Asylstreit Horst Seehofer sieht Union „noch nicht überm Berg“

In Berlin hat am Montag die CDU getagt, in München die CSU. Beide schaffen es jedoch nur, eine mögliche Eskalation um zwei Wochen zu verschieben. In den CDU-Gremien herrschte Erschrecken über die Eskalation in der Union.

 Horst Seehofer setzt weiter auf seinen „Masterplan“. (Archiv)

Horst Seehofer setzt weiter auf seinen „Masterplan“. (Archiv)

Foto: dpa/Jens Büttner

Haben sie zum Gleichtakt zurückgefunden? Zumindest den Startzeitpunkt ihrer Pressekonferenzen nach den Sitzungen der CDU-Spitze in Berlin und des CSU-Vorstands in München planen sie zum selben Zeitpunkt. Aber das lässt sich auch anders interpretieren: Beide gönnen einander nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Zuschauer müssen sich entscheiden, ob sie live die Sicht der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel verfolgen wollen oder die des Innenministers und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer. Letztlich aber fängt Seehofer in München erst an, als Merkel in Berlin ihre wichtigsten Punkte schon gemacht hat.

Jedenfalls tritt Merkel völlig anders auf. Während sie vergangene Woche angespannt und mürrisch wirkte, ist sie nun wie ausgewechselt. Sie spricht davon, dass ihr die Parteigremien Rückendeckung für ihre Pläne gegeben hätten, ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik fortzusetzen. Sie versprüht fast ein bisschen Fröhlichkeit, als sie erklärt, es sei ihr Kompromissvorschlag an die CSU gewesen, bereits einmal ausgewiesene Flüchtlinge an der Grenze ab sofort zurückzuweisen und bis zum EU-Gipfel alle weiteren Flüchtlinge wie bisher zu behandeln.

Seehofer benennt die Urheberschaft für diese Idee nicht. Er stellt es vielmehr als absurd dar, dass der deutsche Rechtsstaat sich dies bis jetzt gefallen ließ. Unverzüglich will er nun handeln. Um 15.15 Uhr trifft er sich in München noch mit den CSU-Abgeordneten. Dann fährt er zurück in die Hauptstadt, und dann will er sofort die Anweisung an die Bundespolizei geben, das Zurückweisen von Ausländern mit Wiedereinreisesperre zu starten. Die nächste Gruppe hat er indes schon im Visier: die mit Registrierungsvermerken in anderen EU-Staaten.

Keine Wenn-Dann-Fragen

Was passiert, wenn es ihr nicht gelingen sollte, EU-Staaten wie Italien und Griechenland dazu zu bewegen, die bei ihnen registrierten Flüchtlinge zurückzunehmen, dazu will sich die Kanzlerin zumindest öffentlich keine Gedanken machen. Gleich dreimal verweist sie in ihrer Pressekonferenz darauf, keine Wenn-Dann-Fragen zu beantworten.

Dem Vernehmen nach hat sie in den Gremien ihrer Partei tatsächlich kaum Widerspruch erlebt. Zu Beginn der Vorstandssitzung trug sie ihre Argumente für ein abgestimmtes Vorgehen in der Flüchtlingspolitik in Europa vor. Drei Stichworte nennt sie dafür stets. Demnach darf die deutsche Flüchtlingspolitik nicht unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zulasten Dritter gehen. Lediglich Arnold Vaatz, Bundestagsabgeordneter aus Sachsen, widerspricht Merkel energisch. Er argumentiert wie die CSU, wonach alle bereits in der EU registrieren Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden sollten.

Parallel dazu setzt Seehofer in München ebenfalls auf drei Stichwörter. Bei der Migration gehe es darum, sie zu steuern, zu ordnen und human zu gestalten. Und er versucht, auch die öffentliche Debatte zu steuern und zu ordnen. Von Anfang an sei es, anders als im CDU-Teil der Fraktion behauptet, nicht um die Frage gegangen, ob die Kanzlerin noch 14 Tage Zeit bekomme oder nicht.

Erschrecken über die Eskalation

Das sei vielleicht eine Stilfrage, aber das solle an den „stilvollen Bayern“ natürlich nicht scheitern. Dahinter stehe jedoch ein „grundlegender Dissens“. Und der drehe sich um die Frage, ob zu den Bemühungen, auf europäischer Ebene zu Fortschritten zu kommen, auch nationale Lösungen hinzutreten müssen. Die CDU-Spitze wolle das nicht. Er habe aber von der CSU-Spitze volle Rückendeckung, das nun durchzusetzen.

Derweil in Berlin: Wichtigstes Thema in den CDU-Gremien ist nicht die Flüchtlingspolitik, sondern der Umgang zwischen CDU und CSU. Etliche Wortmeldungen spiegeln geradezu Erschrecken über die Eskalation in den vergangenen Tagen wider. Und sie drehen sich um den aggressiven Tonfall untereinander. „Teilweise ist uns von der CSU Hass entgegengeschlagen“, sagt ein Vorstandsmitglied nach der Sitzung.

Umgekehrt sind zur selben Zeit in München mahnende Stimmen für mehr Stabilität in Berlin zu hören. Die Argumentation: Es wäre auch bei den CSU-Wählern negativ angekommen, hätte man Merkel die zwei Wochen nicht mehr zugestanden. Im Parteivorstand wurde auch deutlich, dass die CSU die CDU-Abgeordneten nicht verprellen wolle, die inhaltlich auf CSU-Linie seien. Mehrheitslinie im CSU-Vorstand ist, die Debatte zu versachlichen. Bei einer erneuten Debatte um die Flüchtlingspolitik in zwei Wochen soll es nach Möglichkeit vermieden werden, dass diese als persönliche Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU wahrgenommen wird.

Doch Seehofer verschafft sich vor der Presse anschließend auch in dieser Frage wieder Bewegungsspielraum, um jederzeit neu eskalieren zu können. Er dementiert zwar erneut die ihm zugeschriebene Äußerung, er könne mit Merkel nicht mehr zusammenarbeiten, als „voll falsch“, unterstreicht zugleich jedoch, dass CDU und CSU in der Frage „noch nicht überm Berg“ seien.

Nach der von Merkel angesprochenen Richtlinienkompetenz gefragt, meint Seehofer, dass die Kanzlerin ihm gegenüber damit „noch nicht gewedelt“ habe, weil dies unter Parteivorsitzenden ja auch unüblich sei. Aber er suggeriert zugleich anhaltende Entschlossenheit in Form einer doppelten Verneinung: „Ich habe nicht gesagt, dass es nicht wieder von vorne losgeht.“ Bedeutet übersetzt: Wenn Merkel und er nach dem EU-Gipfel zu unterschiedlichen Bewertungen kommen, bleibt er entschlossen, die nächste Stufe der Zurückweisungen zu zünden. „Ich bereite das nicht zum Spaß vor“, sagt er ganz ernst.

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