Niederkrüchtener Gemeinderat Was ein Lokalpolitiker über die Weltlage denkt

Niederkrüchten · Normalerweise sitzen Lokalpolitiker auf der Hinterbank des Politikjournalismus. Dabei sind sie das Rückgrat des politischen Systems. Was haben sie eigentlich zu Themen zu sagen, die Deutschland und die Welt bewegen? Ein Interview mit Christoph Szallies, Mitglied im Gemeinderat von Niederkrüchten im Kreis Viersen.

 „Da wackelt der Schwanz mit dem Hund“: Grünen-Politiker Christoph Szallies.

„Da wackelt der Schwanz mit dem Hund“: Grünen-Politiker Christoph Szallies.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

34 Sitze hat der Rat von Niederkrüchten, einer Gemeinde von 15.000 Einwohnern im Kreis Viersen. Christoph Szallies sitzt seit 2004 für die Grünen dort. Der 48-jährige Diplom-Informatiker wuchs in Neuss auf, doch der Liebe wegen zog er 2001 nach Niederkrüchten. 500 Meter sind es zum Rathaus, 500 Meter zum Feldrand.

Acht bis zehn Stunden investiert er nach eigener Einschätzung wöchentlich in die Lokalpolitik. Es müsse ja jemand machen, sagt er. Er debattiere gern. Wichtig ist ihm, dass man den anderen Ratsmitgliedern nach der Sitzung noch in die Augen schauen kann. Wer Tür an Tür wohnt, muss miteinander auskommen.

Was hat ein Lokalpolitiker wie er über die Themen zu sagen, die über Niederkrüchten hinausgehen? Wir haben ihm Gelegenheit gegeben.

Das neue Video von Rammstein

„Der kurze Trailer mit den KZ-Uniformen sollte Geschmack machen auf das Video, das ja eine Abrechnung mit der deutschen Geschichte ist. Die Band war natürlich so berechnend, genau diesen Ausschnitt zu wählen. Die Reaktionen waren absehbar. Ich möchte Rammstein nicht verteidigen, aber viele treten bei solchen Themen zu schnell mit einem Kommentar in die Öffentlichkeit, auch wir von den Grünen. Besser ist es, sich eine Antwort noch mal durch den Kopf gehen zu lassen, anstatt sofort emotional zu reagieren.“

Mögliches Comeback von Wladimir Klitschko

„Boxen ist nicht mein Sport, aber er soll ja 70 Millionen Euro bekommen für ein Comeback. Da geht es wie immer häufiger im Sport darum, Events zu schaffen, nicht mehr um den Sport an sich. Wem will man das denn erklären? Beim Fußball sehe ich die neuen Vermarktungsmöglichkeiten, diese ganzen neuen Wettbewerbe, mit Sorge. Das wird zu einer Übersättigung führen. Der Konsument ist sich seiner Macht gar nicht bewusst, die er da hat, indem er einfach nicht mehr hingeht oder zuschaut.“

Beteiligung der DFL an Polizeikosten bei Hochrisikospielen

„Die öffentlichen Kassen müssen für eine Mindeststärke an Polizei aufkommen. So ist es nicht nur beim Fußball, sondern auch im Karneval oder auf einer Kirmes. Bei Hochrisikospielen sehe ich aber schon den Punkt, dass Vereine und DFL sich finanziell beteiligen müssen, weil es eben über das übliche Maß hinausgeht.“

Bayers juristischer Ärger wegen Monsanto

„Ich dachte mir schon beim Kauf, dass Monsanto für Bayer zum Bumerang wird, zur Büchse der Pandora. Zwar ist es nicht gut, dass es wieder ein deutsches Unternehmen trifft, aber es ist gut, dass es nun ein greifbares Urteil in Sachen Glyphosat gibt. Bezeichnend finde ich, dass es wieder, ähnlich wie beim Dieselskandal, aus den USA kommt. Man darf aber nicht vergessen, dass Monsanto nicht bloß wegen Glyphosat problematisch ist, sondern auch, weil es der Meinung ist, es gebe Patente auf Leben. Allein wie die den Mais verändert haben, so dass er mit normalen Mais bloß noch die Farbe gemein hat.“

