Demonstrationen in Berlin Ein Jahr Krieg – „Die Ukraine wird Putins Stalingrad“

Berlin · Ein Panzerwrack wird vor der russischen Botschaft installiert, Schüler ziehen für den Frieden durch die Stadt – Berlin erinnert an den russischen Kriegsbeginn. Ein Bericht von den Straßen Berlins.

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Ein Jahr Ukraine-Krieg: Demonstration in Berlin

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Foto: dpa/Paul Zinken

Das Kanonenrohr des Panzers zielt auf die russische Botschaft in Berlin. In der Ferne heulen Sirenen. Doch der Lauf ist nicht geladen – nicht mehr. Im Frühjahr 2022 rollte das russische Kriegsgerät vom Typ T-72 noch auf den Straßen vor Kiew, bereit zum Angriff auf die ukrainische Hauptstadt. Nun klafft ein großes Loch im Boden des Panzers, die Gleisketten sind zerbeult, das Innere ausgebrannt. Das Panzerwrack, das am Freitagmorgen nach Berlin transportiert wurde, lässt die Schrecken des Krieges nur erahnen. Es soll als Mahnmal gegen den Krieg dienen. Denn der Angriff Russlands auf die Ukraine ist jetzt ein Jahr her. Zehntausende Menschen demonstrieren zu diesem Anlass in ganz Berlin. Mehr als ein Dutzend Protestaktionen sind angemeldet worden, die Polizei ist mit 800 Einsatzkräften unterwegs.

Der kaputte Panzer steht laut Wieland Giebel, einer der Initiatoren vom Berlin Story Verlag, für den Untergang des russischen Regimes. Denn Giebel ist sich sicher: „Die Ukraine wird Putins Stalingrad.“ Die ganze Welt solle sehen, dass es in Deutschland viele Bürger gebe, die hinter der Ukraine stehen. „Deshalb stellen wir den Russen ihren Schrottpanzer vor die Tür.“ Die Idee dafür hatte Mitinitiator Enno Henze, der seit März 2022 in der Ukraine umher reist. „Ich habe das ganze Leid und die Zerstörung gesehen. Das sind Dinge, die man nur schwer vermitteln kann“, sagt der Künstler. Doch die Vergänglichkeit von Mensch und Maschine seien an diesem Panzer gut zu erkennen.

Diese Vergänglichkeit beschäftigt am Freitag auch viele der umstehenden Menschen. Auf den zerbeulten Gleisketten des Panzers steht eine brennende Grabkerze, ein Zeichen des Friedens, wie Klaus sagt. Behutsam legt er ein Holzkreuz für die Verstorbenen dazu. "Wie kann man auf kleine Kinder und Frauen schießen?", fragt der Berliner ungläubig.

Unter den Protestanten sind auch viele Kinder und Jugendliche. Von Gleichgültigkeit keine Spur beim Nachwuchs. Knapp 400 Schüler des Lilienthal-Gymnasiums im Stadtteil Lichterfelde versammeln sich am Vormittag vor dem Roten Rathaus, um im Kollektiv gen Reichstag zu ziehen. Und das während der Schulzeit. Der Schulleiter spricht von einer „Exkursion im Rahmen der Friedenserziehung“. Viele der Heranwachsenden haben bereits Protesterfahrung gesammelt: bei Klimastreiks oder im Frühjahr 2022, als die Jugendlichen wenige Tage nach Kriegsbeginn zu Tausenden Solidarität mit der Ukraine bekundeten.

„Wir setzen ein Zeichen für den Frieden. Dabei denken wir nicht nur an die Ukraine, sondern auch an Opfer von Gewalt in Afghanistan, Syrien oder dem Iran“, sagt der 16-jährige Lukas. Die Teenager erklären, dass der Krieg in der Ukraine ihr Weltbild erschüttert habe, der Wert des Friedens sei greifbar geworden. „Frieden ist für uns in Deutschland und weiten Teilen Europas eine Selbstverständlichkeit. Es ist daher erschreckend, wie schnell alles auf den Kopf gestellt werden kann - vor 366 Tagen herrschte in der Ukraine auch noch Normalität“, so der Schüler.

Normalität bedeutet für die Ukrainer seit einem Jahr Krieg, Terror und Familientragödien. Die Kämpfe im 2000 Kilometer entfernten Osten des Landes gehen unerbittlich weiter: Russland setzt nach eigenen Angaben seine Angriffe am Freitag entlang der Front in der Region Donezk fort, hunderte Soldaten bezahlen die Gefechte mit ihrem Leben.

Um der Verstorbenen, ihrer Familie und Freunde zu gedenken, hat auch die Berliner Linken-Partei zu einer Mahnwache aufgerufen. Mit einer gemeinsam Schweigeminute wollen die 70 Menschen vor der russischen Botschaft ihre Solidarität bekunden. Doch nicht alle sind zur Anteilnahme gekommen: „Nicht mit euch, ihr Heuchler“, hört man aus der Menge. Auch das wird auf den Straßen Berlins deutlich: Der Krieg spaltet die Menschen.

Während die Rednerin, Landesvorsitzende Katina Schubert, von den Diskussion um Waffenlieferungen innerhalb ihrer Partei berichtet, machen einige Umstehende ihrem Ärger darüber Luft. „Die Ukraine braucht F16 Kampfflugzeuge“, rufen sie. „Ich finde das unmöglich“, kritisiert Hannelore Sederer. Man könne anderer Meinung sein, aber eine Mahnwache für Kritik zu nutzen, verurteilt die Rentnerin.

Wenige hundert Meter weiter schwenken knapp 300 Putin-Gegner Anti-Kriegs-Zeichen. Viele aus der Ukraine Geflüchtete sind gekommen. „Das Gute wird gewinnen. Wir wissen noch nicht wann, aber das wird“, so einer der Redner, deren Beiträge aus dem Ukrainischen ins Deutsche übersetzt werden — und andersherum.

Das Panzerwrack vom Typ T-72 soll für einige Tage vor der russischen Botschaft am Boulevard Unter den Linden als Mahnmal gegen den Krieg dienen.

Das Panzerwrack vom Typ T-72 soll für einige Tage vor der russischen Botschaft am Boulevard Unter den Linden als Mahnmal gegen den Krieg dienen.

Foto: dpa/Julius-Christian Schreiner

Doch auch hier fallen Störer auf. Ein Mann, der den ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Vorbeigehen als „Koksnase“ bezeichnet, erntet Kopfschütteln. Auch vom 24-jährigen Adrian. Der Student ist gekommen, um eine Botschaft des Friedens zu senden. Als Deutscher mit russischen Wurzeln unterstütze er die Ukraine. „Es gibt viele Russen, die nicht mehr nachvollziehen können, was Putin in der Ukraine macht. Nicht alle trauen sich, das öffentlich zu sagen. Aber es ist nicht so, dass alle Russen hinter diesem Krieg stehen“, sagt der junge Mann.

(mo/jus)
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