Artemis I: Testflug zum Mond Wir kehren zurück

Am 29. August soll „Artemis I“ starten. Es ist ein Testflug ohne Besatzung und dennoch wird er eine neue Ära einläuten. Fast 50 Jahre nachdem die letzten Menschen auf dem Mond landeten, soll es der erste Schritt sein – um zurückzukehren und sich weiter hinaus zu wagen. Bis zum Mars.

 Mit Artemis I kehren wir nach 50 Jahren zum Mond zurück.

Mit Artemis I kehren wir nach 50 Jahren zum Mond zurück.

Foto: NASA/Cory Huston

Es wird ein Montag im August sein. Um 14.33 Uhr unserer Zeit. In Florida am US-Weltraumbahnhof „Kennedy Space Center“ werden sich Tausende Augen auf die Startrampe 39b richten. Und während der Countdown runtergezählt wird, ergießen sich dort mehr als 1,7 Millionen Liter Wasser - um den Lärm und den Schalldruck zu dämpfen. Und dennoch wird ein ohrenbetäubendes Donnern ein neues Zeitalter einläuten: Die Vereinigten Staaten kehren zusammen mit der europäischen Kostenpflichtiger Inhalt Weltraumorganisation Esa zurück zum Mond. Schon jetzt spricht die US-Raumfahrtbehörde Nasa von der „Artemis-Generation“, die erneut den Sprung in den Weltraum wagen wird. So, wie es einst Apollo tat. Und der Ort ist ebenso geschichtsträchtig. 1969 startete von „39b“ Apollo 10 als Vorbereitung der Mondlandung.

Auch am 29. August 2022 erfolgt ein Testflug zum Mond. Anders als bei Apollo 10 ohne Besatzung. Trotzdem sind die Ziele höhergesteckt. Die USA wollen in nächsten Schritten nicht nur erstmals mit einer Frau auf dem Mond landen, sondern eine dauerhafte Basis einrichten und eine Raumstation, das „Gateway“ (Tor), in einer Mondumlaufbahn etablieren. Von dort dann sollen eines Tages Menschen zum Mars aufbrechen.

Das alles hängt indes vom Erfolg des ersten Artemis-Fluges ab. Die Rakete wird sich beim Start 98 Meter hoch in den Himmel recken und 2600 Tonnen schwer sein. Die erste Stufe wurde auf Basis des externen Space-Shuttle-Haupttanks entwickelt und versorgt vier RS-25-Triebwerke, die ebenfalls für die 2011 ausgemusterten US-Weltraumgleiter gebaut worden sind. Unterstützt wird die Rakete beim Start von zwei Boostern. Zusammen erzeugen sie 15 Prozent mehr Schubkraft als bei einer Saturn-V-Rakete, mit der man vor 50 Jahren zum Mond startete.

So erreicht die Rakete 70 Sekunden nach dem Start in knapp 13.000 Meter Höhe mehr als 1680 Kilometer pro Stunde. Die strukturelle Belastung liegt da beim Maximum. Es ist der kritischste Moment nach dem Start, den die Ingenieure „Max Q“ nennen. Danach werden die Booster abgeworfen. Sie landen im Atlantik. Die erste Stufe wird anschließend abgetrennt und die zweite Stufe zündet später am erdnächsten Punkt des Orbits. Dadurch wird die Bahn gehoben, das Raumschiff auf Kurs gebracht und beschleunigt. In knapp 3740 Kilometer Höhe wird die zweite Stufe dann abgestoßen. Die wird zwar weiter in Richtung Mond fliegen, sich aber in den Weiten des Alls verlieren.

