Richard David Precht beim Ständehaus-Treff „Der wohlmeinende Streit ist aus der Gesellschaft verschwunden“

Düsseldorf · Ein Philosoph beim Ständehaus-Treff der Rheinischen Post: Richard David Precht gab gut 400 Hörern zu denken in seinem Gespräch mit Chefredakteur Moritz Döbler über China, die Ukraine und die Medien. Rückblick auf einen angenehm strittigen und zugleich gepflegt anregenden Abend.

Düsseldorf: Ständehaus-Treff mit Richard David Precht​
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Ständehaus-Treff mit Richard David Precht

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Foto: Anne Orthen (orth)/Anne Orthen (ort)

Dieser Abend der großen Gedanken begann mit einem Eingeständnis: nämlich die militärische Lage im Ukraine-Krieg nicht richtig eingeschätzt zu haben. Wie auch? Auch die meisten Militärexperten gingen von einer Niederlage der Ukraine innerhalb von zwei Wochen aus - mit bis zu 30.000 Toten. Also fragte Richard David Precht sich und die Öffentlichkeit, ob es nicht auch eine Pflicht zur Klugheit gebe, einzusehen, wann man sich ergeben müsse. Eine Welle der Kritik war die Antwort; von Unterwerfungspazifismus war die Rede.

Nun dauert der Angriffskrieg Russlands schon neun Monate, und Precht stand auch dazu beim traditionellen Ständehaus-Treff der Rheinischen Post im Düsseldorfer K21 Chefredakteur Moritz Döbler Rede und Antwort. Prechts aktuelle Einsicht: Wie viele andere auch habe er die Stärke der Ukraine unterschätzt. Und natürlich werde die Verhandlungsposition mit Erfolgen der Ukraine deutlich besser; und natürlich freue er sich über jede Rückeroberung. Doch zugleich wachse dadurch auch die Gefahr einer nuklearen Eskalation.

Vor etwa 400 Gästen ging es Richard David Precht zumindest in dieser Frage nicht so sehr ums recht haben, nicht um eine Verteidigung früherer Positionen um jeden Preis. Wichtig war ihm, sensibel zu machen für Prognosen in eine Zukunft mit allzu vielen Unbekannten.

Das ist Philosoph Richard David Precht​
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Das ist Philosoph Richard David Precht

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Foto: picture alliance / zb/Foto: Kirsten Nijhof/DPA

Richard David Precht ist nicht nur den Spuren des Denkens gefolgt mit seiner dreibändigen Philosophiegeschichte - zwei weitere Bücher mit insgesamt 1000 Seiten werden ab 2024 noch folgen. Der 57-Jährige und inzwischen in Düsseldorf lebende Philosoph hat immer auch versucht, parallel zur Zeit zu denken und zu schreiben: über Tierethik etwa, über die Zukunft unserer Arbeit und unserer digitalen Gesellschaft. Und er ist stets bemüht, mehr als nur Antworten zu geben. Manche seiner Thesen sind ungewöhnlich, oft originell, sie inspirieren, provozieren, empören mitunter.

Besonders sein jüngstes Buch zur deutschen Medienlandschaft hat viele auf die Palme gebracht, das er zusammen mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer schrieb und mit dem martialischen Titel „Die vierte Gewalt“ überschrieb. Darin geht es vor allem um einen Journalismus, der sich mit dem Aufstieg der sogenannten Direktmedien verändert habe. Fortan gehe es um immer neue Erregungswellen, um extreme Personalisierungen bei Sachfragen, und um Kampagnen – etwa gegen Armin Laschet, den nach den Worten Prechts ein falsches Lächeln am falschen Ort womöglich die Kanzlerschaft gekostet habe. „Der wohlmeinende Streit ist aus der Gesellschaft verschwunden“, so Precht, in den Debatten sei Anstand verloren gegangen, erst recht das Bemühen um Maß und Mitte. Bei allen Fehlern und aller Kritik: Precht outete sich als Fan der öffentlich-rechtlichen Medien und wünschte sich ein solches System auch für digitale Medien.

Es war ein munteres, anregendes Gespräch, das, so schien es, einmal die großen Probleme der Welt in den Blick nahm. Mit China natürlich, dem bedrohlichen Riesen, von dem auch Deutschland sich wirtschaftlich abhängig gemacht habe. „Ein Problem?“, fragt Moritz Döbler. Eigentlich nicht, glaubt Precht. Denn es werde keine Regionalisierung der Wirtschaft mehr geben. „An der Globalisierung führt kein Weg vorbei“, so Precht. Auch vor diesem Hintergrund kritisierte der Philosoph die Forderung nach einer „wertegeleiteten Außenpolitik“. Diese könne man nicht ernsthaft verfolgen, weil dann unsere Wirtschaft einbrechen würde. „Wer nur noch mit moralisch einwandfreien Ländern kooperiert, verstärkt am Ende die Blockbildung und macht die Gräben tiefer.“

Denn die Krisen werden aus unserer Welt auch angesichts des unaufhaltbaren Klimawandels nicht mehr verschwinden. Aber: „Wir müssen uns besser an Krisenzeiten gewöhnen.“

Etwa auch an eine Weltmeisterschaft in Katar? Precht ist nicht nur ein ungewöhnlicher Denker, sondern eben auch ein komischer Fußballfan. Seine Lieblingsmannschaft ist Dynamo Kiew, eine Fanleidenschaft, die es dem aus einem linken Elternhaus stammenden Jungen damals wenigstens ermöglichte, gelegentlich Fußball zu schauen. Diese Leidenschaft ist geblieben (trotz mafioser Strukturen in seinem Verein), denn „wer seinen Lieblingsclub ständig mehrfach wechselt, wechselt auch vieles andere in seinem Leben.“

Ein kluger Satz, dennoch bleibt die Frage nach Katar. Na ja, das eine oder andere Spiel der deutschen Nationalmannschaft werde er sich wohl anschauen, denn es gibt nach seinen Worten keine schöneren Momente, als mit seinem Sohn gemeinsam ein Fußballspiel anzuschauen.

Der versöhnliche Abschluss eines angenehm strittigen und zugleich gepflegt anregenden Abends. Philosophie heißt Liebe zur Weisheit. Diese stets zu hegen und pflegen, kann in unseren Zeiten nicht ganz verkehrt sein. Wie treffsicher solche Ansprüche dann zu Fragen unserer Gegenwart sein können, das wird wohl erst die Zukunft beantworten.

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