten Losers“, erhellender Einblick in die Szene der ersten deutschen Folk-Freiluft-Festivals bei Burg Waldeck und schonungslose Selbstbefragung: Was machte mich zum orthodoxen Kommunist? Auf 590 Seiten gibt Hannes Wader Auskunft über eine komplexe Persönlichkeit, beschränkt sich nicht auf die Jahre des künstlerischen Durchbruchs. Die ersten hundert Seiten sind die schmerzhafte Auseinandersetzung mit seiner Kindheit, und man denkt auch wegen der direkten Sprache oft an Karl Philipp Moritz „Anton Reiser“.

Wenn Wader dem Leser verrät: „Ich kann mich – wenn überhaupt – mit weniger nahestehenden Menschen leichter öffnen als den mir Liebsten und Nächsten“, dann ist das ein Schlüssel zum Buch, das auch eine Lebensbeichte an Fremde ist – seine Leser. Sie kommen einem Menschen nahe, der lange Bettnässer und Daumenlutscher ist, zu sensibel für den Kontakt mit Jungs auf dem Dorf bei Bielefeld, die derbe Sprüche machen und sich gegenüber Tieren noch grausamer zeigen als gegenüber Menschen, wenn sie zum Teich pilgern, um Frösche aufzublasen.

Nach Jahren als Mucker in Jazzbands tauscht Hannes Wader die Klarinette gegen die Gitarre, will Lieder auf Deutsch schreiben und setzt sich dafür Regeln. Die erste lautet: „Ich muss als Songpoet vor allem frei sein und sollte mich daher nicht knechtisch an Regeln binden. Auch nicht an meine eigenen.“ Trotzdem hält er sich an nicht wenige: Lakonisch, komisch, alltags- und umgangssprachlich sollen seine Lieder sein, bei den Texten werden „Endreime bevorzugt.“

Großartig ist das Kapitel über seinen ersten Auftritt beim Burg-Waldeck-Festival 1966. Damals glaubt er, er sei der einzige Mensch auf der Welt, der neue Folksongs in deutscher Sprache verfasst. Er wird eingeladen, obwohl er nur ein Repertoire von vier Liedern über seine beengten Wohnverhältnisse in Berlin hat. Wader spielt nervös seine vier Lieder, glaubt, das Publikum tobe vor Wut, springt von der Bühne, rennt in den Wald und weint. Von solchen Passagen gibt es einige im Buch. Dazu viele beiläufige Promi-Auftritte: Reinhard Mey schneit mit einem Aufnahmegerät herein, er will Waders Songs auf Französisch übersetzen. Knut Kiesewetter erpresst Philips-Phonogram, ein Wader-Album herauszubringen – sonst gäbe es keine neue Witz-Platte. Herbert Grönemeyer klettert Anfang durch ein Klofenster, um Waders ausverkauften Auftritt in Bochum Anfang der 1970er-Jahre zu erleben.

Medienboykotte und jahrzehntelange Prozesse, weil er unerkannt RAF-Terroristin Gudrun Ensslin seine Wohnung überließ; Jahre des überzeugten Aktivismus für die Deutsche Kommunistische Partei, der erst durch frustrierende Begegnungen mit dem real existierenden Sozialismus einen Dämpfer erhält; verlorene Leidenschaften; auseinanderbrechende Freundschaften; Trennungen; Irrwege – Hannes Wader spart nichts aus. Aufrecht steht er vor allem zu sich selbst.

Das Buch „Trotz alledem. Mein Leben“. Penguin, 592 Seiten, 28 Euro

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