Die US-Raumkapsel Orion und das mit ihr verbundene europäische Service-Modul (ESM) indes wird mit mehr als 31.500 Kilometer pro Stunde gezielt unseren Kostenpflichtiger Inhalt 380.000 Kilometer entfernten Trabanten ansteuern. Trotz der Geschwindigkeit wird der Flug mehr als vier Tage dauern, bis das erste Ziel auf der 42-tägigen Reise erreicht wird. Und obwohl keine Astronauten an Bord sein werden, möchten Nasa und Esa so viele Daten wie möglich gewinnen – für zukünftige Besatzungen. Die Orion-Kapsel bietet Platz für vier Astronauten. Den wird beim Testflug ein Crash-Test-Dummy (Name: Commander Moonikin Campos) einnehmen, der beim Start, den diversen Manövern und der Landung die physische Belastung misst. Daneben sind zwei sogenannte „Phantome“ (Helga und Zohar) an Bord. Das sind Modelle eines menschlichen Oberkörpers. Zohar wird eine Schutzweste tragen, Helga nicht. Weil die Kapsel das schützende Erdmagnetfeld verlässt, werden zukünftige Besatzungen der Strahlung im Weltraum ausgesetzt sein. Diese Belastung will man erfassen, um spätere Astronauten so gut wie möglich zu schützen. Alles unter den Augen diverser Kameras und auch eines europäischen Passagiers: eine Plüschpuppe der TV-Figur Shaun, dem Schaf, die für die Esa mitfliegt. Zudem wurden Pflanzensamen, Algen-, Pilz- und Hefekulturen verstaut. Auch da möchte man die Auswirkungen der Strahlung erfassen und erforschen, wie sich Nährwerte verändern. Mit Blick auf eine bemannte Basis auf dem Mond, die versorgt werden müsste.

 Grafik der Nasa zur Artemis-I-Mission.

Grafik der Nasa zur Artemis-I-Mission.

Foto: NASA

Ohne Astronauten wurde aber auf einiges verzichtet. So ist zwar eine Weltraumtoilette vorgesehen, die bei „Artemis I“ indes nicht mitfliegt. Weil es sich um das gleiche, oft erprobte System handelt wie bei der Internationalen Raumstation ISS sind dafür keine Tests geplant. Ebenso hat man im europäischen Service-Modul 240 Liter Wasser und 90 Kilogramm Sauerstoff weggelassen, die bei bemannten Missionen an Bord sein werden. Um vier Astronauten bis zu 20 Tage lang mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen.

Während die Orion-Kapsel mit ihrer Besatzung das „Gehirn“ sein wird, ist das ESM das „Herz“ des Raumschiffs. „Wir haben mit der Konstruktion 2011 begonnen“, sagt Philippe Berthe im Gespräch mit uns. Er koordiniert bei der Esa den Bau des ESM. „Da stand das Konzept schon“, erzählt er. „Das war so, als ob man in ein Rennen einsteigt und alle anderen sind schon längst gestartet.“ Um möglichst schnell zu einer Lösung zu kommen, setzte man auf jene Teams, die das ATV konstruiert hatten. Das waren zwischen 2008 und 2015 Fracht- und Transportkapseln, die für die Versorgung der ISS entwickelt worden waren.

In Rekordzeit konstruierten sie das vier Meter hohe, insgesamt 5,2 Meter durchmessende und beim Start 15,5 Tonnen schwere Service-Modul, das mit Kevlar vor Einschlägen von Mikrometeoriten und Weltraumschrott geschützt wird. Mehr als elf Kilometer Kabel wurden verbaut, damit Elektronik mechanische Schaltungen so gut wie möglich ersetzen kann. Um Gewicht einzusparen. Auch für die komplexe Temperatur-Regulierung. Zwar ist der Weltraum an sich kalt, aber stellenweise kann es heiß werden. Durch direkte Sonneneinstrahlung. Die wiederum kann genutzt werden: Das ESM wird vier Solarmodule ausfahren. Jeweils zwei Meter breit und sieben Meter lang. Sie generieren 11,2 Kilowatt Strom. Oder so viel wie zwei Haushalte.

Die Fotosimulation zeigt die Orion-Kapsel mit dem europäischen Service-Modul ESM über der Erde.

Die Fotosimulation zeigt die Orion-Kapsel mit dem europäischen Service-Modul ESM über der Erde.

Foto: NASA/ESA/ATG Medialab

Und „es sind 33 Antriebe an Bord“, sagt Berthe. Das Haupttriebwerk ist stark genug, um auf der Erde einen Bus anzuheben. Falls das ausfällt, gibt es noch acht leistungsschwächere Hilfsantriebe, mit denen man das Raumschiff zudem manövrieren kann. Unterstützt wird das von 24 Steuertriebwerken. Für alle Antriebssysteme stehen 8000 Liter Treibstoff in vier Tanks zur Verfügung.

