Die Frage nach der Herkunft Woher kommst du wirklich?
Düsseldorf · Darf man Menschen fragen, woher sie kommen, nur weil sie äußerlich nicht den deutschen Stereotypen entsprechen? Über die Frage ist eine Diskussion entbrannt, die das Bewusstsein für Alltagsrassismus schärfen kann.
Sie ist leicht gestellt, die Frage: Woher kommst Du? Woher kommen Sie? Meist genügt ein Akzent, ein ungewöhnlicher Name oder schlicht ein Aussehen, das von dem abweicht, was man sich gemeinhin – man könnte auch sagen: stereotyp – unter deutschem Aussehen vorstellt. Schon laufen bei manchen Menschen bestimmte Wahrnehmungsmuster ab und das Woher wird zum Thema. Die Frage klingt harmlos, meist wird sie unbedacht ausgesprochen, aus Neugier, im Smalltalk, ohne Hintergedanken. Doch gibt es Menschen, die sie ständig hören müssen, obwohl sie einen deutschen Pass besitzen, in Deutschland geboren sind, ihre Eltern in Deutschland leben, eigentlich also nichts die Frage provoziert.
Einige dieser Leute wollen darüber nicht mehr schweigen, nicht mehr lächeln, zurechtgelegte Antworten abspulen und in verdutzte Gesichter schauen, wenn sie sagen: aus Hamburg, München, Hintertupfingen. Sie beklagen sich über die Frage, weil: Woher kommst Du? eben nicht nur nach dem Geburtsort fragt, sondern nach der Herkunft. Und weil eine Frage nach der Herkunft oft in Wahrheit dazu dient, zwischen „wir hier“ und „ihr von woanders“, zwischen zugehörig und nichtzugehörig, zwischen wurzeldeutsch und Bindestrich-deutsch zu unterscheiden.
Die Journalistin Ferda Ataman schreibt in ihrem aktuellen Buch, die Frage stehe für eine zentrale Wahrnehmungsstörung im Einwanderungsland Deutschland. „Deutsch ist für viele nur, wer von Deutschen abstammt. Die gesellschaftliche Realität ist aber eine andere. Viele Dragans, Cemiles, Rafikis und Ceijas sind Deutsche und von hier. Punkt. Aus. Nix, aber von wo.“ Für Ataman offenbart die Herkunfts-Frage die falsche Vorstellung mancher Deutscher, es gebe eine homogene Aufnahmegesellschaft, ursprüngliche Bewohner dieses Landes, und solche die später kamen: Deutsche zweiter Klasse.
Es geht in der Diskussion also einmal mehr um deutsche Identität. Und es gibt die üblichen Reflexe. Denen, die sich beklagen, wird Überempfindlichkeit attestiert. Jeder werde doch im Ausland gelegentlich nach seiner Herkunft gefragt. Nur in Deutschland sei das schon wieder ein Problem. Jeder kenne doch den Smalltalk aus den Ferien über Fußball, Mercedes und Schloss Neuschwanstein, sobald man sich als Deutscher outete. Stereotype täten doch nicht weh.
„Im Urlaub zielt die Frage tatsächlich darauf, wo ein Mensch wohnt“, sagt dagegen der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch. Werde die Herkunftsfrage aber in Deutschland gestellt, ziele sie auf kulturelle Wurzeln – und diene insgeheim der Abgrenzung. Stefanowitsch hält „Woher kommst Du?“ auch nicht für eine harmlose Einstiegsfrage in unverbindlichen Smalltalk. „Die Frage ist sehr persönlich, es empfiehlt sich also abzuwarten, ob das Gegenüber selbst damit anfängt oder lieber nicht darüber sprechen will.“ Er selbst hört die Frage seit seiner Kindheit – sobald er seinen Namen nennt. „Ich habe mir angewöhnt, darauf abwiegelnd, nicht konfrontativ zu reagieren“, sagt Stefanowitsch, „wenn ein Name oder ein bestimmtes Aussehen genügen, um einen Menschen als „fremd“ zu kategorisieren, ist das zwar nicht aggressiv, aber es ist Alltagsrassismus.“ Je nach Kontext verrate die Frage ein Denken, das nationale Zugehörigkeit von Abstammung abhängig mache, obwohl sie doch allein durch den Pass entschieden werde.
Ataman ist Tochter türkischer Einwanderer, die man früher Gastarbeiter nannte. Sie ist in Deutschland geboren, hat in Deutschland Karriere gemacht und keine Lust mehr, als Deutsche behandelt zu werden, die sich rechtfertigen muss. Auch fordert sie in ihrem Buch „Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!“, der Generation ihrer Eltern mehr Respekt zu zollen. Sie hätten für das Wirtschaftswunder in einem Land geschuftet, das sie nicht aus Mitleid geholt habe, sondern zum eigenen Nutzen. Folglich sei es absurd, von ehemaligen Gastarbeitern oder gar deren Kindern Dankbarkeit zu fordern. Vielmehr sei es an der Zeit, ihnen Dank auszusprechen.
Für Ataman ist die Herkunftsfrage nur ein Indiz dafür, dass im Einwanderungsland Deutschland ein Verteilungskampf begonnen hat. Die Kinder der Gastarbeiter von einst hätten sich vorbildlich integriert, höhere Bildungsgänge absolviert und drängten nun eben nicht mehr an die Fließbänder deutscher Autofabriken, sondern in höhere Jobs. Und deren Zahl sei begrenzt.
Natürlich kann die Frage nach der Herkunft freundlich gemeint und von ehrlichem Interesse getrieben sein. Das ist das Problem an der Debatte: Es schwingt etwas Besserwisserisches darin mit. Als versuche eine Bevölkerungsgruppe der anderen vorzuschreiben, was man fragen darf. Das provoziert Abwehr und mit einem „das lass ich mir doch nicht vorschreiben“ ist jeder Austausch beendet.
Vielleicht muss man Menschen, die unüberlegt nach der Herkunft fragen nicht gleich völkisches Denken unterstellen, um sie auf die Gedankenlosigkeit ihrer Frage hinzuweisen. Vielleicht genügt es, zu erzählen, wie solche Fragen wirken, wenn man Deutsche ist, sich zugehörig fühlt, das Land mitgestaltet, und immer wieder subtil zum Außenseiter gemacht wird. Allerdings ist es auch eine Tatsache, dass Kinder in Deutschland, die Charlotte und Max heißen, bessere Chancen haben, später einen guten Job, eine begehrte Wohnung zu bekommen, als Fatma und Motaza. Vorurteile sind mächtig. Und sie machen ohnmächtig, denn aus unreflektierten Zuschreibungen kann strukturelle Benachteiligung werden. Wenn die Debatte über eine unscheinbare Frage hilft, Diskriminierung zu verhindern, ist sie sinnvoll. Jeder darf jeden nach der Herkunft fragen. Aber jeder sollte sich auch selbstkritisch fragen, warum genau ihn das interessiert.