New Space: Chancen im Weltraummarkt Raumfahrt: Start-up fordert mehr Mut in Deutschland

Allen Krisen zum Trotz wächst die Raumfahrt-Industrie weltweit. Das ist auch eine Chance für Start-ups und Kleinbetriebe mit innovativen Ideen. Auf europäischer Ebene bewegt sich etwas. In Deutschland könnte mehr passieren, sagen die jungen Gründer von LiveEO.

 Im wachsenden Weltraummarkt bieten sich Chancen für Start-ups und Kleinunternehmen mit der richtigen Unterstützung.

Im wachsenden Weltraummarkt bieten sich Chancen für Start-ups und Kleinunternehmen mit der richtigen Unterstützung.

Foto: Pixabay

Im November des vergangenen Jahres trafen sich in Paris die 22 Mitgliederstaaten der Europäischen Weltraumorganisation Esa, um über das Budget der kommenden drei Jahre zu beraten. Und da kam auch der Weltraummarkt zur Sprache. Der macht nach Angaben der Esa weltweit derzeit ein Volumen von geschätzt 330 Milliarden Euro aus. Mehr als zwölf Milliarden Euro haben dabei private Investoren in das Geschäft rund um die Raumfahrt gesteckt. Ein Anteil, der rasant gewachsen ist. Zwischen 2017 und 2021 um 86 Prozent. Global gesehen. Runtergebrochen auf Europa war es dagegen nur ein Plus von 14 Prozent.

Das heißt: In anderen Teilen der Erde wird massiv in Raumfahrt investiert. In den USA wurde das auch angetrieben von politischen Entscheidungen unter dem ehemaligen Präsidenten Barack Obama, der private und kommerzielle Initiativen im Weltall fördern wollte. Und allein im vergangenen Jahr wurden beispielsweise über das SBIR-Programm der US-Weltraumbehörde Nasa zur Förderung kleiner Raumfahrtunternehmen und Start-ups 95 Millionen US-Dollar verteilt.

Der fast schon legendäre Gründergeist der Vereinigten Staaten scheint ungebrochen. Ob es um Klein- und Kleinstsatelliten (leichter als 500 Kilogramm) geht oder neue Anwendungen im Weltraum und die Verwendung der Daten aus dem All. Private Gründer dringen so in Bereiche vor, die viele Jahre lang nur Institutionen und Großunternehmen vorbehalten waren. Und in Deutschland? „Da hinken wir der Entwicklung leider noch etwas hinterher“, sagen Daniel Seidel (33) und Sven Przywarra (28).

Seidel hat Maschinenbau und Raumfahrttechnik studiert, Przywarra ist Wirtschaftsingenieur. Und sie sahen vor Jahren ihre Chance im wachsenden Raumfahrtmarkt. Der wurde Mitte des vergangenen Jahrzehnts von Elon Musk als Gründer von SpaceX geradezu befeuert. Als Seidel und Przywarra dann unabhängig voneinander eine Raumfahrt-Konferenz besuchten, „haben wir uns recht schnell getroffen“, erzählen sie. Schließlich seien sie die vermutlich jüngsten Teilnehmer dort gewesen. Man kam ins Gespräch und war sich einig. Ihre Chance würde nicht in dem Start weiterer Mini-Satelliten liegen. Vielmehr erkannten sie, dass etwas fehlt: Anwendungen und innovative Ideen, um die Daten vorhandener Satelliten zu verarbeiten.

Im Jahr 2017 gründeten sie LiveEO in Berlin. Das EO steht dabei für „Earth Observation“ – Erdbeobachtung. Sie kauften dann Bilddaten ein. Von diversen Satellitenbetreibern aus der ganzen Welt. „Das sind Rohdaten, die wir dann auch mithilfe künstlicher Intelligenz aufbereiten für spezielle Fragen“, sagt Seidel. „So, als ob man Möbel haben möchte, aber erst einmal nur das Holz bekommt.“ Und tatsächlich bieten sich die Bilder aus dem Weltraum für etwas an, was sich von der Erde aus nur schwierig überwachen und kontrollieren lässt: Schienen- und Stromnetze oder Pipelines, die sich über Tausende oder Zehntausende Kilometer erstrecken.

„Wir können mittlerweile anhand der Bilddaten einzelne Baumarten erkennen“, erklärt Seidel. Daraus lassen sich Rückschlüsse beispielsweise zu sturmanfälligen Bewuchs ziehen – und Anweisungen generieren, wann und wo ein Team eingesetzt werden muss. Damit nicht nach einem Unwetter ein Baum die Schiene blockiert. Weiter gefasst: „Wir analysieren die Infrastruktur und identifizieren Probleme.“

Zu den Kunden von LiveEO zählen mittlerweile die „Deutsche Bahn“ und das Energieunternehmen Eon. Mit den Vereinten Nationen arbeitet man ebenfalls zusammen, um den Rückgang von Waldgebieten zu untersuchen. Anhand der Auswertung von Bilddaten. Das macht das Unternehmen mittlerweile so erfolgreich, dass insgesamt 130 Leute beschäftigt werden. Tendenz steigend. In Lettland wurde ein Tochterunternehmen gegründet, für die USA wurde ein eigenes Vertriebsteam aufgebaut. Schließlich geht es um mehr als nur Vegetationsmanagement. Wo gefährden Baustellen oder Bodenabsenkungen die Infrastruktur? Wie steht es generell um den Zustand? Wie gut funktionieren Lieferketten?

Die Gründer von LiveEO: Daniel Seidel (l.) und Sven Przywarra.

Die Gründer von LiveEO: Daniel Seidel (l.) und Sven Przywarra.

Foto: LiveEO

An sich also eine Erfolgsgeschichte, die aber in Deutschland auf viele Hürden stieß mit dem exotischen Thema „Raumfahrt“. Banken hätten anfangs keine Kredite bewilligt, obwohl „wir Auftraggeber und ausreichend Geld auf dem Konto hatten“, so Seidel. Andere Anträge wiederum waren teilweise nicht möglich, weil „wir keine drei Jahresabschlüsse vorlegen konnten“. Probleme, auf die Start-ups in den USA häufig nicht treffen.

Das Denken in Deutschland und in Europa bewegt sich aus Sicht der Gründer oft in starren Strukturen, die sich auf die etablierten Großen im Markt wie Airbus, OHB oder Arianespace konzentrieren. Das sei einer der Gründe, warum die junge, aufstrebende Raumfahrtszene überschaubar sei. „Man kennt sich“, sagt Przywarra. Und dennoch sehen die beiden Gründer, dass sich etwas verändert. Die Europäische Weltraumorganisation ESA unter ihrem Generaldirektor Josef Aschbacher hat sich die Förderung von Start-ups auf die Fahnen geschrieben. „Und da bewegt sich tatsächlich sehr viel und wächst die Unterstützung.“ Das Förderprogramm „ScaleUp“ der Esa umfasst alleine in diesem Jahr 87 Millionen Euro. Auch auf EU-Ebene sollen über das Cassini-Programm Raumfahrt-Start-ups und die Entwicklung beispielsweise von Anwendungen bis 2027 mit einer Milliarde Euro gefördert werden.

Und in Deutschland? „Bislang gilt in vielen Köpfen: Start-ups sind klein und brauchen nur wenig Geld, darum bekommen die auch nicht so viel.“ Das Budget müsste dringend erhöht oder anders verteilt und manche Vorgänge beschleunigt werden. Und dann „müssten auch Aufträge aus den öffentlichen Sektor kommen“. So ließen sich kleine Unternehmungen anstoßen, um auf dem Markt zu bestehen. Auch da verweisen sie wieder auf Elon Musk: Ohne staatliche Aufträge wäre SpaceX niemals so gewachsen. In Deutschland scheint man sich dagegen damit schwerzutun. „Mit Beginn des Ukrainekrieges wurde oft und viel über die Überwachung der kritischen Infrastruktur geredet“, sagt Seidel. Gerade da sei LiveEO, so Seidel und Przywarra, das führende Unternehmen. „Aber angesprochen hat uns niemand.“

Daran schließt sich der Wunsch nach einer anderen öffentlichen Wahrnehmung an. Große Raketenstarts und Missionen mit Astronauten seien wichtig und inspirierend, aber Raumfahrt sei eben sehr viel mehr. Wetterberichte, Navigationssysteme – alles beruht auf Daten aus dem All. Und aus geopolitischer Sicht seien eigene Startmöglichkeiten zwar wichtig für Europa. Ob in Großbritannien, Schweden oder von einer schwimmenden Plattform in der Nordsee. Um unabhängig zu sein. Abgesehen davon, dass es derzeit an eigenen Raketen in Europa mangelt. Wenn man aber einfach wiederholen wolle, was in den USA längst passiert sei, habe man das Rennen schon verloren.

Tatsächlich hat nur ein privates US-Unternehmen wie „Planet Labs“ seit seiner Gründung Ende 2010 innerhalb von zehn Jahren bei 30 Starts 452 Klein-Satelliten ins All geschossen. Die Bundesregierung dagegen förderte 2022 die „Kleinsatelliten-Initiative“ mit zehn Millionen Euro, um Start-ups und kleine Unternehmen zu unterstützen. Mehr als anstoßen lässt sich damit im Vergleich indes nichts.

„Es gibt aber Nischen, in denen wir noch einen Unterschied machen und kommerziell erfolgreich sein können“, sind sich die beiden Gründer sicher. Sie hoffen auf mehr Flexibilität und Agilität in Deutschland. Und zumindest soll im ersten Halbjahr dieses Jahres der Entwurf zur Raumfahrtstrategie der Bundesregierung stehen. Dabei geht es auch um „New Space“ (Neuer Weltraum): die Kommerzialisierung der Raumfahrt und ihre Verzahnung mit der klassischen Wirtschaft. Und der könnte über das EU-Großprojekt „Iris2“ eine neue Dynamik gewinnen. Dahinter steckt der Aufbau einer rein europäischen Satelliten-Infrastruktur zur Kommunikation und Datenübertragung.

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