Tweet über deutsche Regierungskrise Hat Donald Trump Recht?

Düsseldorf · Mit einem Tweet hat sich Donald Trump in den Asylstreit der Union eingeschaltet: „Das deutsche Volk wendet sich gegen seine Anführer“, schreibt der US-Präsident und beobachtet eine „stark gestiegene Kriminalitätsrate“. Hat der Mann Recht? Der Faktencheck.

„The people of Germany are turning against their leadership.“
(Das deutsche Volk wendet sich gegen seine Anführer)

Stimmt das? Nicht so richtig. In Wahrheit spielt sich der Konflikt innerhalb der Union ab: Die CSU – und mit ihr Innenminister Horst Seehofer – wendet sich gegen Kanzlerin Merkel und die CDU. Wahr ist aber auch: Das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 (AfD 12,6 Prozent, Linke 9,2 Prozent) macht den Streit innerhalb der Regierung so brisant. Schwarz-Rot braucht die CSU zum Regieren, ohne die Bayern hat die große Koalition keine Mehrheit im Bundestag. Das deutsche Volk wendet sich also nicht gegen seine Anführer – aber es hat seinen politischen Willen in der letzten Wahl zum Ausdruck gebracht: Starke Werte für die extreme Rechte und Linke, Verluste für die bisherigen Volksparteien. Mit diesem Ergebnis müssen die Parteien heute arbeiten.

„…as migration is rocking the already tenuous Berlin coalition.“
(… während die Zuwanderung die ohnehin schwache Berliner Koalition erschüttert)

Stimmt das? Kann man so sagen. Angela Merkel und Horst Seehofer liegen seit langem beim Thema Flüchtlinge über Kreuz, seit 2015 tragen die beiden ihre Streitigkeiten auf wechselnden Eskalationsstufen aus – Stichwort Obergrenze, Stichwort „Herrschaft des Unrechts“. Gleichzeitig sind Seehofer und Merkel gezwungen, im Kabinett miteinander zu arbeiten. Dass die Asylpolitik die Regierung in ihre erste große Krise stürzt, ist also nicht wirklich überraschend – allenfalls, dass es so früh passiert. Und ist sie nun „schwach“, die Berliner Koalition? Tatsächlich hat es länger als je zuvor gedauert, ein Regierungsbündnis zu schmieden. „Erschüttert“ wird jetzt aber nicht die schwarz-rote Koalition – sondern der christsoziale/christdemokratische Teil der Regierung. Die SPD als Koalitionspartner hält sich weitgehend aus dem Zwist heraus.

„Crime in Germany is way up.“
(Die Kriminalitätsrate in Deutschland ist stark gestiegen.)

Stimmt das? Nein. Laut Polizeilicher Kriminalitätsstatistik – im Mai übrigens von Horst Seehofer persönlich vorgestellt - ist die Zahl der Straftaten in Deutschland 2017 gegenüber dem Vorjahr um 9,6 Prozent gesunken. Auf den tiefsten Stand seit 1992. Von einer „stark steigenden Kriminalitätsrate“ kann also keine Rede sein („Deutschland ist sicherer geworden“, sagte Seehofer bei der Vorstellung). Wahr ist aber auch: Es gab 2017 mehr Morde und mehr Drogendelikte. Bei der Rauschgiftkriminalität gab es ein Plus von 9,2 Prozent, Morde wurden 785 verzeichnet – 3,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl der Sexualdelikte ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Soziologen verweisen darauf, dass Flüchtlinge im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung überproportional viele Straftaten begehen. Es gebe jedoch kaum Unterschiede, wenn man nur die Gruppe deutscher junger Männer mit der junger männlicher Flüchtlinge vergleiche – denn junge Männer werden statistisch deutlich häufiger straffällig als andere Bevölkerungsgruppen, ganz egal, was im Pass steht.

„Big mistake made all over Europe in allowing millions of people in.“
(In ganz Europa wurde der große Fehler gemacht, Millionen Menschen hereinzulassen)

Stimmt das? Zunächst mal ist die Zahl keine Übertreibung: 2,5 Millionen Menschen haben allein 2015 und 2016 in der EU einen Asylantrag gestellt. Von „all over Europe“ kann indes keine Rede sein, schließlich tragen einige wenige EU-Mitgliedsstaaten die Hauptlast bei der Verteilung der Flüchtlinge – darunter auch Deutschland. Am Beginn stand im Herbst 2015 die Entscheidung der Bundeskanzlerin, aus humanitären Gründen die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen. Ob das ein „big mistake“ war, ist Ansichtssache. Merkel selbst sagt allerdings inzwischen immer wieder, die Zustände des Jahres 2015 dürften sich „nicht wiederholen“ – und das steht ganz genau so auch im Koalitionsvertrag

„…who have so strongly and violently changed their culture!“
(…[Millionen Menschen, die] die Kultur Europas so stark und gewaltsam verändert haben)

Stimmt das? Kommt ganz darauf an, ob man an die drohende „Islamisierung des Abendlandes“ glaubt oder nicht. Wahr ist: Die Integration von Millionen Einwanderern aus fremden Kulturkreisen, zum großen Teil ohne Sprachkenntnisse und ohne Chancen auf dem Arbeitsmarkt, ist eine gewaltige Aufgabe – für den Staat und das Bildungssystem. Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan bringen ihre Kultur, ihre Sprache und ihre Sitten mit und prägen selbstverständlich unsere Gesellschaft. Genau so übrigens, wie das im 19. Jahrhundert auch deutsche Einwanderer in den USA getan haben, darunter auch der Großvater von Donald Trump. Letzterer impliziert allerdings mit seinem Tweet, Flüchtlinge würden Europäer durch Gewalttaten dazu zwingen, ihre Lebensweise zu ändern. Das ist nicht nur Quatsch, sondern auch infam – denn Einwanderer stellt er damit unter Generalverdacht. Die ganz überwältigende Mehrheit der Zuwanderer in Deutschland lebt friedlich unter uns, versucht in der neuen Heimat über die Runden zu kommen und hat keinerlei Interesse daran, aus Weihnachtsmärkten „Wintermärkte“ oder aus Sankt Martin ein „Lichterfest“ zu machen – schon gar nicht gewaltsam.

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