Geplatzter MiG-29-Deal mit der Ukraine Vom Ladenhüter zum Hoffnungsträger (und zurück)

Düsseldorf · Die Ukraine braucht dringend Kampjets, gut zwei Dutzend MiG-29 hätte Polen schicken können. Der Plan wurde heftig diskutiert, jetzt scheiterte er vorerst am Widerstand der Verbündeten. Aber was sind das überhaupt für Maschinen, und warum wären sie für Kiew so wichtig? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

 Polnische MiG-29 (im Jahr 2013 bei einer Flugshow).

Polnische MiG-29 (im Jahr 2013 bei einer Flugshow).

Foto: dpa/Michael Walczak

Was ist eine MiG-29?

Die MiG-29 (Nato-Codename: „Fulcrum“) ist ein Kampfflugzeug mit zwei Triebwerken, das in den 70er Jahren in der Sowjetunion entwickelt wurde – vom Konstruktionsbüro Mikojan und Gurewitsch, für das die Abkürzung MiG steht. Der erste Prototyp hatte im Jahr 1977 seinen Erstflug, Anfang der 80er Jahre wurden die ersten Maschinen bei der sowjetischen Luftwaffe in Dienst gestellt. Bis heute wurden mehr als 1600 MiG-29 gebaut und während des Kalten Krieges vor allem in die Staaten des damaligen Ostblocks ausgeliefert. In diversen Varianten modernisierte der Hersteller den ursprünglichen Flugzeugtyp, bis heute sind weltweit mehrere hundert Maschinen im Einsatz.

Die Aufgabe der MiG-29 ist in Friedenszeiten üblicherweise die Überwachung der Lufthoheit, das sogenannte Air Policing. Im Kriegsfall kann der Kampfjet eingesetzt werden, um andere Flugzeuge oder Bodenziele anzugreifen.

Die MiG-29 galt mit ihren Flugeigenschaften lange Zeit westlichen Kampfjets als überlegen, vor allem durch ihre extreme Wendigkeit, die ihr Vorteile im Luftkampf verschafft. So ist die MiG-29 in der Lage, das sogenannte Kobramanöver zu fliegen – dabei wird die Maschine abrupt abgebremst, indem sie um 90 Grad nach oben gestellt wird und quasi auf ihrem Schubstrahl in der Luft steht. 

Die MiG-29 erreicht bei entsprechender Flughöhe Geschwindigkeiten von bis zu 2400 km/h. Obwohl sie lange als Goldstandard bei den Kampjets galt, neigt sich ihre Zeit langsam dem Ende zu – immer mehr Staaten, die bislang die MiG-29 einsetzten, modernisieren nach und nach ihre Luftstreitkräfte, darunter auch Russland.

Wie viele MiG-29 besitzt Polen?

Die polnische Luftwaffe verfügt über 28 Kampfjets dieses Typs. Einige der Maschinen stammen ursprünglich übrigens aus Deutschland: Die deutsche Luftwaffe hatte nach der Wiedervereinigung 24 Fulcrums von der ehemaligen NVA geerbt, diese umgerüstet und zunächst weiter genutzt. 2003 gab Deutschland 22 der Jets an Polen ab, für den symbolischen Preis von einem Euro. Wieviele der damals gelieferten MiG-29 tatsächlich noch von Polen genutzt werden, ist allerdings unklar.

Freilich machen die MiG-29 nur einen Teil der polnischen Luftstreitkräfte aus. Diese umfassen auch mehrere Dutzend US-amerikanischer F-16 sowie russischer Su-22-Jagdbomber. Polen hat außerdem 32 moderne F-35-Jets bestellt, die ab 2024 ausgeliefert werden sollen. Dem Fliegerei-Magazin „The Aviationist“ zufolge sollen diese F-35 die alten MiGs in Polen ersetzen.

Welche Länder besitzen sonst noch MiG-29?

Abgesehen von ehemaligen Sowjetrepubliken – etwa Kasachstan und Belarus – wird die MiG-29 auch in vielen anderen Nationen noch immer eingesetzt, darunter Indien, Algerien, Kuba, Iran oder Peru. Besonders relevant für den Ukraine-Konflikt sind MiG-29, die in EU- oder Nato-Mitgliedsländern stationiert sind. Neben Polen besitzen die Slowakei (angeblich zwölf Stück) und Bulgarien (angeblich 19) noch Fulcrums.

Hat auch Deutschland heute noch MiG-29-Jets?

Ja – einen einzigen. Nachdem das Fulcrum-Arsenal an Polen abgegeben wurde, blieb ein Exemplar in Deutschland zurück. Es steht bis heute im Luftwaffenmuseum in Berlin-Gatow und kann dort besichtigt werden.

Wie viel kostet eine MiG-29?

