Nach Inkrafttreten von neuem Mediengesetz Internationale Medien stoppen Arbeit in Russland

Moskau · Angriffe auf Wohnhäuser? Davon soll die russische Bevölkerung nichts hören. Ein neues Gesetz stellt die Verbreitung kritischer Kriegsnachrichten unter Strafe. Etliche internationale Medien reagieren auf den Erlass.

Alexej Wenediktow, Chefredakteur des in Russland populären - und nun geschlossenen - kremlkritischen Radiosenders Echo Moskwy.

Alexej Wenediktow, Chefredakteur des in Russland populären - und nun geschlossenen - kremlkritischen Radiosenders Echo Moskwy.

Foto: dpa/-

 Nach dem Inkrafttreten eines neuen russischen Gesetzes gegen die Verbreitung kritischer Informationen über den Ukraine-Krieg ziehen internationale Medien daraus Konsequenzen für ihre Arbeit in Russland. CNN gab am Freitag bekannt, seinen Sendebetrieb in dem Land zu stoppen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg setzte ihre Berichterstattung aus Russland aus. Man prüfe die Situation vor Ort noch, teilte die Agentur mit.

Zuvor unterzeichnete Kremlchef Wladimir Putin am Freitagabend ein von beiden Parlamentskammern verabschiedetes Gesetz, das die Weitergabe von „falschen“ Berichten zur Straftat macht. Zudem blockierte die russische Medienaufsicht die Internetseiten der Deutschen Welle und der britischen BBC sowie von Voice of America, Radio Free Europe/Radio Liberty und der lettischen Webseite Medusa, wie die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete. Nach Facebook wurde überdies der Zugang zu Twitter gesperrt.

Die russische Regierung hat Berichte über Rückschläge für das eigene Militär oder die Zahl getöteter Zivilisten und gefallener russischer Soldaten in der Ukraine bereits mehrfach als „Fake News“ abgestempelt. Bereits seit vergangener Woche ist es Medien in Russland verboten, in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine Begriffe wie „Angriff“, „Invasion“ und „Kriegserklärung“ zu verwenden. Moskau bezeichnet den Krieg als militärische „Spezialoperation“.

Der Vorsitzende der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, sagte, das Gesetz über die Verbreitung falscher Nachrichten könne ab Samstag angewendet werden. „Es ist möglich, dass ab morgen jene, die gelogen haben und diskreditierende Äußerungen über unsere Streitkräfte gemacht haben, ... eine sehr schwere Strafe erleiden“, sagte Wolodin. „Ich möchte, dass jeder versteht und dass unsere Gesellschaft versteht, dass wir das tun, um unsere Soldaten und Offiziere zu schützen und die Wahrheit zu schützen.“

Haftstrafen von bis zu drei Jahren sowie Geldbußen sind vorgesehen, wenn man Nachrichten über das Militär verbreitet, die der Kreml als falsch ansieht. Die Höchststrafe von 15 Jahren sei in jenen Fällen möglich, in denen die Verbreitung dieser Berichte schwerwiegende Folgen habe, hieß es.

Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor warf den Betreibern der gesperrten Webseiten vor, solche Informationen veröffentlicht zu haben. Unter anderem gehe es dabei um Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zivile Ziele und die Zahl der Todesopfer in der Ukraine. Wer am Freitagnachmittag in Moskau die Seite der BBC aufrufen wollte, sah nur eine Mitteilung von Roskomnadsor, dass diese nicht zugänglich sei. Auf Twitter postete die britische Rundfunkanstalt eine Anleitung, wie russische Leser doch auf ihre Texte zugreifen können, indem sie bestimmte Apps oder das Dark Web nutzen.

„Diese Gesetzgebung scheint den Prozess des unabhängigen Journalismus zu kriminalisieren“, wird BBC-Generaldirektor Tim Davie in dem Tweet zitiert. „Das lässt uns keine andere Option, als die Arbeit aller Journalisten von BBC News und ihrer Mitarbeiter in der Russischen Föderation zu stoppen, während wir die vollen Auswirkungen dieser unerwünschten Entwicklung untersuchen.“

Die Sicherheit der Mitarbeiter gehe vor, fuhr Davie fort. „Wir sind nicht bereit, sie dem Risiko der Strafverfolgung auszusetzen, nur weil sie ihren Job machen.“ Er sprach allen Mitarbeitern in Russland seinen Respekt aus, „für ihre Tapferkeit, Entschlossenheit und ihre Professionalität“.

Das BBC-Nachrichtenprogramm in russischer Sprache werde jedoch von außerhalb Russlands weiter betrieben. Ebenso werde die Berichterstattung aus der Ukraine fortgesetzt. Die BBC bleibe ihrer Verpflichtung treu, unabhängige Informationen einem Publikum in aller Welt zugänglich zu machen, darunter auch Millionen Russen, die den BBC News Service nutzten.

Ähnlich begründete Bloomberg seine Entscheidung, die Arbeit innerhalb Russlands zunächst zu stoppen. Die Änderung des Gesetzes scheine darauf abzuzielen, jeden unabhängigen Journalisten zu einem Kriminellen zu machen, erklärte Bloomberg-Chefredakteur John Micklethwait. Das mache es unmöglich, „irgendeinen Anschein von normalem Journalismus im Lande fortzusetzen“. Bloomberg News werde daher „die Arbeit seiner Journalisten in Russland vorübergehend einstellen“, teilte das Unternehmen mit Sitz in New York mit.

Auch einige russische Medien schlossen angesichts der Auflagen bereits ihre Büros. Kurz nach Verabschiedung des Gesetzes im russischen Parlament kündigte die Nachrichten-Webseite Snak an, ihren Betrieb einzustellen. Am Donnerstag war der unabhängige Radiosender Echo Moskwy geschlossen worden. Der unabhängige Fernsehkanal Doschd stellte die Arbeit ein, nachdem ihm die Behörden die Schließung angedroht hatten.

Am Freitag kam es auch zu Razzien in den Büros von Memorial, einer der bekanntesten und ältesten Menschenrechtsorganisationen Russlands. Die Polizei habe keine Gründe für die Durchsuchung genannt, die Beamten hätten mit kugelsicheren Westen und Masken im Gesicht plötzlich vor der Tür gestanden und hätten gedroht, sich mit Gewalt Zutritt zu verschaffen, sagte der Memorial-Vorsitzende Jan Ratschinsky. „So steht es heute in der Hauptstadt Russlands um die Justiz.“ Eine Razzia in ihrem Moskauer Büro meldete am Freitag auch eine weitere Menschenrechtsorganisation, das Komitee für Bürgerunterstützung.

(peng/lha/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort