Treffen der Nato-Verteidigungsminister Pistorius dringt auf höhere Verteidigungsausgaben Deutschlands

Brüssel/Berlin · Verteidigungsminister Boris Pistorius setzt sich für einen deutschen Wehretat von mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung ein. In der Nato hört man das gern, der Druck auf Verweigerer innerhalb des Bündnisses nimmt zu. Doch in Deutschland stehen schwierige Haushaltsverhandlungen bevor angesichts knapper Mittel und gestiegener Herausforderungen.

 Verteidigungsminister Boris Pistorius (rechts) am Mittwoch beim Treffen in Brüssel mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (rechts) am Mittwoch beim Treffen in Brüssel mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Foto: AP/Olivier Matthys

Die Debatte ist alt, der Sound aus der Bundesregierung neu: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat beim Treffen mit seinen Nato-Amtskollegen in Brüssel einen deutlich höheren Wehretat Deutschlands angemahnt. „Sich allein dem Zwei-Prozent-Ziel annähern zu wollen, wird nicht reichen.“ Diese Marke müsse für die Nato-Staaten vielmehr „die Basis sein für alles weitere“.

Nach Nato-Angaben lag die Bundesrepublik im vergangenen Jahr bei unter 1,5 Prozent – trotz des Sondervermögens für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro. Aus diesem floss 2022 noch kein Geld ab. Angesichts einer stark veränderten Sicherheitslage peilt die Nato neue Dimensionen für die Verteidigungshaushalte der Mitgliedstaaten an. Bei Auftaktberatungen zu den künftigen Budgets zeichnete sich bei dem Verteidigungsministertreffen eine deutlich höhere Zielmarke ab. Zudem geraten Länder mit geringeren Ausgaben zunehmend in die Defensive im Bündnis. Zur Debatte innerhalb der Nato sagte ein hochrangiger US-Vertreter in Brüssel, Washington mache derzeit Druck auf „Verweigerer“ wie Spanien, Luxemburg und Kanada, die höhere Verteidigungsausgaben ablehnten oder sie an Bedingungen knüpften. Diese drei Länder liegen beim Zwei-Prozent-Ziel deutlich hinter Deutschland.

Die Nato-Mitglieder hatten sich bei ihrem Gipfel 2014 in Wales selbst verpflichtet, bis 2024 ihre Verteidigungsausgaben „in Richtung“ von zwei Prozent des jeweiligen Bruttosozialproduktes zu erhöhen. Östliche Nato-Mitglieder setzen inzwischen bereits auf 2,5 Prozent. Manche spekulieren über drei Prozent.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge sollen die Staats- und Regierungschefs die neuen Mindestfinanzierungen beim nächsten Gipfel Mitte Juli in Vilnius festlegen. Sie müssten dabei dem Umstand Rechnung tragen, dass das Bündnis sich einer gefährlicheren Sicherheitssituation gegenübersehe. Er verwies nicht nur auf die zunehmenden Herausforderungen durch China, sondern auch darauf, die notwendigen Anschaffungen, die Munitionsproduktion und -bevorratung deutlich zu steigern.

Zu den in Brüssel beratenen Anforderungen an künftige militärische Fähigkeiten der Nato gehört auch der verstärkte Schutz von Unterwasser-Infrastruktur. Verstärkte Anstrengungen auf diesem Feld folgen den Sabotageakten auf die Stränge der Nordstream-Pipeline in der Ostsee. Das Bündnis beschloss die Bildung einer Koordinierungsstelle der Nato, die die Anstrengungen der Anrainerstaaten besser abstimmen und die Militärs bei der Sicherung der Infrastruktur beraten soll. Mit der Leitung wurde der deutsche General Hans-Werner Wiermann beauftragt. Er war bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im vergangenen Sommer Generaldirektor des Internationalen Militärstabs in Brüssel.

Angesichts der gewachsenen Sicherheitsrisiken und der damit einhergehenden Forderungen nach höheren Verteidigungsausgaben erwartet die Bundesregierung besonders schwierige Haushaltsverhandlungen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) behalte sich ein Eingreifen in die Etatgespräche vor, falls die Ministerien sich nicht einigen könnten, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin.

Kanzler Scholz ist nach Worten seines Sprechers Hebestreit der „festen Überzeugung, dass der Bundeshaushalt mindestens zwei Prozent aufwärts des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung aufwenden können“ müsse. Dies könne aber nicht in einem einfachen Schritt erfolgen, „weil die Zuwächse, die es dafür braucht, immens sind“. Hebestreit wollte sich nicht festlegen, wann das Ziel erreicht wird. Er verwies darauf, dass die Beratungen in der Regierung über den Bundeshaushalt 2024 bereits angelaufen seien.

Pistorius‘ Forderung, die nach seinen Angaben seine persönliche Ansicht, die des Kanzlers und die der SPD-Spitze darstelle, stieß unterdessen auf ein sehr geteiltes Echo. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sagte Pistorius Rückendeckung für seinen Vorstoß zu. „Der Minister hat unsere volle Unterstützung“, sagte sie unserer Redaktion. „Aber zuerst sollte er dafür Sorge tragen, dass das Sondervermögen zügig und effektiv abgearbeitet wird.“

Bei der CDU teilt man die Forderung des Ministers, sieht aber noch viele Baustellen in Pistorius‘ Zuständigkeitsbereich. Der Außenpolitiker und Oberst a.D., Roderich Kiesewetter, sagte: „Angesichts der Ankündigungen von Kanzler Scholz, dass Deutschland die größte konventionelle Nato-Armee in Europa werden wird, ist die einzige logische Konsequenz, dass das Zwei-Prozent-Ziel überholt ist und nur noch eine Untergrenze sein kann.“ Gerade deshalb komme es neben der finanziellen Ausstattung unbedingt auf die Effizienz im Beschaffungswesen an. „Deshalb muss Bundesminister Pistorius zwingend notwendige Reformen anpacken und die Zeitenwende in der Bundeswehr beschleunigt umsetzen“, forderte Kiesewetter. Auch das Sondervermögen reicht aus seiner Sicht nicht aus. Hinzu kommt, dass die 100 Milliarden Euro im Sondervermögen bei weitem nicht ausreichen, auch hier muss es eher in Richtung 300 Milliarden gehen“, sagte er.

Aus den eigenen Reihen bekam Pistorius auch skeptische Töne zu hören. So sagte der Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im Unterausschuss für Abrüstung, Ralf Stegner, dass Boris Pistorius einen schweren Job habe und Unterstützung verdiene. Aber: Man werde im Parlament sorgfältig und ergebnisoffen zu beraten haben, wie hoch der Wehretat über das Sondervermögen hinaus ausfallen sollte. „Da spielen dann auch noch andere wichtige Herausforderungen wie der klimaneutrale Umbau der Industrie, der soziale Zusammenhalt und Zukunftsinvestitionen eine große Rolle“, sagte Stegner.

Vollständige Ablehnung äußerten die Linken. Fraktionschefin Amira Mohamed Ali sagte auf Anfrage: „Zunächst stimmt es nicht, dass die Bundeswehr zu wenig Geld hat, der Wehretat wurde über die Jahre massiv erhöht.“ Die Mängel lägen größtenteils am katastrophal schlechten Management. „Schon das Zwei-Prozent-Ziel ist Teil einer unverantwortlichen Hochrüstungspolitik, drei Prozent ist einfach nur Irrsinn.“

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