Fremdsprachenboom in SüdkoreaKinder-OP für akzentfreies Englisch
Seoul (rpo). Ein akzentfreies Englisch ist nach Ansicht vieler südkoreanischer Eltern Garantie für den beruflichen Erfolg ihres Nachwuchses. Schon Kleinkinder werden von Privatlehrern unterrichtet. Wenn die Kinder L und R trotzdem nicht klar aussprechen können, muss eine OP her. Ein kleiner Schnitt unter der Zunge soll das Problem beheben. Die Operation soll die Zunge länger und flexibler machen und damit die englische Aussprache erleichtern. Diese Wirkung wird von Ärzten und auch von der südkoreanischen Regierung bezweifelt. Diese war so entsetzt angesichts der wachsenden Zahl von Operationen, dass sie gemeinsam mit der Nationalen Menschenrechtskommission einen Aufklärungsfilm drehte. Darin wird eine Mutter gezeigt, deren kleiner Sohn bei einer englischsprachigen Weihnachtsaufführung im Kindergarten mitspielt. Um seine Aussprache zu verbessern, bringt sie ihn zum Arzt mit der Begründung: "Das ist nur für seine Zukunft". "Viele Leute schließen bei der Szene mit der Operation die Augen", sagt Regisseur Park Jin Pyo, der Filmmaterial von einem echten Eingriff verwendete. "Ich wollte, dass sie sehen, wie unsere Gesellschaft im Namen ihrer Zukunft die Menschenrechte der Kinder mit Füßen tritt." Die Begeisterung der Eltern für die englische Sprache begann vor vier Jahren, als die Regierung den Englischunterricht ab der dritten Klasse einführte. Galt eine fehlerfreie Aussprache noch vor einigen Jahren als snobistisch und unpatriotisch, so ist sie heute ein Statussymbol, das von Arbeitgebern und Kollegen geschätzt wird. "Viele Eltern haben die Illusion, dass gutes Englisch das Leben ihrer Kinder verändern kann", sagt Song Young Hye, die eine von tausenden Sprachschulen in Südkorea leitet. Die so genannte Frenulotomie, also die Durchtrennung des Zungenbändchens, wird in westlichen Ländern nur dann vorgenommen, wenn das Gewebe unter der Zunge nicht normal gewachsen ist und deshalb die Sprache behindert. In Südkorea gibt es keine Statistiken darüber, wie viele Kinder die Operation schon über sich ergehen lassen mussten. Während die Medien von einem weit verbreiteten Eingriff berichten, bezeichnen Ärzte die Angaben als Übertrieben. Spezialisten bezweifeln Sinn des EingriffsSpezialisten weisen die Einschätzung zurück, dass die Zungen der Kinder zu kurz oder zu unflexibel sein könnten, um Englisch gut zu sprechen. Sie verweisen auf tausende Koreaner etwa in den USA, die ohne eine körperliche Veränderung akzentfrei die Sprache beherrschen. Nur Übung könne die Aussprache verbessern, eine Operation sei völlig überflüssig. "Die Operation nur wegen der Aussprache an einem normalen Kind vorzunehmen, ergibt anatomisch keinen Sinn", sagt der Arzt Park Bom Chung. Der Kinderpsychologe Noh Kyung Sun bezeichnet den Eingriff als verrückt und verweist auf den Fall eines dreieinhalbjährigen Kindes in seiner Praxis als Beispiel für den Bildungswahn mancher Eltern. Das Kind habe auf einem Poster von Jackson Pollock die einzelnen Buchstaben des Vornamens lesen können, habe aber weder englisch noch koreanisch gesprochen. Die Regierung bemüht sich nun, die Fremdsprachenlehre in den öffentlichen Schulen zu verbessern und stellte mehr Muttersprachler ein. Die Begeisterung für die englische Sprache hält jedoch an und bescherte der koreanischen Gesellschaft die so genannten "Gänse-Väter". So werden Väter genannt, die ihre Kinder nur während der Schulferien in den USA sehen. Dort gehen die Kleinen das ganze Jahr zu Schule, um ja richtig Englisch zu lernen.