Und die werden bei dem Testflug auch gebraucht. Wenn alles nach Plan läuft, wird sich die Orion-Kapsel mit dem ESM dem Mond bis auf 100 Kilometer nähern. Durch seine Schwerkraft und das ESM-Triebwerk wird das Raumschiff indes beschleunigt und in eine äußerst stabile Umlaufbahn fliegen. Die wird die Kapsel 70.000 Kilometer vom Mond wegführen und einen neuen Rekord aufstellen: Nur unbemannte Sonden haben sich bislang weiter von der Erde entfernt. Am Ende werden es 450.000 Kilometer sein.

Das ist gleichzeitig ein Test für diese spezielle Umlaufbahn um den Mond, auch wenn wahrscheinlich eine etwas andere Bahn für die zukünftige lunare Raumstation „Gateway“ vorgesehen ist. Die soll als Zwischenstopp dienen und nur zeitweise bemannt sein, um eine Basis am Mond-Südpol zu versorgen. Oder um Wasser, Sauerstoff und Treibstoff zu horten. Alles würde aus dem Eis in lunaren Kratern gewonnen werden und so Kosten sowie Aufwand für eine Mars-Mission deutlich reduzieren - die dann vom Gateway starten würde.

Bis es so weit ist, muss Artemis I erst ein Erfolg sein: Nach etwa 19 Tagen im Mondorbit beginnt die mehrtägige Rückreise. Orion wird seine Triebwerke zünden und sich erneut dem Mond bis auf rund 100 Kilometer nähern. Dann wird sie in einen Kurs Richtung Erde einschwenken. Mit 40.000 Kilometer pro Stunde wird sich das Raumschiff schließlich nach 42 Tagen am 10. Oktober der Erde wieder nähern. 42 Minuten vor der Landung und 5000 Kilometer entfernt wird das ESM abgetrennt. „Es verglüht dann in der Erdatmosphäre“, sagt Berthe. Am Ende wird davon nichts bleiben als Asche.

Vier Service-Module hat die Esa mehr oder weniger fertiggestellt: Zwei davon für Artemis I und II befinden sich bereits in den USA. Zwei sind noch in Bremen. „Wir wollen jedes Jahr ein Modul bauen“, sagt Berthe. Zudem wird es ständig verbessert und ab dem siebten Modul werden neue Triebwerke verwendet. Für die ersten Module sind es noch Antriebe aus dem alten Space-Shuttle-Programm.

Die Orion-Kapsel dagegen tritt in die Atmosphäre ein. Die Außenhülle wird dabei durch Reibung auf 2.800 Grad Celsius erhitzt. Dann entfalten sich Fallschirme, um die Kapsel weiter abzubremsen. Am Ende soll sie sanft im Pazifik vor der Küste Kaliforniens aufsetzen und geborgen werden – ohne dass „Commander Campos“ lebensgefährliche Belastungen für Menschen signalisiert.

Wenn alles gut geht, wird mit „Artemis II“ dann vermutlich im Jahr 2024 ein Flug mit Astronauten stattfinden – bevor Artemis III zusammen mit Elon Musks Kostenpflichtiger Inhalt Raumfahrtunternehmen SpaceX am Südpol des Mondes landen wird. Voraussichtlich erst 2025. Dafür darf indes beim Testflug nichts schiefgehen: Alle Triebwerke müssen zur berechneten Zeit zünden. Das gilt für das Erreichen der Flugbahn zum Mond, für das Einschwenken in die lunare Umlaufbahn und die Rückkehr zur Erde. An jedem dieser Punkte wäre bei einem Fehler die Mission zumindest teilweise ein Fehlschlag. Im schlimmsten Fall wäre die Kapsel verloren.

Im besten Fall aber kehren wir zum Mond zurück. „We are going“- „Wir gehen tatsächlich“, heißt es bei der Nasa. Kostenpflichtiger Inhalt Der große Sprung soll nur ein kleiner Schritt sein, mit dem die Menschheit sich immer weiter ins All wagt. Bis zum Mars und darüber hinaus. Am Ende soll jedes erreichte Ziel nur ein neuer Anfang sein. Für das nächste Abenteuer der „Artemis-Generation“, die zu den Sternen aufbricht.

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