Zehn Wochen Skandal “Von der Leyen verschleppt den Kampf gegen Korruption“

Interview | Brüssel · Vor zehn Wochen wurde der EU-Korruptionsskandal öffentlich. Hat Brüssel daraus ausreichend Konsequenzen gezogen? Der Chef einer interfraktionellen Arbeitsgruppe gegen Korruption, der Aachener Europa-Abgeordneten Daniel Freund (Grüne), sieht erhebliche Defizite - nicht nur beim Parlament.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch im Europa-Parlament in Straßburg.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch im Europa-Parlament in Straßburg.

Foto: AP/Jean-Francois Badias

Seit nun genau zehn Wochen erschüttert ein Korruptionsskandal die EU. Ist seitdem genug geschehen?

Freund Ich befürchte: Nein. Die Debatten laufen, aber wir müssen nun auch liefern. Bisher gibt es Absichtserklärungen, was wir alles ändern wollen. Aber wirklich geändert haben wir bislang noch nichts. Es wird Zeit, das auch zu tun.

Es taucht immer eine unabhängige Ethikbehörde in den Diskussionen auf. Wie steht es um die?

Freund Den Vorschlag gibt es seit vielen Jahren. Ich habe ihn nach der Europawahl auch an die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen herangetragen. Sie hat damals gesagt, dass sie sich dafür einsetzen werde. Ich habe dann einen detaillierten Vorschlag ausgearbeitet und im Parlament eine große Mehrheit dafür bekommen. Das ist jetzt anderthalb Jahre her. Seitdem warten wir darauf, dass von der Kommission auch was kommt, damit wir endlich in die Verhandlungen gehen können. Leider müssen wir an dieser Stelle feststellen, dass von der Leyen den Kampf gegen die Korruption an dieser Stelle verschleppt. Sie hat nicht geliefert.

Ist es ein Problem, dass einzelne EU-Institutionen, wie der Europäische Gerichtshof, bei der Ethikbehörde nicht mitmachen wollen?

Freund Ich habe nichts dagegen, wenn außer Parlament und Kommission auch noch andere EU-Institutionen dabei sind. Wenn einzelne das nicht mittragen, darf das nicht die Ausrede dafür sein, dass es nicht vorangeht. Der Fokus liegt am klarsten auf Parlament und Kommission, und alle anderen sind herzlich eingeladen, dabei mitzumachen.

Die Richter verweisen auf die Unabhängigkeit der Justiz, passt eine Aufsichtsbehörde denn zusammen mit der Abgeordnetenfreiheit?

Freund Absolut. Schon jetzt gibt es Verhaltensregeln für Abgeordnete. Wir müssen Nebentätigkeiten offenlegen, Angaben zu Einladungen, Reisen und Geschenken machen. Aber: Hier kontrollieren sich Abgeordnete gegenseitig. So ist es auch in der Kommission. Auch dort kontrollieren die Kommissare sich gegenseitig. Wenn die Kommissionspräsidentin oder die Parlamentspräsidentin gegen die Regeln verstoßen, sollen die sich dann selbst sanktionieren? Das kann doch gar nicht funktionieren. Dafür brauchen wir ein unabhängiges Gremium. Ich hoffe, dass es vor der nächsten Europawahl arbeitet und dafür sorgt, dass die guten Regeln, die wir haben, auch durchgesetzt werden.

Sie sprechen vom Parlament und von der Kommission. Viele halten den Rat für die wichtigste EU-Institution. Tut sich da auch was in Sachen Korruptionsvorbeugung?

Freund Da sehe ich bisher überhaupt keine Bewegung. Schon bei der Lobbykontrolle haben wir gesehen, dass die Mitgliedstaaten immer nur gebremst haben. Abgeordnete und Kommissare legen ihre Lobbytreffen offen, aber bei den Ministerinnen und Ministern, die mit uns die EU-Gesetze machen, gibt es das nicht. Sie unterliegen nur den sehr unterschiedlichen nationalen Regelungen. Da ist schon mal eine schwedische Ministerin zurückgetreten, weil sie mit der dienstlichen Kreditkarte einen Schokoriegel am Flughafen kaufte, in Ungarn stehen Regierungsmitglieder reihenweise unter Korruptionsverdacht. Sich nur auf nationale Regelungen zu verlassen, schützt die europäische Demokratie nicht vor unlauterer Einflussnahme. Es ist fatal, dass die Regierungen hier komplett blockieren.

Im Mittelpunkt des jüngsten Skandals standen zwei Nichtregierungsorganisationen. Welche Konsequenzen sehen Sie hier?

Freund Wir brauchen auch für die Lobbyorganisationen in Brüssel noch bessere Regeln. Das Lobbyregister ist noch nicht verpflichtend. Das hat dazu geführt, dass die Organisationen, die Pier Antonio Panzeri offenbar für Geldwäsche und die Organisation eines Bestechungsnetzwerkes genutzt hat, alle Transparenzregeln umgehen konnten. Das sollte künftig nicht mehr möglich sein. Allerdings müssen wir aufpassen, uns nicht allein auf NGO einzuschießen. Dann passiert der nächste Skandal mit einer Stiftung oder einer gemeinnützigen GmbH.

Das Parlament will mit einem Sonderausschuss die Beeinflussung von EU-Entscheidungen aufklären. Wird er fündig werden?

Freund Den Ausschuss gab es bereits vor dem Skandal. Wir haben seine Aufgaben nun ausgeweitet. Wir wissen: Es gab Koffer voller Geld. Wir wissen: Es gab den Versuch der Einflussnahme durch Drittstaaten. Aber es ist bislang noch nicht wirklich geklärt, ob das diesen Ländern auch gelungen ist. Wir müssen klären, welche Abstimmungen das Ziel in der Korruptionsaffäre waren und ob diese dann gegebenenfalls revidiert werden müssen. Das schauen wir uns in den nächsten Wochen und Monaten genau an.

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