AfD-Wahlkampf in Waltrop Europa? Ja klar, äh nein, ich mein: Jein

Waltrop · Alexander Gauland erklärt in Waltrop seine Liebe zu Europa, der NRW-Landeschef wettert gegen die EU. Ein ganz normaler Abend bei der AfD.

 AfD-Vizechef Alexander Gauland.

AfD-Vizechef Alexander Gauland.

Foto: dpa/Monika Skolimowska

Das Haus der Begegnung ist einen Steinwurf entfernt und doch weit weg. Die katholische Kirchengemeinde St. Peter in Waltrop nutzt das Haus als Treffpunkt. Ausweislich der Facebook-Seite der Gemeinde trafen sich etwa am 8. Mai 2018 Senioren, die „70, 75, 80, 85 oder noch älter geworden“ sind. Es schaut recht friedlich aus auf den Fotos, es gab Kaffee, Kuchen und Sekt. Vielleicht hätte St. Peter auch für die AfD und ihre Feinde eindecken sollen, dann hätte man sich bei Bienenstich austauschen können und nicht so schreien müssen.

Aber das Haus der Begegnung am Donnerstag war die Stadthalle Waltrop, Kreis Recklinghausen. Kein Bienenstich, kein Sekt, keine Heiterkeit. Alexander Gauland ist angereist, sollte eigentlich über die Beobachtung seiner Partei durch den Verfassungsschutz sprechen, redet aber nun über Europa. Warum, weiß man nicht so genau. Es habe im Vorfeld „Querelen“ gegeben, heißt es.

Den Demonstranten vor den Toren der Halle, den „Buntmenschen“, wie ein Besucher der AfD sagt, ist das Vortragsthema einerlei. Sie rufen mal „Nazis raus“, mal „Nazis rein“. Wer vor der Absperrung steht, ist ein Feind. Um in die Halle zu gelangen, müssen Besucher durch einen Spalier. Männer bauen sich vor einem auf und sagen Dinge wie: „Na, auf dich haben wir noch gewartet.“ Während des Vortrags stehen die AfD-Gegner an der Glasfront der Stadthalle, und schauen ihren Hassfiguren feixend zu. Die tiefen gesellschaftlichen Gräben, von denen Gauland spricht, sind eindrücklich zu beobachten. Mehr als 350 Waltroper feiern vor der Halle ein Fest der Vielfalt.

Im Innern sitzen rund 350 Gäste – angekündigt waren 800 –, unter ihnen viele Männer, die Bier trinken. Sie hören, wie der Fraktionsvorsitzende Gauland die Unterschiede zwischen der EU und Europa und zwischen Eurokraten und Demokraten erklärt, wie er das Schweigen der „kanzleramtsnahen Medien“ zur „Massenmigration“ geißelt, und sie erleben, wie er sich an einem erstaunlichen Spagat versucht.

Er erläutert, warum sich die AfD in ein Parlament wählen lassen möchte, das sie selbst gern abschaffen würde: das Europaparlament. Sein Argument: die letzte Volkskammer der DDR wurde ja auch gewählt. Und: „Solange alle anderen daran festhalten, müssen wir mitmachen.“ Von Brüssel aus soll Deutschland nicht regiert werden, aus der EU austreten, will die AfD aber auch nicht. Das sei mit Blick auf die deutsche Geschichte problematisch, sagt Gauland. Er wirkt unentschlossen.

Und nicht nur er. Gauland beendet seine Rede nach 45 Minuten, ohne groß engagiert gewesen zu sein. Sein Nachfolger auf der Bühne, der NRW-Vorsitzende Thomas Röckemann, kommt zwar nicht zum Punkt, aber er weckt den leerer gewordenen Saal mit kräftiger Anti-EU-Rhetorik auf: „Die EU ist der Tod der Demokratie“. Oder: „Wir werden den EU-Sumpf trockenlegen“ – eine kleine Reminiszenz an Donald Trump. Der Saal findet es super. Röckemann kommt, gemessen am Applaus, mit seiner derben antieuropäischen Rede bei den Besuchern deutlich besser an als Gauland. Der wirkte am Donnerstag fast ein bisschen, als würde er sich auch in der CDU nach Merkel wohlfühlen können. „Wir sind eine europafreundliche Partei, wir lieben Europa“, ruft Gauland verblüffend.

Röckemann spricht von der Bedeutungslosigkeit des Europaparlaments, er spricht aber auch davon, dass seine Partei dort die Macht übernehmen müsse, um eine Katastrophe abzuwenden. Wie das gehen soll, wenn das Parlament keine Befugnisse hat, erklärt er nicht.

(her)
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