Rechtes Netzwerk aufgedeckt SPD will alle Gefängnisse durchsuchen

Düsseldorf · In Hessen wurde ein Netzwerk von rechtsextremen Häftlingen enttarnt. Ein Gefangener wollte angeblich Kontakt zur NSU-Angeklagten Beate Zschäpe aufnehmen. Auch in NRW gehen die Gefängnisse gegen die Szene vor.

 Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, rief alle Bundesländer dazu auf, in ihren Ländern zu überprüfen, ob es ähnliche Strukturen gibt.

Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, rief alle Bundesländer dazu auf, in ihren Ländern zu überprüfen, ob es ähnliche Strukturen gibt.

Foto: AP, ASSOCIATED PRESS

Die Justizvollzugsanstalt (JVA) in Geldern am Niederrhein: Bei einer Zellendurchsuchung entdecken Justizvollzugsbedienstete Papiere, die ein Häftling mit Hakenkreuzen bemalt hat. Der Gefangene ist schon häufiger durch seine rechtsradikale Gesinnung aufgefallen. Ihm steht nun ein Disziplinarverfahren bevor. "Rechtsextremistische Symbole und Nazi-Parolen dulden wir nicht", sagt Karl Schwers, Leiter der JVA. Der Fund nationalsozialistischer Symbole sei "nicht außergewöhnlich", erklärt der JVA-Chef.

In Nordrhein-Westfalen sitzen derzeit rund 16 500 Häftlinge ein. Wie hoch der Anteil rechtsextremer Häftlinge ist, lässt sich schwer schätzen. In NRW nahmen in den vergangenen Jahren immerhin 220 Gefangene an einem Aussteigerprogramm für rechtsextreme Häftlinge teil. "Viele agieren aus Angst vor Sanktionen verdeckt", sagt ein Sprecher des NRW-Justizministeriums. Die Bediensteten werden vom Verfassungsschutz geschult, um die Codes der Neonazis zu erkennen.

Gefängnisse sind ein Nährboden für extreme Gesinnungen — das haben rechte Organisationen schon seit vielen Jahren erkannt. Häftlinge, die wegen politischer Straftaten verurteilt wurden, versuchen Mitgefangene für ihre Ideologie zu gewinnen. Die Szene versucht, auch von außen auf Inhaftierte einzuwirken. Die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" (HNG) mit Sitz in Frankfurt verschickte regelmäßig Infobriefe. 2011 wurde das Netzwerk verboten. Jetzt gibt es den Verdacht, dass offenbar eine erneute Unterwanderungsoffensive geplant war. Existierte die verbotene Organisation innerhalb der Gefängnisse weiter? Die Spur führt von Hessen unter anderem nach Nordrhein-Westfalen.

In der Justizvollzugsanstalt im hessischen Hünfeld wurde bei dem Insassen Bernd T. eine Liste gefunden, auf der Gefangene mit rechtsextremer Gesinnung aufgeführt waren. Diese Personen sollen Post von dem mehrfach verurteilten Straftäter aus Kassel erhalten haben. Angeblich bat der 38-Jährige die Adressaten darum, Mitglied eines rechtsextremen Netzwerks zu werden. Ein Brief soll an Beate Zschäpe gerichtet gewesen sein. Sie wird beschuldigt, Mitglied der rechtsextremen Terrorgruppe NSU gewesen zu sein. Zschäpe, die zurzeit in München-Stadelheim auf ihren am 17. April beginnenden Prozess wartet, saß nach ihrer Verhaftung zunächst in der JVA Köln-Ossendorf ein. Auch ein Gefangener in der JVA Gelsenkirchen und andere Personen aus dem Umfeld der NSU sollen Post von dem Initiator aus Hessen erhalten haben.

Ein Sprecher des NRW-Justizministeriums erklärte indessen, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zuschriften angekommen seien. Post von Gefangene an andere Gefangene werde besonders aufmerksam überwacht. In Bayern sollen bereits mehrere Gefangene in drei Justizvollzugsanstalten Kontakt zu dem rechtsextremen Gefängnis-Netzwerk aufgenommen haben.

Die hessischen Ermittler sollen durch eine Kleinanzeige in der Motorradzeitschrift "Biker News" vom Oktober 2012 auf das JVA-Netzwerk aufmerksam geworden sein. Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) erklärte, auf einer Seite für inhaftierte Motorradfahrer sei für eine Gefangenenhilfsorganisation geworben worden. Als Gründungsdatum wurde der 20. April 2012 genannt — an diesem Tag gedenken Rechtsextreme der Geburt Adolf Hitlers. In der Anzeige wurde ausdrücklich vor der Postkontrolle in der JVA Hünfeld gewarnt.

Das Bundesinnenministerium erklärte jetzt, Versuche rechtsextremistischer Gruppen, Gefangene zu "betreuen" und in der "Szene zu halten", würden systematisch beobachtet. Die Ergebnisse dieser Kontrolle konnte ein Sprecher jedoch nicht nennen. Günter Krings, Vize-Chef der CDU-Fraktion im Bundestag, betonte, es sei erschreckend, dass sich trotz des Verbots der HNG neue Strukturen bilden konnten. "Jedes Bundesland ist aufgefordert, in seinem Strafvollzug konsequent gegen extremistische und andere kriminelle Strukturen vorzugehen", unterstrich der CDU-Innenexperte. "Wir brauchen eine Null-Toleranzpolitik gegen alle extremistischen und kriminellen Umtriebe", lautet seine Forderung.

Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, rief alle Bundesländer dazu auf, in ihren Ländern zu überprüfen, ob es ähnliche Strukturen gibt. Das Problem sei in den vergangenen Jahren noch nie zum Thema einer Sicherheitslage gemacht worden. "Das zeugt davon, dass in Deutschland immer noch nicht ausreichend dem Phänomen der nationalsozialistischen Netzwerke nachgegangen wird", kritisierte der SPD-Politiker. Gisela Piltz, Innen-Expertin der FDP, erklärte, das Durchgreifen der hessischen Justiz sei richtig. Vereinsverbote wie das gegen das rechtsextreme Netzwerk HNG seien "wesentlich effektiver" als das geplante Verbot der NPD.

Die Liberalen im Düsseldorfer Landtag haben die rot-grüne Landesregierung gestern aufgefordert, einen Bericht über rechtsextreme Netzwerke in NRW-Gefängnissen anzugeben. FDP-Rechtsexperte Robert Orth beantragte die Stellungnahme für die nächste Sitzung des Rechtsausschusses am 17. April. "Extremismus ist nicht hinnehmbar". NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) müsse dafür sorgen, dass alles unternommen werde, damit rechte Umtriebe in Gefängnissen unterbunden werden könnten. Dagmar Hanses, Rechtsexpertin der NRW-Grünen, erklärte, Rechtsextreme gäben ihre Ideologie nicht an der Gefängnistür ab. "Ziel der Resozialisierung muss es sein, dass sich Nazis mit ihrer menschenverachtenden Ideologie auseinandersetzen und diese ablegen", sagte Hanses.

Bernd T., der Initiator des neuen Netzwerks, ist für die Behörden übrigens kein Unbekannter. Der Neonazi hatte dem Verfassungsschutz kurz nach dem Auffliegen der NSU Informationen über die Terrorzelle angeboten. T. hatte behauptet, er habe sich im Jahr 2006 mit den beiden NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Kassel getroffen.

(may-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort