Neues Positionspapier SPD-Flügel will Industrie stärken

Exklusiv | Berlin · Der konservative „Seeheimer Kreis“ in der SPD-Bundestagsfraktion will mehr Industriepolitik wagen. Er fordert geringere Stromkosten für Unternehmen und einen europäischen Binnenmarkt, der nur noch CO2-neutral produzierte Waren aus- und einführen soll.

 Mitarbeiter eines Stahlwerks (Archiv).

Mitarbeiter eines Stahlwerks (Archiv).

Foto: dpa/Christophe Gateau

Die unter dem neuen Vorsitzendenduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans stärker nach links ausgerichtete SPD soll mehr Industriepolitik wagen. Das fordert der konservative „Seeheimer Kreis“ der SPD-Bundestagsfraktion in einem aktuellen Positionspapier, das unserer Redaktion vorliegt. Darin pocht der Flügel auf Entlastungen für Unternehmen bei der Umsetzung der Energiewende.

So heißt es auf den vier Seiten, dass es für Unternehmen der stromintensiven Industrie „eine zeitlich begrenzte Entlastung durch eine Absenkung der Steuern, Umlagen und Abgaben auf Strom“ geben müsse. Der Grund: Die „Seeheimer“ sehen durch die CO2-Bepreisung zusätzliche Belastungen auf diese Unternehmen zukommen, weil die Betriebe von einer Absenkung der EEG-Umlage aufgrund der bestehenden Befreiung nicht profitieren würden. Zudem wolle man Investitionen in eine klimaneutrale Produktion steuerlich fördern, heißt es in dem Papier. „Im Gegenzug sollen sich diese Unternehmen verpflichten, ihre Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2035 deutlich zu reduzieren und bis 2050 komplett CO2-neutral zu produzieren.“ Es brauche Klarheit bis zur Einführung der CO2-Bepreisung, damit die Unternehmen ihre Zukunft weiterhin in Deutschland sähen. Den besten Klimaschutz gewährleiste man durch Arbeitsplätze, so das Papier. Zugleich fordern die „Seeheimer“ darin einen europäischen Binnenmarkt, „der nur CO2-neutral produzierte Waren aus- und einführt“. Dies wäre ein internationales Vorbild, heißt es.

Der konservative Flügel, zu dem ein gutes Drittel der 152 sozialdemokratischen Abgeordneten gehört, pocht zudem auf eine Industriestrategie, die nicht nur nationale oder europäische Champions in den Blick nimmt, sondern auch mittelständische Unternehmen. „Man hat schon Zweifel, ob Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die enorme Bedeutung der heimischen Industrie mit samt den dazugehörigen Wertschöpfungsketten inklusive Handwerk für den Wirtschaftsstandort auch nur ansatzweise erkannt hat“, sagte Dirk Wiese, Abgeordneter aus dem Sauerland und Sprecher des Seeheimer Kreises. Wochenlang hatte es Kritik aus Wirtschaftsverbänden an einer ersten Industriestrategie des Ministers gegeben, bis er Nachbesserungen versprach.

Auch innerhalb der SPD demonstrieren die „Seeheimer“ mit ihrem Aufschlag Selbstbewusstsein. Nur mit einer starken Industrie könne man gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit im Land sorgen, heißt es in dem Papier. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent solle angepasst werden, sodass dieser erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 90.000 Euro greift. „Damit können wir unsere Facharbeiterschaft deutlich entlasten“, schreiben die Autoren. Weil die Industrie von Start-Ups profitiere, wollen die „Seeheimer“ die Szene junger Unternehmen mit einer unbürokratischen, steuerlichen Forschungsförderung und mit steuerlichen Anreizen bei Mitarbeiterbeteiligungen unterstützen.

Der „Seeheimer Kreis“ versteht sich als pragmatisch. Seine Wurzeln reichen zurück in die Mitte der 70er Jahre, als sich jüngere, regierungstreue Abgeordnete als Nachfolger der berüchtigten „Kanalarbeiter“ zusammenschlossen, die sich als Prätorianergarde von SPD-Kanzler Helmut Schmidt verstanden. Sie wollten die Regierungsfähigkeit gegen den aufbegehrenden linken Parteiflügel sicherstellen. Im Schulungszentrum der Lufthansa in Seeheim gründeten sie ihren Kreis und luden schon in Bonn jedes Jahr zur Spargelfahrt rheinaufwärts, die mittlerweile auf dem Wannsee bei Berlin stattfindet.

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