Mögliches Amtsenthebungsverfahren von Donald Trump

„Schon bei Berlusconi hat man gesehen, dass diese Leute immer einen Weg finden durchzukommen. Trump lebt davon, seine Macht zu erhalten, er geht sprichwörtlich über Leichen. Die Reihe der Bauernopfer ist lang. Welches Thema sollte ihn denn noch zu Fall bringen angesichts der Dinge, die er sich schon geleistet hat? Wenn die Demokraten die nächste Präsidentenwahl gewinnen wollen, sollten sie aber diesmal jemanden aufstellen, den die Basis auch wirklich will. Da gibt es Eliten, die glauben, über das Wohl und Weh der Gesamtheit entscheiden zu können – auch in der Kommunalpolitik. Altgediente Kämmerer, die meinen, sie wüssten, was gut für alle ist zum Beispiel.“

Gendersprache

„In der deutschen Sprache ist zu viel maskulin. Unter den Tauchern, die die Jungen in Thailand im vergangenen Jahr aus der Höhle gerettet haben, waren zum Beispiel auch Frauen, aber wir sprachen immer nur von Tauchern, deshalb hat man nur das Bild von männlichen Tauchern im Kopf. Gendern ist ein Versuch, dass diese verfälschten Bilder so nicht mehr entstehen, auch wenn es umständlich ist. Warum machen wir nicht ein Neutrum daraus? Mit ,das Taucher‘ hätte ich kein Problem.“

Brexit

„Das Ganze ist eine Farce. Neulich las ich in einer Karikatur, die EU solle doch einfach dem Commonwealth beitreten. Da wackelt der Schwanz mit dem Hund. Zwar ist es löblich, dass die EU um einen Kompromiss ringt, aber das hat ja keine Aussicht auf Erfolg im britischen Parlament. Irgendwann muss die EU den harten Brexit durchziehen. Die britischen Politiker sollten erkennen, dass sie mit dem Brexit einen Fehler gemacht haben und das auch eingestehen, das wäre doch vertrauensbildend – warum dann also nicht noch mal die Bevölkerung über den Austritt aus der EU abstimmen lassen?“

Ein Thema seiner Wahl

„Staaten der Ersten Welt plündern Dritte-Welt-Länder aus, bis diesen selbst nichts mehr bleibt. Es bräuchte einen globalen Konsens, dass diese Länder eine eigene Wertschöpfung betreiben können. Dass es den nicht gibt, sorgt ja für die hohe Zahl an Flüchtlingen. Es ist doch klar, dass sie an unserem Wohlstand teilhaben wollen und sich auf den Weg machen. Diese Migration hat es schon immer gegeben, früher sind die Leute in die USA eingewandert.“

Und welches Thema beschäftigt Niederkrüchten?

„Das sind momentan zwei. Zum einen die Umwandlung des früheren britischen Militärgeländes. Da wollen wir von den Grünen große Flächen für den Naturschutz erhalten, aber auch ein Gewerbegebiet mit dem Schwerpunkt erneuerbare Energien einrichten. Das andere wichtige Thema ist das Schwimmbad. Wir haben ein uraltes Hallenbad, das wir gerade notdürftig saniert haben. Ein Freibad haben wir auch, aber das wurde 2018 gar nicht erst geöffnet. Im Gespräch ist, ein gemeinsames Bad mit der Nachbargemeinde Brüggen zu bauen. Das kostet allerdings mehr als 20 Millionen Euro – ein erhebliches finanzielles Risiko, das einer Gemeinde das Genick brechen kann.“

Dieser Text ist kein gewöhnlicher. Er gehört zu einer Sonderausgabe der Rheinischen Post am 1. April 2019. Geplant und gestaltet wurde diese nicht von der RP-Redaktion, sondern von zwei „Chefredakteuren für einen Tag“: Schauspielerin Annette Frier und Kabarettist Konrad Beikircher. Mehr dazu und alle Texte dieser Sonderausgabe finden Sie hier.

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