Kämpfe und Kriegsrhetorik Ukraine und Russland vor neuen Verhandlungen - die Nacht im Überblick

Kiew/Moskau · Nach mehr als einer Woche Krieg steht die Ukraine unter massivem Druck und macht dem Westen Vorwürfe. Was können Gespräche mit Moskau unter diesen Umständen bringen? Ein Überblick über das Geschehen der Nacht.

Zerschossene Windschutzscheibe eines Busses in Kiew (Symbolbild; Foto wurde am 4. März aufgenommen, der Beschuss ereignete sich früher).

Zerschossene Windschutzscheibe eines Busses in Kiew (Symbolbild; Foto wurde am 4. März aufgenommen, der Beschuss ereignete sich früher).

Foto: AP/Emilio Morenatti

 Nach einer weiteren Kriegsnacht bereitet sich die Ukraine auf eine neue Verhandlungsrunde mit Russland über einen Waffenstillstand vor. Doch waren Kämpfe und Kriegsrhetorik auch in der Nacht zum Samstag ungebrochen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte der Nato bittere Vorwürfe, weil sich die westliche Allianz nicht militärisch in den Konflikt einbringen will. In einer Live-Schalte zu Solidaritätsdemos in Europa warnte Selenskyj: „Wenn die Ukraine fällt, werden alle fallen.“

Nach Angaben der ukrainischen Armee setzen russische Truppen ihre Offensive mit Luftunterstützung und dem Einsatz von Hochpräzisionswaffen fort. Die russische Seite versuche, die Hauptstadt Kiew und die Millionenmetropole Charkiw zu umzingeln, hieß es in der Nacht zum Samstag. Im Osten wolle sie von den Separatistengebieten Luhansk und Donezk einen Landkorridor zur von Russland annektierten Halbinsel Krim schaffen.

Auch die Großstadt Mariupol mit 440.0000 Einwohnern stand unter Druck. Bürgermeister Wadym Boitschenko sprach in der Nacht zu Samstag auf Telegram von einer „Blockade“ und sagte, er hoffe auf einen humanitären Korridor aus der Stadt.

Die ukrainischen Streitkräfte betonen weiter, Angriffe würden zurückgeschlagen und den Gegnern Niederlagen beigebracht. Die Darstellung kann nicht unabhängig geprüft werden, ebensowenig wie russische Angaben. Die russische Agentur Tass berichtete, die ukrainische Armee habe binnen 24 Stunden dreimal zwei Siedlungen in der selbst erklärten Volksrepublik Luhansk beschossen. Details zu möglichen Opfern oder Schäden gebe es noch nicht.

Verlässliche Informationen zum Krieg dürften nun noch spärlicher werden - vor allem für die russische Bevölkerung. Denn in Reaktion auf ein neues Mediengesetz in Russland stellen mehrere internationale Sender und Agenturen ihre Arbeit dort ganz oder teilweise ein, darunter CNN, die BBC und der kanadische Sender CBC. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Freitagabend mehrere Gesetze unterzeichnet, die kritische Berichterstattung und deren Verbreitung unter Androhung von Haftstrafen verbieten. Im ukrainischen Kriegsgebiet wiederum sind Journalisten in Gefahr. Ein Fernsehteam des britischen Senders Sky News geriet am Freitag in der Nähe von Kiew unter Beschuss.

Die angekündigte dritte Verhandlungsrunde über einen Waffenstillstand soll an diesem Wochenende vermutlich wieder in Belarus stattfinden. Ein genauer Termin wurde zunächst nicht genannt. Der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow erklärte, Russland wolle die Ukraine nicht zerteilen. Es gehe Moskau um Sicherheitsgarantien, zitierte ihn die Agentur Tass. Er hoffe, dass die Ukraine bei den Verhandlungen die russischen Forderungen akzeptiere. Putin hat aber unter anderem das Ziel ausgegeben, die ukrainische Führung abzusetzen.

Die Ukraine hatte zuletzt die Nato aufgefordert, eine Flugverbotszone über dem Kriegsgebiet durchzusetzen. Das lehnt das westliche Bündnis ab, weil es eine direkte Beteiligung an Kriegshandlungen nach sich ziehen könnte. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte dies am Freitag erneut deutlich. Darauf reagierte der ukrainische Präsident Selenskyj enttäuscht. Damit habe die Allianz grünes Licht für eine weitere Bombardierung ukrainischer Städte und Dörfer gegeben, sagte er in einer Videoansprache.

In seiner Live-Schalte an Demonstranten in Frankfurt und mehreren anderen europäischen Städten rief Selenskyj die Menschen in Europa auf: „Schweigt nicht, geht auf die Straße, unterstützt die Ukraine.“

In Deutschland und anderen EU-Staaten kommen immer mehr Flüchtlinge an, die sich vor dem Krieg in Sicherheit bringen. Nach Schätzung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR waren bis Freitag mehr als 1,25 Millionen Menschen geflohen. Der Migrationsforscher Gerald Knaus sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, Europa müsse sich auf bis zu zehn Millionen Flüchtende und auf die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg einstellen.

Nach Einschätzung des Welternährungsprogramms WFP könnten wegen des Kriegs Nahrungsmittel und Trinkwasser an einigen Orten der Ukraine knapp werden. Die Lage habe sich für die Menschen dramatisch zugespitzt, sagte WFP-Vertreter Martin Frick der Funke-Mediengruppe (Samstag).

In Deutschland sind auch für Samstag zahlreiche Friedensdemonstrationen im mehreren Städten angekündigt, in Düsseldorf allein sind fünf Veranstaltungen geplant.

(peng/dpa)
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