Das kommt ganz auf Alter und Ausführung an. Dass man eine ganze MiG-Flotte in der Vergangenheit schon für einen Euro bekommen konnte, haben wir oben beschrieben. Im Jahr 2019 stand in den USA ein gebrauchtes Exemplar für 4,65 Millionen US-Dollar zum Privatverkauf. Der Neupreis dürfte bei etwa 25 Millionen US-Dollar liegen.

Warum braucht die Ukraine ausgerechnet Flugzeuge dieses Typs?

Gegenüber den russischen Angreifern ist Kiew zahlenmäßig unterlegen – und das gilt auch für die Luftstreitkräfte. Zu Beginn der Kampfhandlungen besaß die Ukraine 98 Kampfflugzeuge, auf russischer Seite waren es 1511. Offenbar ist es Russland zwar noch immer nicht gelungen, die Luftherrschaft im Kriegsgebiet zu erringen. Die Ukraine hat den Angreifern aber immer weniger entgegenzusetzen, und täglich werden neue schwere Luftangriffe unter anderem auf zivile Ziele bekannt. Ob Kiew überhaupt noch einsatzfähige Flugzeuge hat, ist unklar.

Dass Präsident Wolodymyr Selenskyj vehement die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine fordert, spricht dafür, dass das Land dringend auf Unterstützung des Westens in der Luft angewiesen ist. Helfen würden auch Kampfjets, um die Selenskyj ebenfalls schon mehrmals bat. Doch die ukrainischen Piloten müssten für das jeweilige Modell auch ausgebildet sein – sie können sich nicht einfach in eine F-16 setzen, die von der ukrainischen Luftwaffe bisher nicht genutzt wird. MiG -29 hingegen besitzt – oder besaß - die Ukraine selber, viele Piloten kennen sich mit der Maschine also aus und können sie ohne größere Trainingsmaßnahmen fliegen.  

Warum wollte Polen seine Kampfjets den USA übergeben?

Für Polen ist eine direkte Weitergabe seiner Flugzeuge an die Ukraine überaus heikel – Moskau könnte die Unterstützung als kriegerischen Akt werten. Deshalb hatte Polens Regierung zunächst ausgeschlossen, seine MiGs an Kiew weiterzugeben. Vor wenigen Tagen dann die Kehrtwende: Polen kündigte an, seinen kompletten MiG-29-Bestand kostenlos den USA zur Verfügung zu stellen und die Flugzeuge dazu auf die US-Basis im deutschen Ramstein zu bringen. Im Gegenzug sollte Washington Polen mit anderen Kampfjets versorgen, die die entstehende Lücke im Inventar hätten füllen können. Aus Sicht Polens eine elegante Lösung, da die MiG-29 dann von den USA hätten übergeben werden müssen. Polen habe die kämpfende Ukraine unterstützen wollen, die „deutliche und starke Erwartungen“ an die Nachbarn formuliert habe, sagte Präsident Andrej Duda am Donnerstag zu den Beweggründen für den zuvor offenbar nicht mit den USA abgestimmten Vorstoß.

Was spricht aus Sicht der Amerikaner dagegen?

Einigermaßen überraschend sprach sich Washington schnell und deutlich gegen den vorgeschlagenen Kampfjet-Deal aus – und das, obwohl Außenminister Antony Blinken noch am Wochenende Sympathie für die Idee gezeigt hatte: „Wir sehen uns derzeit aktiv die Frage von Flugzeugen an, die Polen an die Ukraine liefern könnte. Und wie wir dann nachliefern könnten, sollte Polen sich entschließen, diese Flugzeuge zu liefern“, sagte er damals bei einem Besuch in Moldawien.

Nach Polens Ankündigung, die Maschinen nach Ramstein zu bringen, setzte sich in Washington aber offenbar die Sichtweise durch, wonach eine Weitergabe von Kampfjets zu riskant sei: Die Nuklearmacht Russland, so die Sorge, könnte die Lieferung als kriegerischen Akt von Nato-Staaten werten. „Die Nachrichtendienste sind zu der Einschätzung gelangt, dass die Weitergabe von MiG-29 an die Ukraine fälschlicherweise als eskalierend aufgefasst werden könnte", sagte Pentagon-Sprecher John Kirby am Mittwochabend. Man schätze ein solches Vorgehen daher als hohes Risiko ein. „Wir unterstützen derzeit nicht den Transfer zusätzlicher Kampfflugzeuge an die ukrainische Luftwaffe und haben deswegen auch nicht den Wunsch, sie in unserer Obhut zu sehen“, legte sich Kirby fest.

Auch Berlin hat sich inzwischen eindeutig positioniert. Man denke zwar über weitere Hilfen für die Ukraine nach, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. Aber: „Dazu gehören ganz sicherlich keine Kampfflugzeuge.“

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